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Die Chance aller Christen

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Spätestens die allseits konstatierte Zunahme durch Sinnlosigkeit verursachter moderner Neurosen (Viktor Frankl), des Suchtgiftmißbrauchs einer zwar lauten, aber im Inneren vereinsamten Jugend, das Aufleben nostalgischer Sitten signalisieren in nicht zu überbietender Deutlichkeit das Ende einer geistesgeschichtlichen Ära. Die Verabsolutierung menschlicher Planungsmächtigkeit und technischer Selbstherrlichkeit führt sich ad absurdum an der harten Realität der verschiedenen Schallmauern. Von der Energie- bis zur Rohstofflcrise blinken die Warnlichter einer überforderten Zivilisation.

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Spätestens die allseits konstatierte Zunahme durch Sinnlosigkeit verursachter moderner Neurosen (Viktor Frankl), des Suchtgiftmißbrauchs einer zwar lauten, aber im Inneren vereinsamten Jugend, das Aufleben nostalgischer Sitten signalisieren in nicht zu überbietender Deutlichkeit das Ende einer geistesgeschichtlichen Ära. Die Verabsolutierung menschlicher Planungsmächtigkeit und technischer Selbstherrlichkeit führt sich ad absurdum an der harten Realität der verschiedenen Schallmauern. Von der Energie- bis zur Rohstofflcrise blinken die Warnlichter einer überforderten Zivilisation.

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Der biblische Auftrag „Macht euch die Erde Untertan“ wurde gründlich mißverstanden. Beherrschung wurde und wird verwechselt mit Ausbeutung, Zerstörung und Gedankenlosigkeit. Die entfesselte Ratio kannte keine Grenzen, im Rausch ihrer vermeintlichen Selbstmächtigkeit erhob sie sich nur allzu leicht über eherne Naturzusammenhänge, verfiel in Selbstversklavung durch Selbstvergötzung. Kein vernünftiger Grund konnte die Natur des Menschen selbst, seine Personalität, vor dem allgemeinen Herrschaftstaumel bewahren. So verstieg sich eben ein Materialismus zur Vermessenheit einer machbaren, vielleicht schon morgen vollendbaren heilen Welt und Gesellschaft.

Den Preis für diesen Irrglauben bezahlen Millionen von Menschen in den Systemen des Kommunismus. Im Umgang mit den Oppositionellen wird der Gipfel dieser Perversion erreicht: Eine in sich neurotische Doktrin proklamiert ihre Gegner zu Neurotikern mit Freiplatz im Irrenhaus, statt sich selbst der Therapie zu unterziehen.

Aber auch der einfallslose Materialismus eines konsumschwangeren Westens läßt Menschlichkeit, Gefühl und Liebe verkarsten - zu bizarren Ausnahmserscheinungen einer ausgetrockneten Landschaft manipulierter Plastikherzen, seien sie nun golden oder nicht. Verschiedene Auswirkungen und Symptome ein und desselben

Übels: Der Anbetung des menschlichen Verstandes, des eigenen Ichs.

Gesellschaft, Gesellschaft über alles, und die Anbetung des goldenen Kalbes, das sind bloß die zwei Seiten ein und derselben Medaille.

In seltener Eintracht dokumentieren Ost und West die Erbsünde des Menschen: Sein zu wollen wie Gott, den sie vorsichtshalber in den verstaubten Herrgottswinkel oder ins Nichts der Materie verbannt haben. Der Geist, der nur sich selbst bejaht, verliert ganz einfach den Horizont, erahnt nicht mehr das unendliche Mehr, das ihn letztlich hält Da ihm Gott und der Gehorsam gegen ihn ein Greuel ist, begibt er sich auch der Fähigkeit zu heben und sich hinzugeben. Seine Sittlichkeit ist alltägliche Anständigkeit, ganz ohne höheren Anspruch umfassender und heilender Liebe. Es ist der Geist, der „Ja“ zum Bruder sagt und sich selber meint, der sich im Wohlstand vordergründig selbst befriedigt

Wen wundert noch, daß dieses Haus auf Sand gebaut in seinen Grundfesten sich erschüttert zeigt, daß überall der Ruf erschallt nach Grundsätzen, Sinn und Grundwerten, schlicht nach mehr Lebensqualität? Der Ruf des bevorstehenden 21. Jahrhunderts motiviert christliche Gruppierungen ebenso wie marxistische oder sozialistische Parteien.

Aber gerade die sozialistische Parteitagsvision von der „Vollendung der Demokratie“ vermag eben keine Bewegung in die saturierten Massen zu bringen, die konkrete Liebe zum

Nächsten anzukurbeln. Wirklich sinnvoll ist diese Idee nur im Horizont des Glaubens an unseren Bruder Jesus, der Liebe nicht nur allzeit lebte, sondern sie mit göttlicher Autorität von jedem Einzelnen verlangte.

Applaudiert man seitens der Regierungspartei eifrig den Versuchen einer Regeneration ethischer Grundwerte, hindertdies nicht im geringsten an einer gegenteiligen Praxis. Statt echte Menschlichkeit und Solidarität - das Grundanliegen sämtlicher sozialistischen Gewerkschaftsbewegungen -dort zu sichern und zu verlangen, wo alle Menschlichkeit ihren Anfang nimmt, nämlich in der Familie, zerstört man systematisch die Gewissenspflicht zur Lebensbejahung ungeborenen Lebens (durch die Fristenlösung) und partnerschaftlichen Solidarität (durch die Scheidungsreform).

Wie soll denn Solidarität im öffentlichen Bereich Platz greifen, wenn sie schon in der familiären Grundschule zwischenmenschlicher Beziehungen leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird durch billigen staatlichen Konsumentenschutz!

Behinderte, Kranke und verlassene Alte können nur dann in den Genuß modernen Lebensglücks gelangen, wenn ihnen über das Lebensnotwendige hinaus echte menschliche Zuwendung, die Zeit und Liebe anderer Menschen zuteil wird.

Hier hegen die Aufgaben der Zukunft für alle christlichen Gruppierungen unserer Gesellschaft wie im besonderen für den Cartellverband der katholischen Studentenverbindungen. An der erkannten Notwendigkeit der beständigen Übung mitmenschlicher Solidarität durch Einzelne und überschaubare Menschengruppen muß daher ein Programm der Zukunft ansetzen.

Der österreichische Cartellverband und seine Verbindungen haben sich daher verpflichtet (bei der diesjährigen Generalversammlung in Melk), karitative und soziale Engagements zu entwickeln. Alle Verbindungen starten Betreuuungsaktionen zu Gunsten benachteüigter Sozialfälle. Dabei gewonnene Erkenntnisse werden durch ein öffentliches Seminar zur nächstjährigen Generalversammlung verarbeitet.

Eine Internationale Messe für Entwicklungshilfe vom 13.-17. November 1978 im Wiener Messepalast soll vor allem das Bewußtsein der Jugendlichen für die Bedeutung konkreter Hilfsleistungen an die ärmsten Menschen unserer Erde öffnen.

Menschenrechte dürfen nicht nur in der Theorie diverser Verfassungen Geltung besitzen, sie müssen in der Praxis des alltäglichen Lebens einer Gesellschaft dauerndes Bemühen um ihre umfassende Verwirklichung mobilisieren.

Alles in allem muß ein für allemal die Substanz menschlicher Lebensqualität hinreichend demonstriert werden. Nicht materieller Luxus, sondern menschliche Liebe allein vermag das zu realisieren, wonach sich alle Menschen sehnen: Glück und Zufriedenheit.

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