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Die „demokratisierte Kirche“ hat noch Kinderkrankheiten

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Am 23. April ist Wahltag. Nach der Steiermark übt sich die Erzdiözese Wien „kirchlicher Demokratie“, soweit man im religiösen Bereich überhaupt von „Volksherrschaft“ sprechen kann. Fast zwei Millionen Katholiken in rund 600 Pfarren sind dazu aufgerufen, etwa 8000 Vertreter aus fast doppelt so vielen Kandidaten in ihren Pfarrgemeinderat (PGR) zu wählen. Dieses Gremium steckt - nicht nur in Wien -noch in den Kinderschuhen. Die ersten Wahlen fanden 1971 statt, die zweiten 1974, aber nur in wenigen Pfarren, die schon vor sieben Jahren einen PGR (das Wort kann sowohl das Gremium als auch dessen einzelnes Mitglied bezeichnen) eingerichtet hatten, wurde auch 1974 gewählt. Wie sieht nun eine Bilanz der ersten vollen Amtsperiode aus? Wie hat der PGR in der Erzdiözese Wien seine Bewährungsprobe bestanden?

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Am 23. April ist Wahltag. Nach der Steiermark übt sich die Erzdiözese Wien „kirchlicher Demokratie“, soweit man im religiösen Bereich überhaupt von „Volksherrschaft“ sprechen kann. Fast zwei Millionen Katholiken in rund 600 Pfarren sind dazu aufgerufen, etwa 8000 Vertreter aus fast doppelt so vielen Kandidaten in ihren Pfarrgemeinderat (PGR) zu wählen. Dieses Gremium steckt - nicht nur in Wien -noch in den Kinderschuhen. Die ersten Wahlen fanden 1971 statt, die zweiten 1974, aber nur in wenigen Pfarren, die schon vor sieben Jahren einen PGR (das Wort kann sowohl das Gremium als auch dessen einzelnes Mitglied bezeichnen) eingerichtet hatten, wurde auch 1974 gewählt. Wie sieht nun eine Bilanz der ersten vollen Amtsperiode aus? Wie hat der PGR in der Erzdiözese Wien seine Bewährungsprobe bestanden?

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Daß der Pfarrgemeinderat für die Pfarre „äußerst wichtig“ eingestuft wird, hat eine Umfrage des Vikariates Wien-Stadt im Rahmen der laufenden Aktion „Symposion Großstadt“ eindeutig ergeben. Für die engagierten Gläubigen ist auch „völlig klar, was der Pfarrgemeinderat will“. Und auf etlichen Gebieten wird dem PGR eine recht erfolgreiche Arbeit bescheinigt. Viele Indizien sprechen dafür, daß die Ergebnisse dieser Umfrage auch weit über die Wiener Stadtgrenzen hinaus repräsentativ sind, sofern es nicht um spezifisch großstädtische Probleme geht. Die Frage nach der EinsteUung der Priester zum PGR wurde nämlich nicht nur in Wien, sondern auch bereits im Vikariat Unter dem Wienerwald -, und zwar dort nur an Priester- gestellt. In beiden FäUen mit dem gleichen Ergebnis: die klare Mehrheit der Geistlichen steht dem PGR sehr positiv gegenüber. Weihbischof Florian Kunt-ner faßt die Äußerungen der Priester zusammen: „Wir spüren, daß die Leute Mitverantwortung tragen. Vor allem bietet der Pfarrgemeinderat die Möglichkeit, daß Pastoralkonzepte entwickelt, Weichen gestellt werden können.“

Gerade die zuletzt genannte Möglichkeit wurde aber - zumindest laut Wiener Umfrage noch zu wenig wahrgenommen. Denn dort wurden zu den am schlechtesten bewältigten Aufgaben gezählt: die Zusammenarbeit der einzelnen Arbeitskreise untereinander, mit dem Priester beziehungsweise mit anderen Pfarren, die Fragen der re-ligiös-spiritueUen Vertiefung, die Gemeindebildung - und das Seelsorgekonzept sowie die Sorge um die Fernstehenden. Genau diese Probleme aber müßten im Vordergrund der Arbeit des Pfarrgemeinderates stehen.

