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Die dralle Mamma triumphiert

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Ins Wasser gefallen ist die Premiere von Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ auf der Bregenzer Seebühne. Statt in Lutters Weinkeller sich von Hoff mann über seine Affären erzählen zu lassen, konnten sich angereiste und einheimische Festspielgäste bestenfalls im Bregenzer Nobel-„Beisl“ Messmer vom „Hoffmann“-Team was erzählen lassen... Wer Glück hatte, konnte aber wenigstens die öffentliche Generalprobe sehen: „Hoffmanns Erzählungen“ als Breitwandspektakel. Eine aufwendige Revue, von Kurt Pscherer szenisch allzu vordergründig gestaltet, von Toni Businger seltsam stilbrüchig ausgestattet.

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Ins Wasser gefallen ist die Premiere von Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ auf der Bregenzer Seebühne. Statt in Lutters Weinkeller sich von Hoff mann über seine Affären erzählen zu lassen, konnten sich angereiste und einheimische Festspielgäste bestenfalls im Bregenzer Nobel-„Beisl“ Messmer vom „Hoffmann“-Team was erzählen lassen... Wer Glück hatte, konnte aber wenigstens die öffentliche Generalprobe sehen: „Hoffmanns Erzählungen“ als Breitwandspektakel. Eine aufwendige Revue, von Kurt Pscherer szenisch allzu vordergründig gestaltet, von Toni Businger seltsam stilbrüchig ausgestattet.

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Ein Palastgewirr, Bizarr-Gotisches, Venezianisches, mit einem schönen Alchimistentiurm, wo ein beängstigendes Räderwerk Kafka-Atmosphäre erzeugt, daneben ein barockes Opernhaus mit Prunktreppe, altdeutsch stilisierte Bürgerhausfron-ten... Ein Ea'ssadenihalbrund, das eine Riesentafel umschließt, die studentische Stammtafel' im Weinkeller Lutters, Spielfläche und Tanzparkett in edinam ist... Aber gerade diese Einheit des Raums des Spielorts läßt die Hoffmann-Episoden zu stark ineinander fließen.

Pscherer und Businger haben da alle Kontraste aufgehoben, nivelliert. Im Großen, wo die drei Welten sich kaum noch voneinander unterscheiden, wie in den Details. Warum wird etwa die grausige Begegnung des Puppenmachers Spalaneani mit dem Augenhändler Coppelius zum Kabarettsketch? Warum zieht die Olym-piia-Giesellscbaft einen Akt lang eine Puppenrevue ab, wo es skjh doch hier bloß um staunende Kleinbürger handeln soll? Warum posiert Mirakel im Antonia-Bild als Kinderschreck und Varietezauberer?

Das sind Mißverständnisse, Äußerlichkeiten, viel zu oberflächliche Deutunigen. Und so schöne Momente wie die Zerstörung Olympias im Räderwerk des Alchimistenturms, die reizvolle Gondeifahrt Giuüettas oder die Erscheinung der toten Mutter Antonias auf einer Sirnultan-bülhne können dafür nicht entschädigen ... Peinlich geht auch der Schluß daneben: Hoff mann gibt sich seiner Muse hin. Er hat erkannt, daß er sich Schritt für Schritt in immer neue Selbsttäuschungen verfangen hat, dabei sein Ich, das Spiegelbild, zu verlieren drohte, daß seine menschlichen Beziehungen stets in blinder Selbstzerstörung enden. Aber für diesen heiklen Schluß in den Armen der Muse ist Pscherer nichts eingefaillien. Miß Muse kommt • im Nachthemd ...

Musikalisch wirkte die Generalprobe etwas flach. Anton Guadtagno dirigierte die Wiener Symphoniker ohne Brillanz, ohne Feuer. Anton de Ridder singt die Titelpartie kultiviert, mit noblem Timbre. Ursula Koszut in den vier Partien Stella, Olympia, Antonia und Giulietta hinterläßt zwiespältigen Eindruck. Stimmlich — sie distoniert viel, es mangelt an differenzierten Va-leurs — wie in der Darstellung. Guillermo Sabräbia ist ein Lindorf-Coppelius-Dapertutto-Mirakel ohne

aufregende Schwärze und Beklemmungen auslösende Dämonie. Sonst solide Besetzungen, gut studierte Chöre (Hellmuth Froschauer), effektvolle Batfflettedinlagen mit den Grazer Tänzern (Choreographie: Waziav Orlikovsky).

