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Die blutige Schnittstelle
Der Londoner „Times” blieb es vorbehalten, die Hintergründe beim Namen zu nennen, an denen die „AZ” scheitert. Das Fazit: Sie ist der SPÖ ein Dorn im Fleisch.
Der Londoner „Times” blieb es vorbehalten, die Hintergründe beim Namen zu nennen, an denen die „AZ” scheitert. Das Fazit: Sie ist der SPÖ ein Dorn im Fleisch.
Kleinformat statt Großformat, verstärkte Werbeaktivitäten unter den Parteimitgliedern, Zusammenlegung der angeschlagenen Parteizeitungen. Mit diesen Schlagworten werden in Österreich und insbesondere in der SPÖ Auswege aus der Malaise der „Arbeiter-Zeitung” diskutiert.
Der Ehrenvorsitzende der SPÖ, Bruno Kreisky, will gar einen Teil seines Einkommens der AZ überweisen. Quasi nach der Partei-
Steuer einen Anlauf zur Parteizeitungssteuer nehmen.
Uber tiefere Ursachen des tiefen Falls des Parteiorgans will aber niemand reden. In einer politischen Kultur, in der Fortwursteln und Steherqualitäten zu Profil und Anerkennung verhelfen, ist dieses Verhalten schlichtweg konsequent.
Diese „Qualitäten” werden aber beschämend deutlich, wenn es einer international anerkannten Zeitung wie der „Times” vorbehalten bleibt, Dinge beim Namen zu nennen, die in Österreich nicht einmal hinter vorgehaltener Hand gesagt werden.
Die Grundthese der „Times”: Nicht die AZ ist an ihrem Niedergang schuld, sondern der Zustand der SPÖ: „Es heißt, daß gerade noch einer von sieben sozialistischen Politikern die .Arbeiter-Zeitung' zur Hand nimmt und die meisten davon über das, was sie lesen, unglücklich sind. Die Ungewißheit des Schicksals dieser Zeitung, die 1889 von Victor Adler gegründet wurde, rückt das Unbehagen, das viele bezüglich der Zukunft der ÖPÖ empfinden, ins Scheinwerferlicht.”
Während der österreichische Sozialismus „im Schutt des abgewrackten Habsburgerreiches die stärkste Anziehungskraft” besaß, so die „Times”, haben „vierzig Jahre Frieden und dreißig Jahre Neutralität genügt, um die letzten Spuren dieses heldenhaften Idealismus fortzuspülen und eine Partei zu hinterlassen, die im Materialismus und in der politischen Apathie des Nach-kriegs-österreich hin und her stolpert”.
Die Analyse der SPÖ bleibt aber nicht so unverbindlich. Die „Times” gräbt in den Wunden der bekannten innenpolitischen Wechselfälle der letzten Zeit, nennt die „gewalttätigen Auseinandersetzungen um ein Kraftwerksgelände” und will auch nicht die Affäre um einen „diskreditierten Verteidigungsminister, der wegen seines Treffens mit einem repatriierten Kriegsverbrecher noch immer rücktrittsreif ist” auf mangelndes Charisma der Bundespolitiker reduziert wissen.
Zur Situation von Bundeskanzler Fred Sinowatz fällt der weltweit angesehenen Zeitung nur ein Wort ein: „Belagerungszustand”. Auf die herrschende Bunkerstimmung wird dann auch zurückgeführt, daß die neuen Herren der SPÖ kaum Zeit für Ideen, „geschweige denn für ein Medien-Konzept” haben.
Das Interesse an einer Parteizeitung, „die versucht, Diskussionen in Gang zu setzen”, wird der neuen Politikergeneration der Nach-Kreisky-Ära überhaupt abgesprochen.
Kristallisationspunkt dieser Bruchlinie im Selbstverständnis der SPÖ ist für die „Times” die Leserbrief seite: „Seit Monaten -manche sagen, genau seit dem Tag, an dem Bruno Kreisky vor zwei Jahren die Macht aus der Hand gab - gilt diese Seite als Dorn im Fleische des sozialistischen Establishments. Manche fragen sich sogar, wieso es Leute gibt, denen das Hin und Her der politischen Auseinandersetzung wichtiger ist als der brennende Wunsch nach einer ruhigen, gesicherten Existenz.”
Auf dem Sterbebett
Ideologiebewußte Linke auf der einen Seite, Pragmatiker der Macht auf der anderen Seite, das ist die Schnittstelle, an der sich die „Arbeiter-Zeitung” ausblutet. Und gleichzeitig zum Symbol wird für den dahinsiechenden Sozialismus in der Partei.
Die „Times” zitiert dazu den Außenpolitiker der AZ, Georg Hoffmann-Ostenhoff, der „den Sozialismus alter Art auf seinem Sterbebett” sieht: „Die neue politische Generation der SPÖ, die jetzt die Parteispitze bildet, hat den Wunsch, jedermann abzuschieben, der in seinem politischen Denken der Tradition folgt.”
Worin die „Times” die Zukunft der AZ liegen sieht, sollte die SPÖ aber auch nicht froh stimmen: „Es ist möglich, daß der Hang der Österreicher zur Nostalgie das Firmenschild .Arbeiter-Zeitung' am Leben erhalten kann. Es wird aber stärkerer Kräfte bedürfen, wenn der nicht wenig gefeierte österreichische Sozialismus ebenfalls überleben soll.”
Die politische Analyse bringt an das Tageslicht, wo letztlich die Verantwortung für das Ende der Parteizeitung liegt. Die AZ legt sich mit der Parteitradition aufs Sterbebett. Was danach vielleicht noch kommt, kann wahrscheinlich nur ein Kleinformat sein - in jedem Sinn.
Wie man zu der Entwicklung steht, ist Ansichtssache — aber sehen sollte man sie.
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