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Die Drehbuhne

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Auf dem turbulenten lateinamerikanischen Halbkowtinent ist Bolivien der aufgewühlteste Staat. Gelungene und gescheiterte Revolutionen, lokale Aufstände und ein Machtkampf von seltener Erbitterung zwischen und innerhalb der politischen Cliquen und Offiziersgruppen ergeben das Panorama des labilsten lateinamerikanischen Landes, das jetzt zusätzlich durch Inflation und akute Nahrungsmittelengpässe schwer beunruhigt wird. Die politische Geschichte Boliviens ähnelt einem dramatischen Krimitin unzähligen Fortsetzungen. In ihm spielt der jetzt wieder deportierte Nationalökonom Dr. Victor Paz Estenssoro eine Hauptrolle.

Als in der zweiten klassenkämpferischen Revolution dieses Jahrhunderts im Jahre 1952 die Minenarbeiter, „das Gewehr in der einen, Dynamit in der andern Hand“, das „Heer der Oligarchie“ besiegten und das Regime der Zinnbarone stürzten, standen an der Spitze der „Nationalrevolutionären Bewegung“ („MNR“ — „Movimiento Naciona-lis'ta Revolucionärio“) zwei Intellektuelle: Dr. Victor Paz Estenssoro und Dr. Hernän Siles Zuazo. Dr. Paz war dann der erste Präsident in der Geschichte Boliviens, der 1956 seine vierjährige Periode beendete, ohne vorher gestürzt worden zu sein. Ihm folgte sein damaliger Freund Doktor Silles, den er 1960 wieder ablöste. Inzwischen war Paz aus einem Ultra-Nationalisten und fanatischen „Anti-Yankee“ zu einem so klaren Parteigänger der USA geworden, daß ihn Kennedy, den er 1963 besuchte, „ein Vorbild für ganz Lateinamerika“ nannte.

1964 wurde Dr. Paz zum drittenmal Präsident. Aber diesmal klappte es nicht. Die Militärs, die unter seiner Ägide groß geworden waren, General Ovando und der Fliegergeneral Barrientos, ein Liebkind der nordamerikanisehen Luftwaffe, stürzten ahn mit der übertriebenen Behauptung, er habe Millionen Dollar für - sich beiseite geschafft. Man schickte ihn im Flugzeug nach der peruanischen Hauptstadt Lima, wo er sieben Exil jähre verbrachte. Sein Freund Siles hatte sich vorher von ihm abgewandt. Er mußte dann aber auch emigrieren und bildet jetzt den Mittelpunkt eines großen Emigrationszentrums bolivianischer Politiker, die in Santiago de Chile und Buenos Aires die Gegenrevolution unter den 5000 freiwillig und unfreiwillig geflüchteten Bolivianern vorbereiten. Ihre Zahl hat sich vor allem um die Anhänger des prokommunistischen Generals Juan Jose Torres vermehrt. Als dieser 1971 von der Offiziersgruppe um den jetzigen Präsidenten, General Hugo Banzer, gestürzt wurde, kam Dr. Paz zu allgemeinem Erstatmen aus dem peruanischen Exil zurück und wurde zum „politischen Ratgeber“ Banzers. Seine — längst von ultralinks zur Mitte gerückte — „Natnonalrevolu-tionäre Bewegung“ wurde zu einer der Stützen des neuen Regimes; paradoxerweise ist die andere die „Falange Socialista Boliviana“, eine rechte, katholische, daher als faschistisch verschriene Gruppe, die jahrzehntelang der Erzfeind des „MNR“ gewesen war. Paz Estenssoro rechtfertigte das erstaunliche Bündnis mit dem Diktator Banzer, den er „einen Glücksfall“ nannte, und der bisher feindlichen Partei damit, daß er Bolivien vor der brasilianischen Intervention habe bewahren wollen, die bei der pro-sowjetischen Wendung von Torres unvermeidlich gewesen wäre. Doch liegt die Vermutung nahe, daß sowohl Brasilia wie Washington dem totalitären Regime durch die Einbeziehung der „MNR“ einen demokratischen Beigeschmack geben wollten. Die Ehe wider Willen schuf Konflikte am laufenden Band.

Schon Mitte 1972 richtete der Kommandant des Ingenieurs-Korps, Oberst Jose Petiafio Ayoroa, einen offenen Brief an Präsident Banzer, worin er die Ausbootung des Dr. Paz forderte. Aber Banzer hielt ihn noch. Inzwischen häuften sich Skandal-Affären. Oberst Sedich, erst Innenminister, dann bolivianischer Botschafter in Paraguay, wurde verhaftet und angeblich von der Geheimen Staatspolizei zu Tode getrampelt. 20 Mitglieder des „MNR“ wurden im April 1973 nach Paraguay deportiert.

Auch Torres hatte inzwischen die Bildung einer Einheitsfront aller Banzer-Gegner aus Buenos Aires gefordert. Dr. Paz saß zwischen allen Stühlen. Immer stärker wurde der Widerstand der Offizierskreise, die „Parteijugend“ revoltierte. So entzog er am 24. November Banzer seine Unterstützung. Eine Gruppe seiner Partei, geführt vom jetzigen „zweiten Mann“, dem Senator Ciro Humboldt Barrero, blieb Banzer treu. Dieser warf Dr. Paz vor, Heer und Polizei zu spalten und mit den Emigrationsgruppen Fühlung genommen zu haben. So wurde er mit einigen Gefolgsleuten kurzerhand in einem Militärflugzeug nach Asunciön deportiert. Auf der Drehbühne der bolivianischen Politik hat sich das Schicksal des Dr. Paz, zwischen den höchsten Regierungsämtern und der Emigratdon zu pendeln, wieder einmal erfüllt. Es dürfte nicht das letztemal gewesen sein.

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