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Die DDR-Armee ist nicht „marschiert"

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Der „Prager Frühling" 1968 und seine Niederschlagung beschäftigt wieder die CSFR. DDR-Militärhistoriker lüfteten jetzt ein Geheimnis: Nicht wenige DDR-Offiziere lehnten ein Eingreifen ab.

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Der „Prager Frühling" 1968 und seine Niederschlagung beschäftigt wieder die CSFR. DDR-Militärhistoriker lüfteten jetzt ein Geheimnis: Nicht wenige DDR-Offiziere lehnten ein Eingreifen ab.

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Anfang August 1968 hatte die damalige sowjetische Führung den Entschluß gefaßt, den „Prager Frühling", den Versuch reformfreu- diger Funktionäre der KPTsch, mit Waffengewalt niederzuschlagen. Leonid Breschnew, Generalsekre- tär der KPdSU, wollte die Militär- intervention aber nicht allein durch die Rote Armee ausführen lassen. Vor der Welt und vor allem vor der internationalen kommunistischen Bewegung sollte dabei die ge- meinsame Kraft des „Friedensla- gers" dokumentiert werden. In den von der KP beherrschten Medien wurde seit Wochen eine Verleumdungskampagne gegen die CSSR betrieben. Man wollte den Genossen suggerieren, daß in der Tschechoslowakei eine Konterre- volution im Gange sei, die durch NATO-Staaten unterstützt werde.

Außer Sowjettruppen hatten an der militärischen Überrumpelung der CSSR am 21. August 1968 noch folgende verbündete Truppenver- bände teilgenommen: Divisionen der polnischen und ungarischen Volksarmee; ein bulgarisches Regi- ment und - offiziell - auch Streit- kräfte der DDR-Volksarmee. Ru- mänien und Albanien - beide in dieser Zeit noch Vollmitglieder des Warschauer Paktes - verweigerten ihre Mitwirkung an der Eliminie- rung des „Prager Frühlings".

Nun stellte sich kürzlich heraus, daß auch die DDR-Volksarmee am Einmarsch in die CSSR nicht betei- ligt gewesen war. Zwei aus- gewiesene Militärhistoriker des ostdeutschen Militärhistorischen Institutes haben in der letzten Aus- gabe der Zeitschrift „Militärwesen" (ein Periodikum, das nur intern vertrieben werden kann und zur Fortbildung der DDR-Offiziere dient) an Hand von Dokumenten dargelegt, was in der Tat in der. Nationalen Volksarmee in jenem August 1968 geschah.

Wir wollen dies hier kurz zu- sammenfassen, denn wir erfahren viel Neues über die Geschichte der volksdemokratischen Armeen im Europa der sechziger Jahre. Im Juli 1968, fast parallel zu den politischen und ideologischen Aktivitäten des Warschauer Paktes gegen den Demokrati- sierungsprozeß in der CSSR („Sozialismus mit menschli- chem Antlitz" war die zentrale Parole), zeichne- te sich - von Moskau gelenkt - eine militäri- sche Gewalt- anwendung ab. Im Juli fanden überraschend Kommando- übungen auf dem Territo- rium der CSSR statt, bei denen Sonderstäbe der Sowjetarmee mit Nach- richtenkräften und „sicherstel- lenden Einhei- ten" bereits den Ernstfall pro- bierten. Ungari- sche, polnische und DDR-Stäbe nahmen an die- sem Manöver „Sumava" in der CSSR teil.

Diese wurden nach einigen Wochen offiziell beendet, die Truppen, die daran teilge- nommen hatten, fanden jedoch den Weg in ihre Heimat nicht. Proteste von Prag nützten nicht viel. Die Sowjets griffen zu Täuschungs- manövern, einzelne Einheiten ver- ließen demonstrativ die CSSR, andere kamen an einem anderen Grenzübergang wieder ins Land. Die Militärintervention gegen die CSSR wurde in Moskau auf den 21. August festgelegt.

Die politischen Vorkehrungen zu diesem Schritt wollen wir hier unerwähnt lassen. Auch die Vorbe- reitungen der sowjetischen Militärs zur Anwendung der sogenannten Breschnew-Doktrin, das heißt der These von einer „eingeschränkten Souveränität" der Volksdemokra- tien. Wichtig ist, nur eines festzu- halten: „marschiert" sind in dieser Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 in die CSSR lediglich Angehö- rige der sowjetischen, der polni- schen, der ungarischen sowie der bulgarischen Volksarmee.

Von der DDR-Volksarmee wur- den zwar zwei Divisionen aufgebo- ten, und diese im Militärbezirk Leipzig an die CSSR-Grenze dislo- ziert, aber weiter passierte nichts. Im Bericht der beiden DDR-Mili- tärhistoriker lesen wir: „Auf der Grundlage des Befehls 73/68 des Ministers vom 26. 7. 1968 und ent- sprechend dem Plan des Vereinten Kommandos (des Warsehauer Pak- tes) bezogen die 7. Panzerdivision und die 11. mot. Schützendivision biszum29.7.1968 Konzentrations- räume auf dem Territorium der DDR: 7. PD: Nochten; 11. MSD: Hermsdorf. Diese Maßnahmen wurden als gemeinsame Truppen- übung mit der Gruppe der sowjeti- schen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) getarnt."

