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Die Demokratie braucht Charakter

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Umfragen zeigen ein tiefes Mißtrauen gegenüber der Politik und den Menschen, die sie an führender Stelle betreiben. Viele vermissen Ethik in der Politik. Dazu einige konkrete Vorschläge.

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Umfragen zeigen ein tiefes Mißtrauen gegenüber der Politik und den Menschen, die sie an führender Stelle betreiben. Viele vermissen Ethik in der Politik. Dazu einige konkrete Vorschläge.

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Die politische Entwicklung in Österreich wurde in den letzten Jahren von einer Reihe von Skandalen überschattet, die sich im Verschneidungsbereich von Politik und Wirtschaft abgespielt haben. Jenseits der Suche nach den politisch und strafrechtlich Verantwortlichen stellen sich immer mehr Staatsbürger die Frage: Wie konnte es soweit kommen?

Die von der österreichischen Politik nach Bekanntwerden diverser Skandale beschrittene Strategie der Änderung gesetzlicher Vorschriften (2. B. zweites Antikorruptionsgesetz) kann nur höchst unzulänglich wirksam

werden, wenn nicht gleichzeitig eine gesellschaftliche Ächtung bestimmter Verhaltensweisen mitangestrebt und konsequent verfolgt wird. Mit der strafrechtlichen Bereinigung der diversen Skandale allein wird man dem so deutlich gewordenen Unbehagen an der Politik nicht begegnen können.

Meiner Meinung nach müßten folgende Schritte überlegt werden:

1. Der Staat sollte nicht länger versuchen, als moralische Instanz in Etappen abzudanken, nicht weiter anstreben, die von ihm gesetzten Normen ethisch möglichst zu neutralisieren, sondern deutliche positive Wertsignale setzen. Vor allem die Gebote der Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Verantwortung für den Nächsten müßten stärker gesehen werden.

2. Die Demokratie wird politisch oft dadurch unbeweglich, daß stets im Hinblick auf die nächste Wahl agiert und damit der Handlungsspielraum entscheidend eingeengt wird. Es sollte daher ein maximaler Konsens zwischen den Parteien über die Rangordnung und Bedeutung bestimmter zu verwirklichender Werte angestrebt werden.

3. Das heutige Wahlsystem iso

liert den Abgeordneten von einem direkt zu vertretenden abgegrenzten Wählerkreis bzw. gibt den Wählern kaum Einfluß auf die von ihnen gewählte Person. In der Praxis dürften darüber hinaus auch echte Kontaktprobleme bestehen. In einer Untersuchung des Fessel-Institutes sagten 72 Prozent der Befragten, daß sie in den letzten Jahren keinen Kontakt mit einem Abgeordneten aus dem Nationalrat, Landtag oder Gemeinderat hatten. Es ist gerade im Hinblick auf ethische Standards auf Dauer eine Verarmung der politischen Kultur, dem Wähler kein Wahlrecht zwischen einzelnen Persönlichkeiten auch innerhalb der von ihm vorgezogenen Partei einzuräumen.

4. Die Wahlauseinandersetzungen konzentrieren sich immer stärker auf mobile Wählerschichten, was zu einer Entfremdung mit den die Wertstellung der jeweiligen politischen Gruppe tragenden Kerrischichten führen kann. Wenn^ man allfälliger Wechselwähler wegen etwa darauf verzichtet, die Frage der Abtreibung (Schutz des Lebens) zu aktualisieren, mag sich manch Stammwähler fragen, ob bei an

deren ihm wichtig scheinenden Werten etwa wie Gerechtigkeit und Solidarität nicht doch eine andere Partei genau so gut oder besser liege … Stammwähler sollten daher nicht das Gefühl haben, daß sie bloß als Stimmvieh gelten und Wertkonzessionen durch ihre Partei aus Gründen des Machterwerbs oder -erhalts tolerieren müßten.

5. Niemand hindert Politiker daran, vor allem von der Jugend forcierte Werte wie Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Treue, Verantwortungsbereitschaft und Nächstenliebe vorzuleben. Freilich, dort wo Politikersein zum ausschließlichen Beruf wird, richtet man sich immer mehr nach fremden Erwartungen als nach eigenen Idealen …

6. Die Mittel der direkten Demokratie werden in Österreich gerne dann eingesetzt, wenn die Politik mit ihrer Weisheit am Ende ist. Die Volksbefragungen Sternwartepark und Zwentendorf sind eloquente Beispiele. Wenn man dem Bürger schon Reife bestätigt, so sollte man ihn öfter bestimmen und mitbestimmen lassen.

