6818008-1973_19_09.jpg
Digital In Arbeit

Die Doppelreiher-Moral

Werbung
Werbung
Werbung

Gegenwärtig wird in Italien die Frage der Übereinstimmung der Neo-faschistischen Partei mit der 1947 erlassenen Verfassung überprüft. Zur Diskussion gestellt hat dieses Problem niemand geringerer als Staatspräsident Leone, und jetzt nahm auch noch der Präsident des italienischen Verfassungsgerichtshofes dazu Stellung; Franco Bonifacio erklärte unumwunden, daß „der Faschismus in irgendeiner Form, ob alt oder neu, mit eleganten Manieren oder als Aufwiegler zu Terrorakten, sich mit dem demokratischen, republikanischen Staat und dessen Einrichtungen nicht vereinbaren läßt.“

Tatsächlich verbietet Artikel 12 des Grundgesetzes die Neugründung der Faschistischen Partei. Die Frage stellt sich jedoch, ob das „Movimento Sociale Italiano“ die Voraussetzungen erfüllt, um als nach dem Zweiten Weltkrieg neuauferstandene Faschistische Partei betrachtet werden zu können. Anders ausgedrückt: Ist MSI lediglich der Deckname für eine alte Sache oder eine neue ernst zu nehmende demokratische Partei?

Die Repräsentanten der „Italienischen Sozialbewegung“ bekennen sich nach außen zu den Spielregeln der parlamentarischen Demokratie. Sie sind auch im Abgeordnetenhaus und Senat vertreten, nach den für sie erfolgreich verlaufenen Parlamentswahlen sogar mit einer fast

doppelt so starken Zahl als vor dem 7. Mai 1972. MSI-Generalsekretär Almirante läßt sich nur im Doppelreiher sehen und will mit der Vergangenheit der Schwarzhemden Mussolinis nichts gemein haben. Treuherzig gibt er zu bedenken, daß die Zeiten einer starken Persönlichkeit ä la Mussolini längst vorüber seien. „Oder sehen Sie mich etwa als künftigen Duce?“ entgegnet er dem Gesprächspartner auf seine eigene Unterstellung.

Die Terrorakte in der Folge des Marsches auf Mailand ließen vor drei Wochen Zweifel an Almirantes sanfter und respektabler Doppelreiher-Moral aufkommen. Wo immer es zu Gewaltakten und blutigen Zusammenstößen mit Carabinieri und Polizisten kommt, haben die Rechtsextremisten in neun von zehn Fällen die Hände im Spiel. Sind sie einmal selber Opfer von Terrorakten, wie es in Primavalle bei Rom kürzlich der Fall war, so scheint es sich mehr um Ausnahmen beziehungsweise Reaktionen auf neofaschistische Provokationen denn um eigentliche Initialzündungen gehandelt zu haben. Polizeifahndungen und gerichtliche Untersuchungen lassen die Verbindungen zwischen MSI, den rechtsextremen Schlägereinheiten ä la „Avanguardia Nazionale“ und GAM (Gruppo Azione Mussolini) immer deutlicher erkennen.

Auf der anderen Seite des politischen Kräftespiels ist die Distanzierung der Kommunistischen Partei Italiens von den linksextremen Terroreinheiten glaubwürdiger, seit Enrico Berlinguer an der Spitze der KPI steht und diese Partei geradezu die Rolle einer Ordnungsmacht spielen läßt. Wobei sich allerdings die Frage stellt, ob es Berlinguer lediglich tut, weil er immer noch glaubt und glauben kann, daß der italienische Staat seiner Partei früher oder später über den Stimmzettel, wegen all der Unzulänglichkeiten oder aus Erschöpfung, gleichsam automatisch in den Schoß fällt, während für die Neofa-schisten die Aussichten wiederum in weite Ferne gerückt erscheinen.

Zahlreiche politische Beobachter bestreiten jedenfalls die Zweckmäßigkeit der Auflösung vom Almirantes MSI. Solange diese sogenannte Sozialbewegung parteimäßig und gewerkschaftlich organisiert ist, kann man sie irgendwie erfassen und ihr völliges Untertauchen in den politischen Untergrund verhüten, sagen sie. Den christlichdemokratischen Seiltänzern kommt die Existenz einer zweifachen Links- und Rechtsopposition gelegen. Sie erlaubt ihnen, nach beiden Seiten hin gleichmäßig Distanz zu wahren und sich derart im Gleichgewicht und an der Spitze einer Volkspartei verschiedenster Schattierungen zu halten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung