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Die Christen Saddam Husseins

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Oft wird vergessen, daß im Irak 1,200.000 Christen leben, das sind etwa acht Prozent der Bevölkerung. Der größte Teil davon (750.000 chaldäisch-katholische Christen) ist seit dem 16. Jahrhundert mit Rom verbunden. Fünf Wochen vor Kriegsbeginn hat die irakische christliche Gemeinschaft eine friedliche Lösung gefordert. In Bagdad hat eine „Friedenskonferenz” stattgefunden. Die Christen haben gehofft, eine politische Lösung für diese Krise zu finden. „Wir haben nicht geglaubt, daß der Krieg so zeitig anfängt. Warum? Man hat dem Frieden keine Chance gegeben”, sagte der Patriarch von Bagdad, Raphael Bidawid.

Die Christen sind besorgt. Sie fragen, warum man den Irak zerstören muß, um Kuweit zu befreien. Der Klerus fordert eine internationale Nahostkonferenz, spricht aber nicht von einer Rückgabe Kuweits, denn diesbezüglich darf wohl die Position Saddam Husseins nicht in Frage gestellt werden.

Der irakische Klerus tritt für Gerechtigkeit ein: für die Palästinenser, für die Libanesen - denn die seien auch Menschen wie die Kuweiter. „Was hat der Westen getan, um die libanesischen Christen zu retten? Und heute ist dieser Westen bereit, alle Christen in Nahost für einige Ölfässer zu opfern”, sagt Patriarch Raphael, vorher über 20 Jahre chaldäischer Bischof von Beirut, und weist damit deutlich auf die negativen Konsequenzen hin, die dieser Krieg für die örtlichen Kirchen haben kann.

Aber was hält der irakische Klerus von Saddams Aufrufen zum Jihad („heiligen Krieg”)? Diese Appelle richteten sich nicht gegen die Christen, sondern gegen die westlichen Mächte, meint der Patriarch, man solle nicht fälschlich Christentum mit Westen gleichsetzen. Trotzdem haben die christlichen Führer in dieser Region die Sorge, daß ein längerer Krieg der Beziehung zu den moslemischen Brüdern schaden kann.

Die irakische Kirche genießt religiöse Freiheit und kulturelle Anerkennung. Im Fernsehen, Radio und in den Zeitungen benutzt man die aramäisch-syrische Sprache. Darum meinen manche Beobachter, daß die irakischen Christen in ihrer arabisch-moslemischen Umwelt, die zur Intoleranz neigt, gut integriert sind. Die Christen sind oft gut gebildet und stellen viele Ingenieure, Ärzte und Offiziere.

Ein großer Teil der Christen, wie der Gouverneur der Zentralbank des Irak, bekleidet hohe Posten in Behörden oder im Wirtschaftsleben, vor allem seit der Wiederzulassung von Privatunternehmen. Während des Irak-Iran-Krieges vertraute Saddam mehr den christlichen Offizieren als ihren schiitischen Kollegen. Der irakische Außenminister, Tarik Aziz, ein chaldäischer Christ, ist praktisch nach Saddam Hussein der zweite Mann in der Regierung.

Die Kirchen im Irak genießen auch einige Privilegien. Sie bezahlen keine Betriebskosten für ihre Kultstätten. Unter dem Titel der nationalen Verteidigung und des Kulturgüterschutzes ließ Saddam Hussein viele Kirchen und Klöster restaurieren. Jüngst hat der Präsident der chaldäischen Kirche eine Fläche von 25.000 Quadratmetern geschenkt, um darauf eine neue Kathedrale und ein neues Patriarchat zu erbauen. Aber der Krieg hat dieses Vorhaben gestoppt.

Bei Bewahrung einer laizistischen Orientierung knausert Bagdad nicht, Kultstätten verschiedener Glaubensrichtungen zu pflegen, um die Klagen der Ayatollahs bezüglich Atheismus zu durchkreuzen, zum Beispiel durch Erneuerung des größten schiitischen Heiligtums.

Das friedliche „Zusammenleben” mit dem Staat erlaubt den Kirchen manchmal auch Proteste auszusprechen oder Forderungen zu erheben. 1981 wehrte sich die Kirche erfolgreich gegen Koranunterricht für christliche Schulkinder. Heute bemüht sie sich darum, daß christliche Kinder bei Übertritt eines Elternteils zum Islam nicht automatisch Moslems werden. Außerdem ersucht die Kirche um Repri-vatisierung ihrer Schulen, die verstaatlicht worden sind.

Man sagt in Bagdad, daß die Christen die größten Verteidiger der (wenigen Irakern verständlichen) Baath-Ideologie des Regimes sind. Trotzdem heißt es aber noch, die Kirche mache „keine Politik”. Die erfolgreiche Integration und die religiöse Freiheit - sind sie der Preis für dieses „politische Schweigen”?

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