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Die bulgarische Piste im türkischen Gestrüpp

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Am 13. Mai 1981 um 17.17 Uhr fielen Schüsse auf dem Petersplatz in Rom. Momente später brach Papst Johannes Paul II. schwer verletzt zusammen. Vier Jahre später stehen nun die mutmaßlichen Mitverschwörer des Attentäters Mehmet Ali Agca in Rom vor Gericht.

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Am 13. Mai 1981 um 17.17 Uhr fielen Schüsse auf dem Petersplatz in Rom. Momente später brach Papst Johannes Paul II. schwer verletzt zusammen. Vier Jahre später stehen nun die mutmaßlichen Mitverschwörer des Attentäters Mehmet Ali Agca in Rom vor Gericht.

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Auf dem Markt der Mörder gab es ein Angebot: „Kennst du jemanden, der für eine hohe Summe bereit wäre, den Papst umzubringen?”, fragte zur Zeit des Oktoberfestes 1980 ein Türke in München seinen Landsmann Salik. Dieser wird einer der Zeugen sein, die im Prozeß gegen die mutmaßlichen Mitverschwörer des Attentats vom 13. Mai 1981, der jetzt in Rom beginnt, als Zeugen auftreten.

Der Mann, den Salik belastet, gilt als Vertrauter eines — freilich abwesenden - Hauptangeklagten, des Türken Bekir Celenk. Zu den Geschäften dieses unheimlich vielseitigen, zwischen Ost und West, Europa und Amerika pendelnden Kaufmanns soll nämlich nicht nur einträglicher Handel mit Waffen und Drogen, sondern beiläufig auch die Bestellung des Mordanschlags auf Johannes Paul II. gehört haben. So behauptet beharrlich der Attentäter Ali Agca, der in Rom bereits lebenslänglich verurteilt ist und nun als Hauptzeuge der Anklage auftritt.

Agca will dem „mafiosen” Herrn aus Istanbul, den er in allen Einzelheiten - bis zum Brillantring - zu beschreiben weiß, Anfang Juli 1980 in der bulgarischen Hauptstadt Sofia begegnet sein — genau dort, wohin sich Celenk eilends absetzte, als er in München davon hörte, sein Name figuriere zusammen mit denen bulgarischer Geheimagenten in Agcas römischen Aussagen.

Und just in Sofia sitzt nun dieser Celenk, seine Unschuld beteuernd, seit über zweieinhalb Jahren in luxuriösem Hausarrest — „unter Kontrolle”. So nennen es Bulgariens Behörden. Sie hätten diesem Celenk — falls er in dieser Sache mit ihnen wirklich unter einer Decke steckt — überall nur nicht in Bulgarien Unterschlupf (zumal öffentlichen) verschaffen dürfen. Sie schickten hingegen — zusammen mit allerlei, zum Teil v durchaus nützlichem Beweismaterial - Aussagen Celenks nach Rom, ohne jedoch den Angeklagten selbst auszuliefern.

Warum? Fürchten sie die Zweifel, die ihr Verhalten erregt, weniger als die Folgen eines Auftritts von Celenk vor dem italienischen Gericht? Nehmen sie lieber den Verdacht einer zwielichtigen Rolle beim Papst-Attentat auf sich als zu riskieren, daß Licht in den Dschungel ihrer Verfilzung in türkische Mafia-Umtriebe fällt?

Ilario Martella, der Untersuchungsrichter, der jahrelang geduldig jede SpUr verfolgte, vermeidet es, diese Fragen offen anzuschneiden; auf der neunhundertsten seiner 1243 Seiten langen Anklageschrift stellt er nur lakonisch fest, daß bislang nichts „die gegenwärtige Beziehung zwischen dem türkischen Bürger Bekir Celenk und dem bulgarischen Staat zu erkennen läßt.”

Dies wie manches andere Fragezeichen könnte, so hofft Martella, der Prozeß auflösen, wenn die Indizien, die er — fast ohne Vorurteil — zusammengetragen hat, „im Streitgespräch der Prozeßparteien öffentlich eine vertiefte Wertung erfahren”. Dazu gehören nicht zuletzt die Aussagen des Mordschützen Ali Agca, der sich immer wieder korrigierte, in Widersprüche verwickelte, aber doch genug Hinweise lieferte, die der genauen Uberprüfung standhielten.

Gewiß ist, daß außer Agca auch sein engster Freund, der (seitdem spurlos verschwundene) Oral Ce-lik auf den Papst geschossen hat — beide als „Terroristen ohne Ideologie, Abenteurer, für Geld bereit zu jeder Aktion” (so Agca selbst).

