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Die Demokraten säubern

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Viele Bürger Albaniens sehen keinen Unterschied zwischen den alten und den neuen Herren im Land. Unzufriedenheit und in ihrem Gefolge Gewalttaten nehmen zu.

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Viele Bürger Albaniens sehen keinen Unterschied zwischen den alten und den neuen Herren im Land. Unzufriedenheit und in ihrem Gefolge Gewalttaten nehmen zu.

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Die albanische Regierung steht vor der Spaltung. Nach dem jüngsten Ausschluß von sieben Spitzenfunktionären aus der regierenden „Demokratischen Partei" entbrannte ein offener Machtkampf zwischen dem albanischen Präsidenten Sali Be-risha und seinen Parteifreunden Gramoz Pashko, Arben Imami und dem Schriftsteller Ismail Kada-re. Das albanische Fernsehen meldete, überall im Lande würden auf Parteiversammlungen der „Demokratischen Partei" die Reihen neu geschlossen und „destruktive Elemente" ausgeschlossen. Erinnert bereits die Sprache an Zeiten kommunistischer Herrschaft, so erst recht der neue Führungsstil Berishas. So sehen es zumindest seine Kritiker.

Sie üben seit Wochen scharfe Kritik an Präsident Berisha, der seine Macht mißbrauche und per Dekret an den Entscheidungen des Parlamentes vorbeiregiere. An die Spitze dieses Prote- Berisha stes setzte sich der Ökonom Gramoz Pashko und der Hochschullehrer Gene Polo. Zwei namhafte Persönlichkeiten, die zusammen mit Berisha vor zwei Jahren die „Demokratische Partei" ins Leben riefen und damals als „Kleeblatt der friedlichen Revolution" gefeiert wurden. Obwohl die einzige Parteizeitung der „Demokraten", die „Rilindia Demokratike" Gerüchte über interne Parteistreitigkeiten stets weit von sich wies, machte der bekannteste Schriftsteller Albaniens, Ismail Kadare, bereits Anfang des Jahres kein Hehl daraus, daß die „Demokraten vor der Spaltung stehen". Kadare steht auf Seiten Pash-kos und hat „Einwände gegen den Führungsstil Berishas".

Abrechnung mit dem Regime

Die Gründe dafür sind vielfältig: Mit dem Wahlsieg der „Demokraten" Ende März (62 Prozent der Stimmen) ließ Berisha eine Reihe von , .Notstandsdekreten'' verabschieden. Unter anderem will er eine Pressezensur, können „unliebsame Personen" jederzeit ihrer Position enthoben werden, liegt der Verdacht nahe, daß sie mit dem „kommunistischen Regime kollaborierten", und hat die Polizei die Sondervollmacht, ohne Hausdurchsuchungsbefehl jederzeit Razzien durchführen zu können, um so dem „illegalen Waffenbesitz" ein Ende zu bereiten. Berisha rechtfertigt diese Maßnahmen mit der „Gefahr eines neokommunistischen Put-sches", der deshalb nicht ganz von der Hand zu weisen ist, weil in keinem sozialistischen Land Europas die Geheimpolizei (Securimi) über Jahrzehnte so brutal wütete wie in Albanien.

Mit der Machtübernahme Berishas sollen Tausende Securimi-Größen in Gefangenenlager verschleppt worden sein, auch Dutzende KP-Funktionäre warten dort auf ihren Prozeß. Dies glaubt zumindest Patos Lubonja, Sekretär des albanischen Menschenrechtsforums zu wissen, der selbst 17 Jahre eingekerkert war. Lubonja warnt: „Uns fehlen Menschen mit moralischer Integrität, die nicht in das frühere Regime verstrickt waren."

Er glaubt, daß derzeit bei der „Abrechung mit dem alten Regime" Dutzende Unschuldige willkürlich verhaftet werden. Sie müßten zwar nicht mehr um ihr Leben bangen oder mit jahrelanger Haft wie früher, doch

ihre Zukunft werde ihnen genommen. Zahlenangaben über den Umfang der Säuberungen weiß der Dissident jedoch nicht zu geben. Berisha spricht er aber das Recht ab, mit solchen Mitteln die „Demokratie zu verwirklichen". Sein bitterer Kommentar: „Berisha war ja der Leibarzt von Hoxha".

Nimmt man Berishas Biographie zur Hand, so war der hochqualifizierte Herzspezialist tatsächlich seit seiner Jugend mit dem alten Regime eng verbunden. Der Bauernsohn galt gar als so „linientreu", daß man ihm die

Am Parlament vorbei (AP)

medizinische Behandlung des Präsidenten und Stalin-Verehrers Enver Hoxha anvertraute. Heute spricht Berisha von „Kompromissen", die er habe eingehen müssen, „wie jeder, der überleben wollte". Berisha kontert auf Anschuldigungen gegen seine Person: Zum einen wachse auf ihn der Druck all jener, die bis vor einem Jahr zu Tausenden in Lagern zubrachten, jetzt zwar frei, aber obdach-und mittellos sind, und auch jener wirtschaftlich einflußreichen Emigranten, die Vergeltung dafür fordern, daß ihre Familienmitglieder als politische Gegner der Kommunisten getötet, vertrieben oder eingekerkert wurden. Zum anderen gibt es in Albanien das große Heer der Mitläufer, die nichts mehr von der Vergangenheit wissen wollten.

Unregierbares Land

Berishas Gegner sehen jedoch angesichts dieser unbewältigten Vergangenheit und der ausweglosen Wirtschaftslage, die das Land täglich weiter ins Ghaos stürzt, nur einen Ausweg: Opfer und Täter von einst müßten sich versöhnen.

Gramoz Pashko, im letzten Jahr Regierungschef einer großen Koalition zwischen Ex-Kommunisten und Demokraten, glaubt nach wie vor, daß eine „radikale Abrechnung" nur neue „Ungerechtigkeiten mit sich bringt". Mehr noch: Berishas eigenmächtiges Handeln könne den Weg ebnen für eine neue Diktatur unter dem Mantel der Demokratie. Kritische Gedanken, die dem Präsidenten zu weit gingen, weswegen er die „Pashkoisten" kurzerhand aus den Reihen der „Demokratien Partei" ausschließen ließ.

Gegenspieler Pashko will sich aber nicht geschlagen geben. Schon gibt es Stimmen, die glauben, die „Abweichler" werden eine neue „Demokratische Partei" ins Leben rufen, mit Ismail Kadare, der sich bisher aus der Parteipolitik fern hielt, an der Spitze. Aber auch dies wird die innenpolitische Lage in Albanien nicht beruhigen. Denn sollten sich mehr und mehr Parlamentarier Pashko anschließen, würde Berishas Gefolgschaft die Mehrheit der Mandate im Parlament verlieren, das Land noch unregierba-rer werden.

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