Ab 27. Juli wurden beide DDR- Verbände sowjetischen Stäben operativ unterstellt.

Am 21. August erfolgte die Inva- sion. Die in der CSSR operierenden Warschauer-Pakt-Truppen unter- standen dem sowjetischen OB Armeegeneral I. G. Pawlowski. Sie umfaßten eine Gesamtstärke von 300.000 Mann. DDR-Quellen sa- gen: „Die militärische Besetzung der Tschechoslowakei vollzog sich innerhalb weniger Stunden" - was nicht ganz der Wahrheit entspricht.

In der DDR versetzte die Füh- rung die Truppen in erhöhte Ge- fechtsbereitschaft. Die beiden zum Einmarsch in die CSSR vorgesehe- nen DDR-Divisionen wurden dicht an die Grenze verlegt und vorerst als „zweite Staffel" einer sowjeti- schen Armee vorgesehen. Ab 1. September - als die Militäraktio- nen im besetzten Bruderland prak- tisch abgeschlossen waren - hatte man beide ostdeutschen Divisio- nen in die „Reserve" einer sowjeti- schen Armee umgeteilt. Von nun an wurden sie von der Politischen Hauptverwaltung der DDR-Volks- armee mit besonderer Aufmerksam- keit überschüttet. Tägliche „politi- sche Massenarbeit" folgte.

Lügen und Legenden über die „Machenschaften der Imperiali- sten" in der CSSR wurden auf höchster Ebene verbreitet; es wur- de viel von der „faschistischen Gefahr" gesprochen und alles un- ternommen, um die militärisch- politische Verbundenheit mit den Aggressor-Armeen zu festigen.

Waren die Bemühungen der Par- teipropagandisten in DDR-Uni- form erfolgreich? In der post-stali- nistischen Honecker-Ära durfte diese Frage nur mit einem stram- men Ja beantwortet werden. Jetzt, da die DDR mit ihren kommunisti- schen Institutionen im Zerfallen ist, wagen bereits einige Offiziere offe- ner zu sprechen und bisher streng geheim gehaltene Angaben preis- zugeben. So verhält es sich auch mit der „Bereitschaft" der DDR- Soldaten im August-September 1968, sich für die „Sache des Inter- nationalismus" zu schlagen.

Im „Militärwesen" können wir lesen: „Es muß festgestellt werden, daß es unter den Angehörigen der NVA, einschließlich der beiden ein- gesetzten Verbände des Militärbe- zirkes III, auch solche gab, die eine schwankende, passive und zum Teil auch ablehnende Haltung zur mili- tärischen Aktion der sozialistischen Staaten insgesamt und speziell zur Teilnahme der NVA einnahmen. Sie vertraten die Auffassung, daß die Staaten des Warschauer Ver- trages diese Aktion unberechtigt durchgeführt hätten und ihnen selbst ein großer politischer Scha- den entstanden sei. Andere Armee- angehörige setzten die militärischen Handlungen der sozialistischen Staaten mit dem verbrecherischen Krieg der USA gegen das vietna- mesische Volk gleich." Praktisch dokumentierte sich diese Abneigung gegen die Invasion wie folgt: „Fehlende Bereitschaft, auf Be- fehl die Schußwaffe anzuwenden bezie- hungsweise an der Aktion gegen die CSSR überhaupt selbst aktiv teilzu- nehmen. In der Mehrzahl traten die- se Meinungen und Standpunkte bei Sol- daten und Unterof- fizieren auf. Es gab aber auch Offiziere, die sich in dieser Si- tuation gegen den Einmarsch in der CSSR aussprachen."

Und die beiden DDR-Militärhistori- ker nennen hier auch einen Offizier als Beispiel, den Major W. Mantzsh, Parteisekretär der Par- teileitung des Stabes der 7. Panzer- division, der offen aussagte, er sei gegen eine Aktion in der CSSR. Seine Bestrafung folgte prompt. Der Major wurde aus der Partei ausge- schlossen, aus der Volksarmee ent- fernt und „neben Parteistrafen er- folgten auch disziplinare und zum teil strafrechtliche Ahndungen wegen sogenannter antisozialisti- scher Haltung und Handlungen".

Die beiden DDR-Divisionen ver- blieben bis zum 16. Oktober 1968 in der Unterstellung als Reserve einer sowjetischen Armee. Nachher durf- ten sie sich in ihre Stammkasernen zurückziehen.

Der Einmarsch der Warschauer- Pakt-Truppen in die CSSR forder- te im Zeitraum vom 21. August bis 3. September 1968 72 Tote und 266 Schwerverwundete. Wieviele davon Zivilisten waren und wieviele Mili- tärs, weiß man heute noch nicht.

Die Intervention der Warschauer- Pakt-Truppen in einem Bruderland, der damaligen CSSR, im August 1968 war und bleibt ein dunkles Kapitel in der Geschichte des östli- chen Militärbündnisses.

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