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Die Defizit- Misere

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Am 5. und 6. September berät die Bundesregierung in Wien auf einer Klausurtagung ihre weitere Arbeit. Im Zentrum der politischen „Herbstschlacht“ wird ohne Frage die Wirtschaftspolitik stehen. Unser Mitarbeiter untersucht im folgenden die Finanzpolitik im Lichte einer Studie von Professor Hans Seidel. Der Leiter des Wirtschaftsforschungsinstitutes, bekannt als Realist, der ohnehin nur Minimalforderungen stellt, fordert eine Reduktion des jährlichen Netto-Budgetdefi-zits (also nach Abzug des Schuldendienstes) auf 2,5 Prozent .des Bruttonationalprodukts. Heuer wird dieses noch bei 4,2 Prozent liegen ...

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Am 5. und 6. September berät die Bundesregierung in Wien auf einer Klausurtagung ihre weitere Arbeit. Im Zentrum der politischen „Herbstschlacht“ wird ohne Frage die Wirtschaftspolitik stehen. Unser Mitarbeiter untersucht im folgenden die Finanzpolitik im Lichte einer Studie von Professor Hans Seidel. Der Leiter des Wirtschaftsforschungsinstitutes, bekannt als Realist, der ohnehin nur Minimalforderungen stellt, fordert eine Reduktion des jährlichen Netto-Budgetdefi-zits (also nach Abzug des Schuldendienstes) auf 2,5 Prozent .des Bruttonationalprodukts. Heuer wird dieses noch bei 4,2 Prozent liegen ...

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Seidel trifft seine Feststellung in einer Studie über die „Lage der Finanzen in der Republik Österreich“, welche er im Auftrag des Finanzministeriums erstellt hat. Der Finanzminister „identifiziert“ sich mit seinen Schlußfolgerungen. Aber welche praktischen Konsequenzen zieht er daraus? Sein „Programm“: Er werde für das kommende Jahr - also für das Jahr der Nationalratswahlen - „weder Mehreinnahmen für den Bund vorschlagen noch Ausgabenkürzungen“. Darüber hinaus gibt er zu verstehen, daß er sich gegen eine Lohn- und Einkommensteuerkorrektur ab 1. Jänner 1979 nicht mehr sträuben werde. Das Budgetdifi-zit werde daher bereits im Voranschlag für das kommende Jahr 50 Milliarden Schilling ausmachen - aus Erfahrung wissen wir, daß es dabei kaum bleiben wird.

Aus der Stellungnahme des Finanzministers lassen sich mehrere Dinge ablesen:

• Es wird nichts unternommen, um die weitere Staatsverschuldung wenigstens einigermaßen einzudämmen. Der Finanzminister und seine Partei denken nicht daran, vor den Nationalratswahlen irgendeine unpopuläre Maßnahme zu treffen, so kategorisch sie auch. das politische Verantwortungsbewußtsein diktieren würde.

Im Gegenteil, sie wollen durch eine Steuer-„Senkung“ und womöglich auch noch einige soziale „Geschenke“ zusätzliche Popularitätspunkte sammeln. Dabei warnen alle Experten - in der jüngsten Zeit auch wieder Nationalbankpräsident Stephan Koren - vor der gefährlichen Behauptung And-roschs und seiner Regierungskollegen, Budgetdefizite im Ausmaß von sogar 50 Milliarden Schilling seien „unbedenklich“.

• Nach den Wahlen allerdings haben wir einiges zu erwarten - es sei denn,

die künftige Regierung läßt die Dinge weiter treiben bis zum Staats bankrott. Zur Kasse gebeten werden wir auf alle Fälle - die Frage ist lediglich, ob bald oder ein wenig später, dann aber um so gründlicher.

• Der Finanzminister lehnt die Verantwortung für sein Ressort praktisch ab. Er ist bereit, auch Maßnahmen durchzuführen, welche er für falsch ansieht, wenn sie seine Partei und seine Regierungskollegen beschließen. Aber wer immer die „Hinterlassenschaft“ Androschs antreten wird, er ist darum gewiß nicht zu beneiden.

Die Steuerkorrektur, welche ihm offenbar aufgezwungen werden soll, werde - so gibt Androsch bereits jetzt bekannt - minimal sein, und sie sei „sachlich nicht gerechtfertigt“. Mit

anderen Worten: Es wird keiner etwas davon haben, aber sie wird dem Staat sehr viel an Einnahmen kosten.

Es fragt sich allerdings, ob die Steuerkorrektur wirklich sachlich nicht gerechtfertigt ist, oder ob dieses Verdikt nicht besser die Ausgabenpolitik der Regierung treffen würde. Auch der vorsichtige Seidel gibt zu verstehen, daß - wie er sich dezent ausdrückt -von der Ausgabenseite ein größerer Beitrag zur Sanierung zu erwarten sei als von den Einnahmen.

Sachlich nicht gerechtfertigt ist es daher vor allen Dingen, daß die Regierung nicht den geringsten Versuch unternimmt, die Ausgaben zu reduzieren.

Eine Reduktion der bereits die Volkswirtschaft und den individuellen Leistungwillen paralysierenden Steuerbelastung — die gar nicht minimal ausfallen sollte - hat hingegen sehr viel sachliche Gründe für sich.

Aber dafür müßte sich die Regierung

- wenn auch noch so gewunden und indirekt - eingestehen, daß sie die bisher getragene Spendierhose gar nicht bezahlen kann.

Echte Sanierungsmaßnahmen sind auf Grund der bisherigen Andeutungen des Finanzministers - zumindest von ihm - auch nach den Wahlen nicht zu erwarten: Er bekannte sich als „großer Anhänger der Gebührenfinanzierung“ nach dem Muster der An-hebung der Krankenscheingebühr. Wer staatliche Leistungen in Anspruch nimmt, der soll auch direkt dafür bezahlen, sie sollen nicht indirekt über das Budget finanziert werden.

Als Prinzip ist dies bestimmt richtig, aber dies allein genügt nicht. Es handelt sich dabei lediglich um eine optische Verringerung der Staatsausgaben: In Wirklichkeit werden die Einnahmen - also die Belastungen des Staatsbürgers - bloß umgeschichtet.

Das gleiche gilt auch für die propo-nierte Ausgliederung der Bundesbetriebe aus dem Budget - eine alte Forderung der Fachleute, gegen welche bisher die Widerstände in erster Linie aus den Reihen der SPÖ gekommen sind. Auch dies wäre richtig - aber: Damit allein ist das Budget auch nur optisch entlastet, da das Budgetvolumen kleiner wird.

Die tatsächlichen Ausgaben des Staates werden dadurch noch nicht reduziert. Denn ob Defizite direkt aus dem Budget finanziert werden oder deren Finanzierung - wie bei den verstaatlichten Betrieben - als Kapitalaufstockung kaschiert wird, ist per Saldo ziemlich gleichgültig. Interessant wird die Sache erst, wenn durch entsprechende betriebswirtschaftliche Maßnahmen rentabler gewirtschaftet wird. Im übrigen möchte man sich mit der Ausgliederung des schwersten Brockens, auf den es in erster Linie ankommen würde - nämlich der Bundesbahn - Zeit lassen.

Von einer wirklichen Ausgabenreduktion ist hingegen weit und breit nichts zu bemerken. Ausschließlich durch sie könnte aber das Budget „mittelfristig“ - wie es Seidel verlangt - saniert werden.

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