Im Dienst der radikal nationalistischen „Grauen Wölfe” hatte sich Agca 1979 beim Türkeibesuch Johannes Pauls II. mit einem Drohbrief als potentieller Attentäter empfohlen; durch jene „Wölfe” erhielt er zuerst einen falschen indischen Paß, mit dem er Anfang Juli 1980 nach Sofia reiste und den er dann in der Nacht vom 30. zum 31. August im Niemandsland der bulgarisch-türkischen Grenze — in einen falschen türkischen Paß mit dem Namen „Ozgun” umtauschte (den ihm sein Freund Celik dorthin brachte).

Mit diesem neuen Papier schon nach wenigen Minuten wieder über den Grenzpunkt Kapikule auf bulgarisches Gebiet zurückgekehrt, fuhr ”Agca durch ganz Bulgarien, um noch am gleichen 31. August die Grenze nach Jugo-

,,Nicht ,aus der Kälte' eines präzise arbeitenden Planungsstabes kam der Killer, sondern aus einem Dschungel” slawien zu überschreiten und dann nach monatelangen Kreuz-und Quer-Reisen den Tatort Rom zu erreichen.

Die Tatsache, daß Bulgariens Justiz für Agcas Ein- und Ausreise nach dem Namens- und Paßwechsel keine Bestätigung finden konnte, obwohl die entsprechenden Stempel im Paß des Türken vorliegen, lasse auf „entgegenkommende Duldsamkeit des Grenzpersonals” schließen, folgert delikat die Anklageschrift.

Solche bulgarischen „Gedächtnislücken” kamen auch dem — bis heute in München ansässigen — Türken Omer Mersan zu Hilfe, der zunächst leugnete, in Sofia mit Agca und seinem Auftraggeber Celenk Anfang Juli 1980 „geschäftlich” zusammengetroffen zu sein. Er gab dies erst zu, als die bayerische Staatsanwaltschaft der römischen eine Kopie seines Passes mit den Stempeln der fraglichen Tage vorlegte — während die bulgarische Justiz, konfrontiert mit diesen Aufenthaltsbeweisen, die ihr angeblich fehlen, betreten schwieg.

Mersans „zweideutige Rolle” (so die Anklageschrift, die ihn dennoch nur als Zeugen, nicht als Angeklagten nennt) könnte im Prozeß wichtiges Indiz für eindeutigere Schlüsse werden. Der Fernfahrer Bernard Bächer wird als Zeuge berichten, wie er zusammen mit Mersan im Sommer 1980 aus München Kakao in die Türkei transportierte, der sich just in Sofia — mit Mersans und gewisser Bulgaren tätiger Hilfe - in eine Ladung Waffen verwandelte, die dann die zugedrückten Augen bulgarischer und türkischer Zöllner passierte.

Was besagt aber all dies über die Hintergründe des Papstattentats? Agca erhielt den Mordauftrag in einem Milieu, in dem sich vielerlei zwielichtige Interessen mit kriminellen Machenschaften kreuzten — und deckten. Und dies mitten in einem kommunistischen Staat, wo Polizei und Geheimdienst ungleich größere Kontroll-und Machtbefugnisse haben (zumal über eigene „Mitarbeiter”) als etwa in der Bundesrepublik oder Italien.

Freilich, so absurd die Annahme wäre, Bulgariens Sicherheitsleute hätten nichts vom Tun und Treiben türkischer Hotelgäste in Sofia gewußt (sollten alle Mikrofone in den Zimmern versagt haben?), so wahrscheinlich ist, daß manche dieser Beamten nicht nur als dienstliche, sondern auch als private Nutznießer im „Geschäft” mitmischten.

Sehr unwahrscheinlich hingegen ist, daß solches Mittun bei Agcas Mordaktion so dilettantische Formen hätte annehmen können (wie es Agca darstellt), falls tatsächlich ein Geheimdienst-Auftrag von „ganz oben” vorlag. Ein solcher nämlich hätte b.ei einem so prominenten „Objekt” wie dem Papst höchste „Professionalität” erfordert.

Wie sehr es gerade daran haperte, ergibt sich aus Richter Martel-las Untersuchungsergebnis. So hat keiner der drei angeklagten Bulgaren auch nur für ein brauchbares Alibi vorgesorgt. Antonov, der Bürochef von „Balkanair” in Rom (der einzige beim Prozeß anwesende bulgarische Angeklagte), hatte noch Ende 1982 keine spontane Antwort auf die Frage bereit, wo er denn an jenem unvergeßlich-dramatischen 13.

„Ob die nachweisbaren Indizien für ein Gerichtsurteil oder gar für die Klärung der Hintergründe ausreichen, ist fraglich”

Mai 1981 gewesen sei, sondern erkundigte sich zuerst, was das für ein Wochentag war (montags und freitags hatte er auf dem Flughafen zu tun), um dann jedoch genau zu schildern, was er im Büro beim Anhören der Radio-Nachrichten vom Papst-Attentat empfunden habe.

