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Die Bibel des Martin Luther in der Sprache unserer Zeit

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Während des Eröffnungsgottesdienstes der Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands in Braunschweig überreichte im November der Vorsitzende der Revisionskommission, Landesbischof Dr. Eduard Loh- se, dem Ratsvorsitzenden, Landesbischof Dr. Helmut Class, das erste Exemplar der nun abgeschlossenen Revision der Luther-Ubersetzung des Neuen Testamentes.

„Das Newe Testament Deutsch, Vui- tenberg” steht auf dem Titelblatt der ersten Ausgabe vom September 1522, ausgeschmückt mit 22 Holzschnitten aus der Werkstatt Lucas Cranachs. Dieses „Septembertestament” erzielte große Wirkung. Die erste Auflage bestand aus 3000 Exemplaren. 17 Auflagen des Neuen Testamentes bearbeitete Luther im Laufe seines Lebens selbst Innerhalb von drei Jahren gingen bereits 128.000 Exemplare in die Welt.

Luther arbeitete unermüdlich. 1533 war die Übersetzung des Alten Testamentes fertig. So konnte er 1534 „Die gantze heüige Schrift Deutsch” einschließlich der Apokryphen vorlegen. Am 2. März 1545 kam die Bibel „Auffs new zugericht” heraus.

Luther wollte, daß das Wort Gottes in der Muttersprache gelesen und gehört werden könne. Er legte großen Wert auf Treue dem Urtext gegenüber, sprachliche Genauigkeit und Verständlichkeit des Ausdrucks. Die ungeheure Mühe, dieses fortgesetzte Ringen um das rechte Wort, die rechte Form, die treffende Formulierung, wird in seinen Worten deutlich: „Uns ist wohl begegnet, daß wir 14 Tage, drei, vier Wochen haben ein einziges Wort gesucht und gefragt, haben’s dennoch zuweilen nicht gefunden. Am Hiob arbeiteten wir, also Magister Philippus (Melanchthon) Aurogallus und ich, daß wir in vier Tagen zuweilen kaum drei Zeilen fertigten. Aber nun es verdeutscht und bereit ist, kann ein jeder lesen und verstehen.”

Luther war sich aber darüber im klaren, daß er sein Werk nicht werde abschließen können. Seine Intention bei der Bibelübersetzung war es, so zu reden, daß die Hörer den Text in der ihnen vertrauten Sprache aufnahmen. 450 Jahre später haben neue Ansichten und Einsichten in der Bibelwissenschaft Platz gewonnen, die alten Sprachen sind nunmehr besser erforscht

Die Luther-Ubersetzung hat entscheidend zur Gestaltung der deutschen Sprache beigetragen. In mehr als 450 Jahren hat sich der Sprachschatz erheblich verändert Wir reden anders als die Generationen vor uns. Erzählt man eine Geschichte, sagt man nicht mehr, „es begab sich aber”. Mit „auf daß” oder „ehe dem” leitet heute kein Mensch mehr einen Nebensatz ein. Mit der Entwicklung der Sprache gilt es daher Schritt zu halten, ohne aber die kraftvolle, bildhafte und ein prägsame Sprache Luthers zu verlieren.

Vor mehr als 100 Jahren hat man erkannt, wie wichtig eine einheitliche, auf den gegenwärtigen Stand der Sprache gebrachte Luther-Bibel sei. 1863 wurde auf der Eisenacher Kirchenkonferenz der Beschluß zur Revision gefaßt Der zunächst herausgebrachte Text wirkte, da er noch zu nahe an der alten Fassung war, auch weiterhin altertümlich. Die Folge war, daß eine Reihe von modernen Bibelübersetzungen auf den Markt kamen. Sie haben eine sehr wichtige Aufgabe erfüllt - das Wort der Bibel wurde von der breiten Öffentlichkeit neu entdeckt

Aber eines zeichnete sich ganz deutlich ab - die dichterische Kraft der Luther-Bibel konnte nicht erreicht werden. Nun ging man neuerlich an eine Revision; keine neue Übersetzung sollte angefertigt werden. Der Luther-Text wurde überarbeitet und möglichst treu bewahrt, um ihn als Bibel der evangelischen Christenheit zu bewahren und zu erhalten.

Erst 1956 konnten ein revidiertes Neues Testament, 1964 das Alte Testament und 1970 die Apokryphen veröffentlicht werden. Im Laufe dieser Arbeit gewannen die Phüologen, Theologen und Praktiker neue Einsichten. Sie folgten dem Grundsatz, von dem Luther bei seinen Arbeiten sich leiten ließ: Treue zum Urtext, sprachliche Genauigkeit und Verständlichkeit der Ausdrücke. 1975 konnte die Arbeit abgeschlossen werden. Der von der Revisionskommission erarbeitete Text wurde den Kirchenleitungen und theologischen Fakultäten zur Begutachtung vorgelegt. Ende 1975 erfolgte die Zustimmung. Nun konnte das Werk der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Die Auslieferung erfolgt im Herbst 1977.

Zwei Beispiele der Änderung des Textes in der 1975 beendeten Revision der Luther-Bibel gegnüber 1545 und 1956 seien im folgenden angeführt.

Johannes 1,12-14:

1545: Wie viel in aber aufnamen, denen gab er macht, Gottes Kinder zu werden, Die an seinen Namen glauben, Welche nicht von dem Geblüt noch von dem willen des Fleisches, noch von dem wülen eines Mannes, Sondern von Gott geboren sind.

Vnd das Wort ward Fleisch, vnd wonet vnter vns.

L956: Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glaubten, welche nicht von dem Geblüt noch von dem Willen des Fleisches noch von dem Wülen eines Mannes, sondern von Gotte geboren sind.

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.

1975: Allen aber, die ihn aufnahmen und an seinen Namen glaubten, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, die nicht aus dem Blut und nicht durch den Trieb des Fleisches oder den Willen des Mannes, sondern durch Gott geboren sind.

Und das Wort wurde Mensch und wohnte unter uns.

Johannes 2,6:

1545: Es waren aber alda sechs steinern Wasserkrüge gesetzt nach der Weise der Jüdischen reini- gung, vnd gieng in je einen, zwey oder drey Mas.

1912: Es waren aber allda sechs steinerne Wasserkrüge gesetzt nach der Weise der jüdischen Reinigung, und fing in je einen, zwei oder drei Maß.

1956: Es waren aber allda sechs steinerne Wasserkrüge gesetzt nach der Sitte der jüdischen Reinigung und ging in je einen, zwei oder drei Maß.

1975: Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung, wie sie bei den Juden Sitte war, und in jeden gingen etwa hundert Liter.

Das „Neue Testament 1975” wurde in einer ersten Ausgabe von rund

12.000 Exemplaren von der Deutschen Bibelstiftung (Stuttgart) gedruckt. Es ist zugleich der erste Luther-Bibeltext, der im Computer-Photosatz hergestellt worden ist.

Wird sich die Luther-Bibel durchsetzen? Wird die Luther-Bibel in ihrer neuen Fassung wieder ihre einzigartige Stellung im deutschsprachigen Raum einnehmen wie früher?

Inzwischen gibt es eine Vielzahl guter Übersetzungen, auch ökumenische. Die Erfahrung lehrt, daß die Mehrzahl der Menschen eine Bibel in der Umgangssprache bevorzugen. Stimmt dieser Trend, dann stellt sich erst recht die Frage, welche Bedeutung die Luther-Bibel in Zukunft haben wird.

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