Der Wähler hat aber auch ein Recht auf Wahlenthaltung. Hohe

Wahlbeteiligungen sind kein Beweis für hohes Demokratiebewußtsein, eher für gute Organisationsdichte (Schlepperdienste, funktionierende soziale Kontrolle). Wahldruck, woher er immer kommen mag und wie immer er ausgeübt wird, führt zu verfehlten Ergebnissen im Hinblick auf das wirklich gegebene politische Interesse.

7. In jenen Bereichen, in denen die gesellschaftstragenden Gruppen über Verhaltenstandards übereinstimmen, sollten sie Kampagnen zur gesellschaftlichen Akzeptanz und Realisierung in Gang setzen. Es genügt nicht, in der Umweltpolitik etwa gegen wilde Mülldeponien zu agieren, gleichzeitig aber nichts gegen die Wegwerf- und Fallenlassenmentalität zu unternehmen. Warum sollte aus der Sicht des abfallbeseitigenden Bürgers für alte Chemikalien und Medikamente anderes gelten als für Zigarettenstummel?

8. Die österreichische Politik befindet sich im Hinblick auf die bekannten Skandale insofern an einem Scheideweg, als ein rasches Abbrechen des Selbstreinigungs- programmes zu Frustrationen

und Aggressionen führen könnte. Die nicht mehr wegzudiskutierenden Schwierigkeiten im wirtschaftlichen und staatsfinanziellen Bereich dürften bei entsprechendem politischen Agieren Herrn und Frau Österreicher veranlassen, Verhaltensmuster und Erwartungen zu ändern bzw. den neuen Gegebenheiten anzupassen.

9. Eine Kampagne für Zivilcourage wäre dringend erforderlich. Einerseits, um die in diesem Land so gepflegte Kultur des unterstellenden Wisperns („Auch der nimmt!“ etc.), andererseits um die um sich greifende politische Gleichgültigkeit einzubremsen. Es sollte „in“ .sein, selbst gegen Mißstände aufzutreten und nicht bloß Kopien oder Informationen an Enthüllungsmedien weiterzugeben.

10. Die politische Auseinandersetzung sollte versuchen, nicht ein Gefecht mit plakativen Worthülsen zu sein. Die Identität von Haltung und Handlung der politiktreibenden Menschen müßte intensiver nachvollziehbar sein. Der Klubzwang bei Abstimmungen ist hier zweifellos schädlich. Die Zahl der Abgeordneten, die nach Abstimmungen sagen: „Wenn es nach meiner Auffassung ginge, hätte ich anders gestimmt“ ist oft überraschend hoch.

Ethik in der Politik sollte sich gerade bei Abstimmungen jenseits von vorhersehbaren Stimmblöcken zeigen. Gerade bei Fernsehübertragungen aus dem Parlament wird dadurch, daß einfach nur hinausgeredet und -agiert wird, Antiwerbung gegen diese Einrichtung getrieben. Daher sollte überlegt werden, ob man nicht prinzipiell Ausschußberatungen, die auf weit höherem fachlichem und menschlichem Niveau stehen, der Öffentlichkeit zugängig machen könnte.

11. ! Die Illusion, mehr Kontrolle sei Abhilfe gegen alle Umtriebe, sollte nicht zu sehr strapaziert werden. Die beste Kontrolle bleibt ein an hohem Wertstandard geschultes und gemessenes Gewissen von Politikern und Wählern. Ethik ist durch Ziffernkontrolle nicht dauerhaft ersetzbar.

Der Autor ist Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung der Bundeskammer und Vorsitzender der Katholischen Männerbewegung Österreichs. Auszugsweiser Vorabdruck aus dem Beitrag „Ethik in der Politik“ in: ÖSTERREICHISCHES JAHRBUCH 82 FÜR POLITIK. Hrsg. Khol/Stirnemann, Ol- denbourg und Verlag für Geschichte und Politik, München/Wien. 1983. Subskriptionspreis öS 298,- (erscheint Anfang März).

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