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Digital In Arbeit

Die Computertechnik lernt vom Gehirn

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FURCHE: Sind im Hinblick auf das Gedächtnis irgendwelche Schlüsse von der Arbeitsweise von Computern auf die des menschlichen Gehirns und umgekehrt zulässig?

GEORG DORFFNER: Bei den heute auf den Schreibtischen stehenden Computern ist klar, daß ihre Funktionsweise mit der des Gehirns nichts zu tun hat. Was man aber macht, und das wird im Bereich der „Künstlichen Intelligenz” immer populärer, ist, daß man in neuartigen Modellen für Maschinen wesentliche Anleihen bei der Funktionsweise des menschlichen Gehirns nimmt.

FURCHE: Welche?

DORFFNER: Im Gehirn basiert die Verarbeitung und Speicherung der Gedächtnisinhalte offenbar nicht lokal auf einer zentralen Verarbeitungseinheit, sondern auf einer in stark vernetzter Weise zusammenarbeitenden, sehr großen Anzahl kleiner Einheiten, also der Neuronen.

FURCHE: Hat das mit „neuronalen Netzen” zu tun?

DORFFNER: Die heißen eben deswegen so, weil man die Vernetzt-heit einer großen Zahl kleiner Prozessoren aufgreift und umsetzt. Das soll aber keinesfalls dazu verleiten, zu glauben, es könnte sich bei den neuronalen Netzen um eine Nachbildung oder Simulation des Gehirns handeln. Eine andere Idee wäre, daß jede dieser Verarbeitungseinheiten für sich allein relativ einfach ist und nicht sehr viel tut. Auch das einzelne Neuron dürfte ja keine sehr komplexen Funktionen erfüllen, sondern einfach Signale empfangen, auf kumulieren und wenn ein bestimmter Schwellenwert erreicht ist, „feuern”.

FURCHE: Was heißt Jeuern”?

DORFFNER: Das Neuron sendet ein Signal an andere Neuronen. Diese Idee der Signalausbreitung über Verbindungen wird in den neuronalen Netzwerken etwas formalisierter und vereinfachter verwirklicht. Die einzelnen Einheiten führen keine komplexen Programme durch, sondern relativ einfache Verarbeitungen.

FURCHE: Was ergibt sich daraus für das Gedächtnis?

DORFFNER: Man kann das menschliche Gehirn nicht direkt mit einem Speicher vergleichen. Es ist offensichtlich, daß im Gedächtnis nicht in einer verketteten Datenstruktur streng lokalisiert an einer bestimmten 'Stelle Daten stehen, sondern offensichtlich ist im Gehirn alles sehr stark verteilt. Man kann zwar grobe Funktionen wie SpracHe oder visuelles Sehen im Gehirn lokalisieren, aber nicht die Einzelinformationen. Wo speichere ich mein Wissen über meinen Weg zur Arbeit oder die Namen meiner Kollegen? Das scheint nicht wie in einem Computerspeicher streng lokalisiert gespeichert zu werden, sondern so, daß einzelne Speichereinheiten einander überlappen und mehrere Neuronengrup-pen an mehreren gespeicherten Inhalten beteiligt sind und der Inhalt sich erst aus einem Zusammenspiel von sehr vielen Einheiten ergibt. Wenn beispielsweise zwei Dinge einander ähnlich oder in ähnlichen Situationen vorgekommen sind, wird sich intern ein ähnliches Muster von Aktivierungen ergeben, und je ähnlicher sie sind, desto stärker werden sich diese Muster überlappen. So kann man vieles erklären, etwa, daß man als Mensch über Assoziationen zu Gedächtnisinhalten zugreifen kann. Damit geht offensichtlich auch die Fähigkeit einher, daß wir Menschen gut fähig sind, Dinge zu erkennen, die wir nur zum Teil sehen oder hören, die stark verrauscht oder gestört sind.

FURCHE: Computer können das bisher nicht...

DORFFNER: Mit Hilfe neuronaler Netzwerke kann man es sehr gut, viel besser, als bisherige Ansätze erklären. Aber wir sind selbstverständlich weit davon entfernt, den visuellen Informationsgehalt eines Bildes, das der Mensch erfa i-sen kann, in ähnlich aufgelöster Weise der Maschine zugänglich zu machen, also so, daß sämtliche Eigenschaften dieses Bildes gleichzeitig einen Einfluß darauf haben, was man erkennt.

FURCHE: Man gewinnt mitunter den Eindruck, daß neue kybernetische Entwicklungen sofort als Erklärungsmodelle auf das Gehirn übertragen werden und umgekehrt neue Einsichten über die Funktion des Gehirns benützt werden, neue kybernetische Modelle zu entwik-keln und daß auf diese Weise Moden entstehen. Kommt man mit dieser wechselseitigen Beeinflussung der Realität etwas näher oder bleibt der Abstand gleich?

DORFFNER: Schaut man sich die Versuche, den Menschen nachzubilden und zu verstehen, über die Jahrzehnte und Jahrhunderte an, war immer die höchstentwickelte Technologie ein Bild dafür, wie der Mensch funktionieren könnte.

Angefangen bei hydraulischen Systemen über die Dampfmaschinen und Telefonschaltbretter zu unseren heutigen Computern. Heute passiert aber erstmals das Umgekehrte: Man versucht, einige Funktionsprinzipien des menschlichen Gehirns, deren man sich relativ sicher ist, in künstliche Modelle umzusetzen. Also ein Schritt in die andere Richtung. Ob man damit der Realität näher kommt, ist auch eine Glaubensfrage. Ich bin schon davon überzeugt, daß wir einen Schritt weitergekommen sind, aber der wissenschaftliche Beweis steht aus. Die neuen Modelle scheinen intuitiv besser zu beschreiben, was das Gehirn machen könnte als andere, also als die Vorstellung vom Gehirn als einem Programm, das auf starken Logiken basiert und wie ein Computer Schritt für Schritt arbeitet. Das ist einfach weniger plausibel als die Idee, daß die Vielzahl der Eindrük-ke in einer stark vernetzten Verarbeitung einander überlappen und aufeinander Einflüsse haben und dadurch assoziativ zugreifen, fehlertolerant sein können und ähnliches.

Georg Dorffner ist Assistent am Institut für medizinische Kybernetik und Artifical Intelli-gence und arbeitet an Projekten des österreichischen Forschungsinstitutes für Artifical Intelli-gence Mit ihm sprach Hellmut Butterweck.

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