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Die Bischöfe geben den Gemeinden Mut

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Bischof Ivo Lorscheiter, der Vorsitzende der brasilianischen Bischofskonferenz, war zum Katholikentag in Österreich - mehrere mit ihm geführte Gespräche wurden hier zusammengefaßt.

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Bischof Ivo Lorscheiter, der Vorsitzende der brasilianischen Bischofskonferenz, war zum Katholikentag in Österreich - mehrere mit ihm geführte Gespräche wurden hier zusammengefaßt.

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„Mein Bistum, Santa Maria, ist beinahe halb so groß wie Österreich, etwa 30.000 Quadratkilometer. Dort wohnen 700.000 Menschen“, so beschreibt Bischof Ivo Lorscheiter, woher er kommt. Seine Aufgaben auf nationaler und internationaler Ebene haben in den letzten Jahren seine Kapazität etwas von seinen diözesanen Aufgaben abgezogen.

Aber Brasiliens Kirche ist längst nicht mehr vorwiegend auf den Einsatz seines Klerus allein angewiesen. Im Rahmen von Basisgemeinden haben die Laien ihre Aufgaben im Volk Gottes kennengelernt. Dem trug die brasilianische Bischofskonferenz im November 1982 Rechnung, als sie schrieb: „Die kirchlichen Basisgemeinden sind eines . .. der kräftigsten Zeichen des Lebens der Kirche … Die pastorale und verkündende Tätigkeit gestaltet sich immer mehr um sie… “

Drängt sich natürlich sofort die Frage auf, was eine Basisgemeinde eigentlich ist. Darauf Lorscheiter: „Es handelt sich um kleine Gemeinschaften, 10 bis 20 Familien, die sich immer besser kennenlernen. Sie bemühen sich das Ein- zelgängertum im religiösen Bereich zu überwinden. Darum versammeln sie sich einmal in der Woche außerhalb des Gottesdienstes. Und das geschieht dort, wo die Menschen leben, leiden oder sich freuen, wo sie ihre kpnkreten Probleme erleben.

Die Basisgemeinden wachsen im Glauben, in der gemeinsamen Lesung und Auslegung der Bibel. Sie beten und feiern zusammen, sind glücklich, wenn der Priester anwesend ist, der vielleicht nur ein paarmal im Jahr kommt.“

Wichtig ist aber auch, daß die Mitglieder der Gemeinde ihre konkreten Probleme besprechen und gemeinsame Lösungen suchen. Dabei zeigt sich, daß Basisgemeinden dort leichter entstehen, wo bereits Beziehungen bestehen und wo drängende Probleme des Alltagslebens einer Lösung harren. Das betrifft vor allem die von Verelendung bedrohte Landbevölkerung und die in den Elendsvierteln der Städte lebenden Menschen (allein in Rio de Janeiro leben 1,8 Millionen „fa- vellados“).

Zwischen Glauben und Lebensgestaltung gibt es keine Grenzen, man betrachtet die Bibel nicht als Domäne der Exegeten, sondern als Buch für den Mann an der Basis. Aus dem Gebet wird Kraft geschöpft. In diesen Gruppen wird Passivität und Egoismus überwunden. Da wächst Engagement. „Die Erfahrung der Mitbestimmung hat natürlich politische Folgen. Deshalb haben diktatorische Regime Angst vor der Basis“, kennzeichnet Lorscheiter die Folgen in der Welt.

Mitbestimmung und Vielfalt der Dienste sind ein zentrales Anliegen: „Pluralität ist wichtig. Wenn ein Team da ist, gibt eš viele Verantwortliche: für Glaubensverkündigung, Finanzen, Beten, Soziales. Da entsteht auch leichter ein Gleichgewicht.“

Irgendwie überrascht mich so viel Begeisterung über Basisgemeinden aus dem Munde eines Bischofs. Dom Ivo erklärt mir das: Die Initiative zu der Entwicklung ist nämlich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil von den Bischöfen ausgegangen, die seither immer wieder bekundet haben, daß sie zu diesem pastoralen Konzept stehen: „Bei uns verwirklichen die Gemeinden, was die Bischöfe gewollt haben. Dadurch kommt es nicht zu unnötigen Konfrontationen.“