Natürlich sind die Erfahrungen mit dem PGR von Pfarre zu Pfarre verschieden. Einig sind sich die meisten darüber, daß die wichtige Arbeit nicht im etwa dreimal pro Jahr einberufenen Plenum, sondern in den einzelnen Ausschüssen und Arbeitskreisen geleistet wird. Die wichtigsten Gebiete, mit denen sich die Fachausschüsse befassen, sind Verkündigung, Liturgie, Caritas, Öffentlichkeitsarbeit, Erwachsenenbildung, Finanzen • und

Verwaltung, Kinder, Jugend, Ehe und Familie. Daß hier vielfach sehr erfolgreiche Arbeit geleistet wird, bestätigt die Wiener Umfrage. Allerdings würden die hier Tätigen (pro Ausschuß muß nur der jeweüige Leiter auch PGR-Mitglied sein) genauso aktiv sein, wenn es keinen Pfarrgemeinderat gäbe, wie manche Priester glaubwürdig versichern. Und obwohl kaum ein Priester auf seinen PGR verzichten möchte, ist doch allen bewußt, daß dieses Gremium erst dann seine Aufgabe ganz erfüllt, wenn es hinsichtlich Koordinierung und Planung der einzelnen Aktivitäten - selbstverständlich ohne bürokratischen Zentraüs-mus! - effizienter arbeitet.

Pfarrer Hermann J. Kinzl aus der Stadtrandgemeinde Ober St. Veit bedauert vor allem, daß „in der Großstadt faktisch nur ein Rudiment einer lebendigen Gemeinde da ist“. Nur wenige haben Interesse am Pfarrleben und wollen etwas tun. Vielfach hat der Pfarrer mehr Arbeit seit Bestehen des Pfarrgemeinderates, da mitunter der Irrtum besteht, die Mitglieder hätten nur gute Ideen beizusteuern, verwirklichen müßte sie aber der Pfarrer. Pfarrer Kinzl sieht dies als Folge jahrhundertelanger Bevormundung der Laien durch den Klerus, der sich nun teü-weise schwer tue, den Leuten klarzumachen, „daß die Kirche keine Dienstleistungsfirma Papst & Kompanie ist, sondern eine Angelegenheit, die alle angeht Die Menschen müssen immer mehr das Gefühl bekommen: Wir sind, eine Gemeinschaft!“

Dieses Gemeinschaftsgefühl aufzubauen, wird es sicher längere Zeit brauchen als ein bis zwei PGR-Amts-perioden. Beide Seiten müssen dabei umdenken: der Priester, der vom - ohnehin nur scheinbar - Alleinverantwortlichen für die Schäfchen einer Pfarrgemeinde zum Leiter eines Teams werden und dieses womöglich als Koordinator, Moderator und Animator befruchten, aber auch für alle Anregungen und Vorschläge offen sein soll; der engagierte Laienchrist, der sich seiner Mitverantwortung immer mehr bewußt werden muß und die Exekution seiner guten Vorschläge nicht nur dem Klerus überlassen darf; und die einzelnen apostolischen

Gruppierungen und Verbände der Katholischen Aktion, die mitunter noch latente Eifersüchteleien samt gewissem Konkurrenzdenken endgültig der Erkenntnis unterordnen müßten, daß alle am gleichen Strang ziehen. Diesen Strang für alle möglichst sichtbar zu machen, ist sicher eine Hauptaufgabe des Pfarrgemeinderates, in dem ja in der Regel die engagiertesten Angehörigen einer Pfarre sitzen.

Pfarrer Gustav Granditsch von St. Leopold im zweiten Wiener Bezirk betont, daß Laien und Priester im Sinn des Subsidiaritätsprinzips, das in der Pastoral unverzichtbar sei, aufeinander angewiesen seien: „Die Laien können den Pfarrer nicht ersetzen, aber auch der Pfarrer kann die Laien niemals ersetzen - im Hinblick auf Fach-, Umwelt- und Lebenskenntnis.“ Der Pfarrgemeinderat ist für Granditsch weniger der Demokratie als der Struktur eines Unternehmens verwandt. Durch den PGR und den Pfarrer als dessen Leiter sollte die gesamte aktive Gemeinde nach und nach zu pastoraler Arbeit befähigt werden. Der „Diskrepanz zwischen den utopischen Vorstellungen und den praktischen Erfahrungen“ ist sich Granditsch bewußt.

