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Die BUrgerlichen (wer sind sie?) gewinnen wieder Wahlen

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Es mag Leute geben, die das Wort „Trendumkehr“ nicht mehr hören können. Einige von ihnen sind die naiv Wohlmeinenden, die behaupten, daß man „sich ohnehin in den Sack lüge“; andere hingegen sind die bewußten Unterdrücker, die genau wissen, daß die politische Auseinandersetzung im wesentlichen „ein Kampf um die Besetzung von Begriffen“ ist (Biedenkopf).

Kein Wunder, daß die Linke erstaunt ist und nervös reagiert, wenn die „Bürgerlichen“, alle anderen also, plötzlich nicht nur Wahlen entweder gewinnen, oder aber bei Wahlen merklich aufholen, sondern darüber hinaus gar noch „in Ideologie machen“ — was doch eindeutig linke Domäne ist, um so mehr, als ja bekanntlich auch der (Zeit)Geist links steht.

Zu allem Überdruß begannen sich sogar die britischen Konservativen aufzurappeln, deren Oktober-Parteitag in Brighton nicht nur eine Versöhnung innerhalb der Parteispitze brachte, die vor allem der langjährige Thatcher-Kritiker Edward Heath herbeigeführt hatte, sondern auch deutliche Zuversicht ausstrahlte.

Ein Braintrust von Oxford-Erper-ten ist zudem mit der intellektuellen Aufrüstung der Konservativen beschäftigt und hat bereits erste Ergebnisse vorgelegt, („The Conserva-tive Opportunity“, herausgegeben von Lord Blake und John Patton bei The Macmillan-Press, London.) Dieser Sammelband, der davon ausgeht, daß sich das geistige Klima auf der Insel zugunsten der Konservativen verschoben habe, enthält neben einem Maßnahmenkatalog für die künftige Regierungspolitik auch einen aktuellen Versuch zur Entstaubung der konservativen Prinzipien — dies zum ersten Mal seit 30 Jahren! Auch die politologische Literatur in England setzt neue Akzente. In ihrem Essay „The Con-servative Dilemma“ fordert Gillian Peele die Konservativen auf, sich wieder auf ihre eigene Wertordnung zu besinnen. Diese sei im Pluralismus zu finden, ganz im Sinne Karl Poppers, der von der nicht mehr ganz so neuen Linken als „Modephilosoph einer neuen Heilslehre“ abqualifiziert wird (was aber die bundesdeutschen Sozialdemokraten nicht davon abhält, sich Popper als ihren „Hausphilosophen“ zu halten).

Von den schwedischen und bundesdeutschen Wahlergebnissen in diesem Zusammenhang zu sprechen, wäre banal; der Schock, der allen europäischen Sozialisten in die Glieder gefahren ist, läßt sich — trotz der dick aufgetragenen Schminke — immer noch von den Gesichtern ablesen, vor allem, seit die kürzlich in Finnland durchgeführten Gemeinderatswahlen den Konservativen, als den einzigen wirklichen Gewinnern, nennenswerten Zuwachs brachten, durch den sie mit nunmehr 21 Prozent der Stimmen zur zweitstärksten Partei des Landes geworden sind.

In Holland haben sich die drei christlich-demokratischen Parteien nach jahrelangem Tauziehen zu einer Aktionsgemeinschaft zusammengerauft. Die (cadvinistische) Antirevolutionäre Partei (ARP), die Katholische Volkspartei (KVP) und die Christlich-Historische Union (CHU) haben sich entschlossen, unter der Sammelbezeichnung „Christen Demokratisch Appel“ (CDA) gemeinsam in den nächsten Wahlkampf zu gehen. Diese Entscheidung kam um keinen Tag zu früh, denn die nächsten Wahlen in Hollland werden schon am 25. Mai 1977 stattfinden. Bisher waren die ARP und die KVP in der Regierungskoalition des Sozialdemokraten Joop den Uyl vertreten, während die CHU die Oppositionsbank drückte. Ungelöst ist hier nur noch die Frage des gemeinsamen Spitzenkandidaten, die sich schwierig gestalten wird, weil es sich bei dem Zusammenschluß um ein (noch) nicht sehr homogenes Gebilde handelt Außerdem dürften einige höhere ARP-Politiker auch für die Zeit nach den nächsten Wahlen wieder eine Koalition mit den Sozialdemokraten im Auge haben. Dem könnte nur ein Wahlsieg der CDA vorbeugen, oder auch, für den Fall einer starken relativen Mehrheit (an die absolute wagt ohnehin niemand zu denken) eine Koalition mit der derzeit bedeutendsten Oppositionspartei, der rechtsliberalen „Partei für Fortschritt und Demokratie“.

Eine anders geartete Sensationsmeldung aus Dänemark ging kürzlich durch die Weltpresse. Die Partei des Steuergegners Glistrup rangiert nach einer Umfrage des Gallup-Insstitutes hinter den regierenden Sozialdemokraten mit rund 23 Prozent an zweiter Stelle! Das veranlaß-te den sozialistischen Klubsekretär Olesen, zuzugeben, daß man diesen Mann unterschätzt habe. „Wir dachten, er werde einfach wieder verschwinden. Was immer er ist — er hat ein enormes Talent, an Problemen zu rühren, von denen die Leute sich am meisten betroffen fühlen.“

Glistrup, dessen Programm — so er überhaupt eines hat — genügend Ungereimtheiten enthält, sollte nicht überbewertet werden. Doch haben die Sozialisten, wie auch die anderen Parteien Dänemarks, deutlich erkannt, worum es im Grunde geht: um das wachsende Unbehagen der Bevölkerung, hervorgerufen durch den — vor allem von den Linksparteien — forcierten Trend in Richtung auf mehr Staat, mehr Bürokratie, mehr Steuern, mehr Zwangsbe-giückung, mehr Abhängigkeit!

Solches Unbehagen ist in ganz Europa zu beobachten, ebenso wie die zunehmende Erkenntnis bei den Wählern, daß Schlagworte wie „mehr Gleichheit“ oder „mehr Demokratie“ in der überwiegenden Zahl der Fälle kein Mehr an Lebensqualität zur Folge haben, sondern ein Mehr an Beamten, Steuern, Abgaben und öffentlicher Verschuldung.

Auch das vor wenigen Tagen vorgelegte Budget der österreichischen Bundesregierung verrät diese Tendenz mehr als deutlich. Sollte es der ÖVP nicht gelingen, Ursache und Wirkung dem Herrn Österreicher begreiflich zu machen, dann läßt sie ein Vakuum zu, in das ein österreichischer Glistrup leicht eindringen könnte.

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