Mehr Glück hatte Bregenz da mit seiner spektakulären Ausgrabung von Gaetano Donlzettis vergessenem Komödienreißer „Le Ctonvenienze e le Inconivenienze Teatrali“, der im Kornmarkttheater unter dem treffenden Titel „Das Debüt der Mamma Agata“ Premiere hatte. Ein mitreißendes Werk aus den goldenen Tagen der Opemscbmdere in einem italienischen Provinzstädtchen: Geifernde Pr'imaldonnen im Kodoratu-renkrieg. Ohrfeigen klatschen. Pri-madonnengalane und ein deutsches Tenordummerchen im Kampf um ein paar hohe Töne mehr. Dazu Bühnenarbeiter und Statisterie des Prowinz-theaters — natürlich unfähig, sich einen Aktablauf zu merken.

Ereignis in diesem turbulenten Spektakel „hinter den Kulissen“ ist aber Mamma Agata: die eitle Mutter, die den mühsamen Singsang ihrer Tochter in dieser Produktion überwacht. Donizetti zeichnet sie als bezauberndes Monstrum streitbarer Fürsorglichkeit

Natürlich ist diese Aufführung so etwas wie eine Mischung aus Löwingerbühne und Pradler Ritterspielen, nur auf italienisch. Aber Jonizetti hat da all seinen Haß gegen die fatalen Opernunsitten seiner Zeit geschleudert, seinen Zom über reisende Miettenöre, aufgeblasene Kolora-turautoroaten und geizige Sncbven-

tionsgeber sich von der Leber geschrieben. Und er hat auch seinen Konkurrenten eins ausgewischt: Rossini zum Beispiel, dessen damals ungeheuer populäre Weidenarie aus dem „Othello“ persifliert wird (die Bregenzer Aufführung ersetzte dias Stück richtigerweise durch eine Parodie auf die heute bekannte Rosina-Kavatine aus dem „Barbier“ Rossinis). Aber wo immer Donizetti Komödie anfaßt, fließt auch viel Liebenswertes, Bezauberndes ein. Eine Partitur also, die dn ihrer Mischung aus Persönlichem, Witz und: leichtfertiger Konfektion das „Elend“ der Opernprovinz von anno 1800 für uns heute wie ein goldenes Zeitalter erscheinen läßt. Als Epoche, da die Oper noch allgemein Volkssport war.

Bregenz hat sich,für dieses Spektakel natürlich auch heuer ein rein italienisches Team geholt. Der Dirigent Carüo Franci hat die Arien und Ensembles liebevoll aufpoliert. Beppe De Tomasi bearbeitete und inszenierte: Die Bearbeitung, vor allem des eingeblendeten Opernwerks „Romolo ed Ersilia“, das den alten Typ der Opera seria rettungslos blamiert, wirkt logisch. Die Regie freilich verblödelt manches zu sehr, cutriert so sehr, daß Donizettis kri^ tische Angriffe, sein Ingrimm kaum spürbar werden.

Maßambeit lieferten Antonio Mastromattei uridi Pier Luciano Cavalotti: einen Bühnen räum mit Blick hinter die Kulissen, in den Schnürboden, schräg in den Zuschauerraum.

Attraktion der Premiere: Giuseppe Taddei als Mamma Agata von drastischem Witz. Dralles Getue und plumpe Eitelkeit in heroischem Wettstreit. Jeder Ausdruck sitzt perfekt, auch wenn Taddei manchmal schon Stimmschwächen kaschieren muß. Daniela Mazzucato singt die launische Primadonna. Schönes warmes Timbre, brillante Koloraturen. Sergio Tedesco plustert sich als „deutscher Tenor“ auf. Überzeugend besetzte Nebenpartien, in Hochform die Symphoniker und d3s Grazer Ballet. „Mamma Agata“ ist jedenfalls eine Entdeckung, mit dem manches Opernhaus sich einen Schlager einkaufen könnte.

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