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Die Christen und der Rüstungswettlauf

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Ist der Rüstungswettlauf noch zu verantworten? Oder muß der Christ sich die Parole ,,Lieber rot als tot” ernsthaft zu eigen machen? Die Katholische Sozialakademie Österreichs hat dazu jüngst im Vorjahr Stellung bezogen. Das trug ihr viel Kritik und, wie sie selber meint, keine sachlichen Gegenargumente ein. Wir veröffentlichen im folgenden eine uns dieser Tage von der KSÖ zugegangene Stellungnahme (die um die - unbestrittene - Beschreibung der schrecklichen Wirkungen eines Atomkrieges gekürzt wurde) und Gegenargumente dazu.

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Ist der Rüstungswettlauf noch zu verantworten? Oder muß der Christ sich die Parole ,,Lieber rot als tot” ernsthaft zu eigen machen? Die Katholische Sozialakademie Österreichs hat dazu jüngst im Vorjahr Stellung bezogen. Das trug ihr viel Kritik und, wie sie selber meint, keine sachlichen Gegenargumente ein. Wir veröffentlichen im folgenden eine uns dieser Tage von der KSÖ zugegangene Stellungnahme (die um die - unbestrittene - Beschreibung der schrecklichen Wirkungen eines Atomkrieges gekürzt wurde) und Gegenargumente dazu.

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Die Broschüre der Katholischen Sozialakademie „Der Vatikan zur Rüstung” löste teilweise starke polemische Reaktionen aus. So etwa: „Diese Selbstmordprediger verdienen den Leninorden. Ihr Protest gegen den Rüstungswettlauf ist schwarz übertünchte Propaganda für die rote Weltrevolution” („Neue Kärntner Tageszeitung”, 22. April 1980).

Auffallend an diesen affektiven Reaktionen ist, daß sie nie auf die ganze Argumentationsweise der vatikanischen Aussagen und der daran anschließenden Überlegungen eingehen. Zur Klärung der verbreiteten Umdeutung soll deshalb hier auf die wesentlichsten Punkte nochmals kurz hingewiesen werden:

  1. Das römische Dokument und Papst Paul-VI. stellten in einer persönlichen Botschaft an die UNO fest: „Die immanente Logik bei der Suche nach einem Gleichgewicht der Kräfte treibt jede der beiden feindlichen Seiten dazu, nach einer gewissen Überlegenheit zu streben” (L'Osservatore Romano, 8. Juli 1978).
  2. Die Annahme, der dadurch ausgelöste Rüstungswettlauf könne unbegrenzt weitergehen, wird von Papst Paul VI. als eine „tragische Illusion” und vom römischen Dokument als das Produkt „einer kollektiven Hysterie” bezeichnet.

Diese zwei Grundeinsichten, die in der Broschüre der Katholischen Sozialakademie durch umfassende Analysen

,,Der Ausbruch aus dem Rüstungswettlauf setzt voraus, daß man zu einseitigen Vorleistungen bereit ist” erhärtet werden, führen zur Alternative: entweder läßt man den Dingen ihren Lauf, dann wird es früher oder später zu einer gewalttätigen Explosion in Form eines totalen Krieges kommen - oder man unternimmt Schritte, um die „immanente Logik” des Rüstungswettlaufes zu brechen.

Die erste Möglichkeit wurde bereits vom Konzil grundsätzlich abgelehnt, indem es den totalen Krieg ohne jede Einschränkung als „ein Verbrechen gegen Gott und die Menschen” und damit als schwer sündhaft verurteilte. Als christliche Möglichkeit bleibt deshalb nur der zweite Teil der Alternative.

Die „immanente Logik” des Rüstungswettlaufes kann aber nur aufgebrochen werden, wenn man aufhört, nach Überlegenheit zu streben. Wegen der Unmöglichkeit, die Gleichheit und die Absicht der Gegenseite genau festzustellen, heißt dies konkret: der Ausbruch aus dem Rüstungswettlauf setzt voraus, daß man zu einseitigen Vorleistungen bereit ist.

Gegen diese Folgerung richten sich nun die Einwände und die affektiven Reaktionen. In der Broschüre der Katholischen Sozialakademie wird jedoch die Schwierigkeit direkt angegangen, und es werden mehrere Maßnahmen genannt, bei deren Erfüllung der vorgeschlagene Weg trotz des Risikos als gangbar erscheint:

  1. Nicht totale Abrüstung, sondern nur ein erster Schritt (bei Aufrechterhaltung einer Zweischlagskapazität);
  2. voller Ausbau der Sozialen Landesverteidigung;
  3. internationale diplomatische Maßnahmen;
  4. Einwirkungen auf die Bevölkerung der Gegenseite etc.

Da wir nun in einer einmaligen weltgeschichtlichen Situation stehen, kann selbstverständlich kein Weg vorgeschlagen werden, der ohne Risiko wäre. Deshalb muß jeder Vorschlag auf sein Risiko hin gemessen und in großer Ehrlichkeit einer konsequenten Selbstprüfung unterzogen werden.

Wir glauben, daß genau dies in der Broschüre der Katholischen Sozialakademie geschieht. Aus dem Ergebnis versuchen aber manche, die ihrerseits nicht das gleiche zu tun wagen, ihr einen Strick zu drehen. Im denkbar schlimmsten Fall könnte es nämlich zu einer „defensiven Besetzung” Westeuropas kommen.

Der Katholischen Sozialakademie wurde vorgeworfen, sie vertrete die Position: „Es ist besser, unter russischer Knechtschaft zu leben, als gar nicht mehr zu leben” („Tiroler Tageszeitung”, 25. März 1980). Tatsächlich läuft die im Anschluß an römische Stellungnahmen vorgeschlagene Argumentation aber auf etwas ganz anderes hinaus.

Sie versucht einen Weg aufzuzeigen, wie die Rüstungsspirale und indirekt auch die Knechtschaft im Osten aufgebrochen werden kann. .Und nur im Sinne einer bis ins letzte gehenden Selbstkritik sagte sie: im allerschlimmsten Fall ist es immer noch besser, sich von innen her (wie die Christen im heidnischen römischen Reich oder heute viele im Osten) gegen Ungerechtigkeit und Lüge zu wehren, als selber einen „Verbrechen gegen Gott und die Menschen” zu begehen.

Wer diese Position kritisieren will, von dem dürfte man ehrlicherweise erwarten, daß er genau angibt, gegen welche grundlegenden Aussagen er sich wendet und welche andere Argumentation er anzubieten hat.

Diese bisher schuldig gebliebene „Gegenprobe” müßte beinhalten:

  1. Die Rechtfertigung der Rüstung angesichts von Millionen von Hungertoten, insbesondere von Kindern, angesichts des unsagbaren Leids, das mit der „absoluten Armut” verbunden ist;
  2. die Rechtfertigung der Rüstung angesichts der ernsten Gefahr des Zusammenbruchs des ökologischen Systems aufgrund des weltweiten exponentiellen Wirtschaftswachstums, das wiederum die Voraussetzung bildet, damit der Rüstungsindustrie die für sie notwendigen ungeheuren Mittel überhaupt zur Verfügung stehen;
  3. die Rechtfertigung der Rüstung angesichts der in Worten kaum faßbaren Folgen eines regionalen bzw. weltweiten Atomkrieges...

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