Ein bißchen wehmütig denke ich da an die Kontroversen, die in unseren Breiten zwischen den Be fürwortern der Volks- und denen der Gemeindekirche ausgetragen werden. Woher kommt diese unterschiedliche Konstellation? „Hier in Europa scheint die Basisgemeinde manchmal als Erscheinung der Kontestation gegen eine für manche zu langsame Entwicklung in der Kirche aufzutreten. Hier werden solche Bemühungen — so hat man den Eindruck — nur geduldet. Bei uns aber haben die Bischöfe gesagt: ,Nur Mut, geht voran! Daher ist Basisgemeinde bei uns nichts Besonderes, was es bei euch zu sein scheint. Und das ist schade. Denn, wenn du Christ bist, sollst du eigentlich in einer Basisgemeinde leben. Sie sollten etwas so Normales sein, daß es als abnormal erscheint, wenn jemand draußen steht.“

Das heißt doch eigentlich, daß das, was wir unter Volkskirche verstehen, in Brasilien heute in den meisten Bereichen als Kirche der Basisgemeinden in Erscheinung tritt. Diese überraschende Erfahrung mußte auch der Papst während seiner Brasilienreise machen, wie mir Lorscheiter erzählte: „Auf dem Flug zwischen zwei Städten fragte mich der Papst: .Wann treffe ich mit den Basisgemeinden zusammen?“ Er meinte, es müsse da eine Sondergruppe geben, für die er eine Rede vorbereitet hatte. Ich sagte ihm, er treffe dauernd mit Leuten von der Basis zusammen, ein besonderes Treffen könne es daher nicht geben, sei auch nicht vorgesehen. So unterschrieb der Papst die Rede und somit scheint in der Sammlung seiner brasilianischen Reden auch diese nicht gehaltene Ansprache auf.“

Ihr Inhalt beantwortet auch die Frage nach der Einstellung des Papstes zur Basisgemeinde: Sie ist sehr positiv. Worauf sich sofort die Frage aufdrängt, welche Bewandtnis es mit den päpstlichen Aussagen in Nikaragua hat. Um darauf zu antworten, kommt Dom

Ivo zunächst auf den Begriff Volkskirche zu sprechen, allerdings in seiner lateinamerikanischen Bedeutung: „Die Volkskirche wird nur vom Volk getragen, nicht von der Amtskirche. Sie wird nicht von der Offenbarung und vom Glauben her gesehen und richtet sich vorwiegend auf gesellschaftliche und wirtschaft-, liehe Veränderung. Wenn wir dann aber fragen, wo diese Volkskirche eigentlich bestehe, dann antworten alle Bischöfe — auch die, die sich am heftigsten gegen sie wenden: .Also bei mir nicht!“ Auch in Nikaragua bekommt man diese Antwort.“ Offensichtlich hatte man den Papst nicht gut beraten, denn gerade gegen die „ecclesia populär“ hatte man ihn ins Feuer geschickt.

Wie wichtig ist es doch, die Begriffe klarzustellen. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Unterschiede der Basisgemeinden in Brasilien und bei uns hingewiesen. Sie beruhen vor allem auf dem verschiedenartigen Lebensstil: In Brasilien führen die drängenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme die Menschen zueinander, während wir in den Industrieländern immer mehr als Einzelgänger leben und kaum mehr Berührungspunkte untereinander haben. Uns bewegen eben hier keine gemeinsamen Probleme, deren Lösung wir uns Zutrauen würden. Und insofern decken sich da wieder die Erfahrungen: Unter den wohlhabenderen Schichten in Brasiliens Städten entstehen auch nur sehr selten Basisgemeinden.

Nach dem Gespräch wird mir bewußt, wie dankbar wir hier in Europa sein können für die lateinamerikanischen Erfahrungen mit Basisgemeinden. Von ihnen läßt sich viel lernen, was zur Verlebendigung unserer Kirche beitragen könnte.

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