Ganz anders strukturiert ist die Pfarre Kagraner Anger, die Dechant Erich Höfling seit 1971 leitet. 1974 trat er mit folgendem humorvollen Inserat an die Öffentlichkeit: „Pfarrer, r. k., des Alleingangs müde, sucht mit Erlaubnis seiner vorgesetzten Behörde Partner. Bei Verstehen PGR möglich! Unter .Frohe Ostern' an Stanislaus 23 23 57.“ Höfling, gibt zu, daß sich durch den PGR insofern wenig geändert habe, da die Gewählten schon vorher die aktivsten Mitarbeiter wa-

ren, betont aber die nunmehr wesentlich besseren Voraussetzungen zur Erstellung eines Pastoralplanes: „Wenn allerdings die Ausschüsse und Arbeitskreise nicht arbeiten, nützt auch ein verbindendes Gremium nichts!“ Gerade die Fachausschüsse, besonders jener für Ehe und Familie, dürften am Kagraner Anger sehr gut funktionieren, dadurch, daß jedes PGR-Mit-glied von jeder einzelnen Ausschußsitzung das Protokoll erhält, herrscht beste Kommunikation. Um Kandidaten für die bevorstehenden Wahlen mußte Höfling nicht bangen. Um die 15 Plätze bewerben sich 29 Pfarrkinder zwischen 19 und 67, es gilt in dieser Pfarre als große Ehre, auf der Kandidatenliste zu stehen.

Schlechter schaut es in mancher Pfarren der inneren Bezirke aus, wc mitunter nicht einmal die erforderliche Kandidatenzahl (zu wählende PGR-Mitglieder plus 50 Prozent) erreicht wird. In Ober St. Veit, wo Ii Kandidaten um zwölf Plätze kämpfen, geht es sich genau aus, in Lainz sind sogar 23 Bewerber für zwölf Mandate da, in St. Leopold 34 für 15. Vor allem auf dem Land sind oft doppelt so viele Kandidaten wie zu vergebende Plätze vorhanden, während man sich in dei Stadt des Eindruckes nicht erwehren kann, daß sich viele potentielle Kandidaten zieren, zum Teil aber wirklich beruflich überlastet oder an pastoralei Arbeit wenig interessiert sind. Nur um großer Namen willen einflußreiche Persönlichkeiten in den PGR zu drängen, wo sie dann kaum Zeit zur Mitarbeit finden, hat sich als ungünstig erwiesen.

Passives und aktives Wahlalter sind bei der PGR-Wahl mit 16 Jahrer gleich. Je nach Katholikenzahl dei Pfarrgemeinde werden zwischen sechs und 21 Personen gewählt. Diese bilden mit den amtlichen Mitgliedern (den Priestern), den von der Katholischen Aktion und den apostolischen Gruppierungen der Pfarre delegierten Mitgliedern, den vom Pfarrer ernannten Mitgliedern und eventuell den Ver-

tretern ansässiger Orden oder Religionslehrer den Pfarrgemeinderat. Ein bestimmter Schlüssel garantiert, daß unter den Laien im PGR stets die gewählten Mitglieder die absolute Mehrheit haben. Bemerkenswert ist bei den PGR-Wahlen das „Familienwahlrecht“: jeder Elternteil hat pro Kind eine zusätzliche halbe Stimme.

Ein erfreuliches Zeichen der Bewährung des Pfarrgemeinderates bedeutet die Tatsache, daß nur eine Minderheit der bisherigen Mitglieder resigniert hat, die Mehrheit aber den Wert dieses Instrumentes durch eine neuerliche Kandidatur unterstreicht. Zweifellos wird auch die Beobachtung der Wahlbeteiligung interessant sein. Beim letzten Mal war sie eher unter dem durchschnittlichen Meßbesuch, erreichte aber in Wien Spitzenwerte von knapp 20 und in Kleingemeinden der anderen Vikariate sogar vereinzelt von über 90 Prozent der Katholiken der jeweiligen Pfarre. Wenn 1982 die PGR-Wahlen in acht österreichischen Bundesländern zusammenfallen und man sich auf einen einheitlichen Termin einigt, wäre zweifellos ein schöner solidarisierender Effekt im katholischen Gottesvolk zu erwarten.

Was es unbedingt noch zu verbessern gilt, ist der direkte Kontakt des PGR-Mitgliedes zu den von ihm vertretenen Katholiken. Herbert Vosicky vom Vikariat Wien-Stadt räumt ein, daß das Funktionieren des Pfarrgemeinderates eine Gemeinde voraussetzt, die es in den meisten Fällen noch nicht gibt. Die Laien sollten nach den Ideen des Konzils nicht nur zur Mitarbeit, sondern zur echten Zusammenarbeit herangezogen werden. Vosicky resümiert: „Es geht darum, daß das Kirchenbild des Zweiten Vatikanums besser zum Zug kommt, daß im und durch den Pfarrgemeinderat getreu dem Motto der Synode die Gemeinschaft des Glaubens wirksam werden soll. Wo der Pfarrgemeinderat so angenommen wird, wie er gedacht ist, dort bewährt er sich auch.“

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