Welches Kaliber von Agent war dieser Antonov, falls er wirklich, wie Agca behauptet, zweihundert Meter vom Petersplatz vor der kanadischen Vatikanbotschaft (!) seinen Wagen parkte, um gemächlich die Mörder nach getaner Arbeit zu erwarten? Mußte er nicht damit rechnen, daß der Attentäter, der mitten in der Menge die Pistole erhob, verfolgt würde, wenn ihm überhaupt die Flucht in Richtung des Antonov-Autos gelingen würde?

Was, außer unbeholfener Angst, bewog Antonov, im Verhör seine Englischkenntnisse zu leugnen, die für den Bürochef einer Luftfahrtgesellschaft normal sind und als solche gewiß noch kein Indiz für Kontakte mit dem schwach englisch sprechenden Agca? Und warum bewegten sich der Militärattache Wasiliew und der Botschaftskassier Aiwazow, die jetzt — in Abwesenheit — als mitverschworene Helfer und Organisatoren des Attentats angeklagt sind, so unglaublich sorglos?

So sollen sie zusammen mit Agca und Celik bei ausführlicher Ortsbesichtigung auf dem Petersplatz erkundet haben, wo und wie „ihre” Türken (keine besonders guten Schützen) am günstigsten zu postieren waren. Mußten Aiwazow und Wasiliew— als östliche Diplomaten allemal geheimdienstverdächtig — nicht damit rechnen, bei allen ihren öffentlichen Kontakten beschattet zu werden? Oder konnten sie sicher sein, daß eben dies in Rom nicht geschah?

Merkwürdig, daß sich in den Untersuchungsakten kein italienischer Polizei- oder Abwehrbericht über besagte Herren zu befinden scheint.

Hingegen wird in den Akten zum Teil eine Behauptung Agcas bestätigt, wonach es die Bulgaren eilig hatten, weil der französische

Geheimdienst von dem Mordplan Wind bekommen habe. Tatsächlich war der Vatikan aus Paris schon Monate vor den Schüssen auf dem Petersplatz gewarnt worden, es drohe ein Anschlag auf den Papst. Woher, von wem?

Als später die italienische Justiz danach fragte, zog sich der damalige französische Geheimdienstchef auf das Staatsgeheimnis zurück — „von Präsident Mitterrand persönlich autorisiert” ...

Nicht nur an solche Grenzen stieß Richter Martella auf der bulgarischen Piste. Diese verliert sich immer wieder im nahezu unentwirrbaren Gestrüpp der türkischen Untergrund-Szene von Ankara bis Amsterdam.

Nicht „aus der Kälte” eines präzise arbeitenden Planungsstabes kam der Killer, sondern aus einem Dschungel. Ob die nachweisbaren Indizien und Agcas Aussagen für ein Gerichtsurteil oder gar für die Klärung der Hintergründe ausreichen, ist fraglich. Beweisbar ist, daß Agca und die Bulgaren sich kannten; auch daß, wie Agca wußte, ein bulgarischer Fernlastzug vor der Botschaft in Rom bereitstand und — unter Zollverschluß — am Abend jenes 13. Mai nach Sofia startete.

Doch fast*nichts wiegt all das, was Agca im Laufe der Jahre an „politischen” Hinweisen gab — etwa indem er einmal einen sowjetischen Militärattache in Teheran als Auftraggeber nannte, ein anderes Mal - in einem Brief vom 5. August 1983, der aus dem Gefängnis geschmuggelt wurde — den amerikanischen Militärattache in i Rom als Mitverschworenen ansprach.

So einfach wie sich manche, selbst gründliche Buch-Autoren in West und Ost die Schlußfolgerung machen, ist sie eben nicht. So glaubt Ciaire Sterling („The Time of Assasins”, deutsch: „Wer erschoß den Papst”, Universitas Verlag, München 1985) zweifelsfrei die Hand des sowjetischen KGB hinter allem zu sehen. Der Pole Eugeniusz Guz durfte als erster Autor des Ostblocks in 100.000 Exemplaren („Zamach na papie^ za”) den Landsleuten des Papstes die Fakten und Probleme des Attentats darstellen, freilich mit dem Schluß, die bulgarische Piste sei — „wie beim Reichstagsbrand” (1933) — nichts als eine antikommunistische Provokation.

Mehr Gewicht hat indessen, was der Amerikaner William Hood, der als „Veteran des CIA” vorgestellt wird, in der vom US-Informationsdienst herausgegebenen Zeitschrift „Problems of Commu-nism” mit vielen Argumenten untermauerte: „Das ist nicht die Art, in der irgendein Geheimdienst einen Agenten für eine wirklich geheime Mission präpariert, zumal für die Ermordung eines der berühmtesten Männer der Erde.”

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