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Die drei Feuer der Welt

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Bundeskanzler Bruno Kreisky hat vor dem Wiener Landesparteitag der SPÖ am 14. Juni den Genossen eine Lektion in Weltpolitik erteilt, von der er im voraus vermutete, dafür würde er „in der bürgerlichen Presse wieder einmal als Kryptokommunist eingestuft werden”.

Was ihm in der sozialistischen Presse passieren würde, hätte er eigentlich auch voraussehen müssen: ein paar Sätzchen Pflichtzitate, aus. Dafür hat das Fernsehen seinem Ausflug in die Weltpolitik eine Sondersendung gewidmet. Auch ein Grund, genauer hinzuhören.

Kreiskys Analyse in Nußschalenformat: Derzeit bedrohen drei Krisenherde die internationale Entspannung -Nahost, Iran, Afghanistan. Die beiden letzten gehen indirekt auf den ersten zurück. Das totale Zusammenwachsen dieser Herde zum großen Flächenbrand muß unter allen Umständen verhindert werden. Dazu braucht man die Sozialistische Internationale und Geduld.

Ein paar Details:

• Naher Osten: (Kreisky sagt beständig „Mittlerer Osten”, weil „Nahost” im Englischen „Middle East” heißt, aber im Deutschen versteht man unter Mittlerem Osten das Gebiet um Iran, Afghanistan, Indien, Pakistan.) Die Palästinenser, also die Araber, die vor 1948 das Gebiet des heutigen Israel bewohnten, stellen die intelligentesten Araber und haben ein Recht auf einen eigenen Staat.

Kreisky verwendete ein Beispiel aus der Kriegszeit, als ein schwedischer Polizeikommissär ihm auf den Hinweis „Ich bin Österreicher” die damalige Nichtexistenz Österreichs vorhielt: Ein Volk kann durch eine Besetzung nicht ausradiert werden.

Stimmt. Der Unterschied im konkreten Fall liegt darin, daß es Österreich vor der Besetzung durch Hitler-Truppen gab, ein arabisches „Palästina” nicht. Die Palästinenser lebten in arabischen Staaten, die es in abgewandelter Form noch heute gibt. Diese hätten seit 1948 längst die Palästinenser ansiedeln und mit Verwaltungsautonomie ausstatten können. Sie taten es nicht und ließen sie in Flüchtlingslagern weiterdarben.

Denn auch Jordanien etwa fürchtet sich vor einem eigenen Palästinenserstaat, nicht nur Israel. Das wird selten dazugesagt.

Dennoch drängen die arabischen Palästinenser aus verständlichen Gründen auf ein neues Heimatrecht. Es ist richtig und notwendig, ihnen ein solches zu verschaffen, und wenft Jordanien innerhalb des eigenen, um das besetzte Westjordanland wieder vermehrten Staats-gebietes eine beschränkte Palästinenserautonomie schüfe, wäre das vermutlich eine optimale Lösung.

US-Präsident Carter will diese Woche wieder einmal versuchen, König Hussein eine solche einzureden, die auch den Vorstellungen der israelischen Sozialisten entspräche.

Bundeskanzler Kreisky hat das in seiner Rede in einer nur für Kundige verständlichen Andeutung anklingen lassen, ansonsten aber neuerlich den Anschein einseitiger Stellungnahme zugunsten der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und gegen Israel erweckt.

Nun hätte, des öfteren schon ist in diesem Blatt so argumentiert worden,

Kreisky eine wirklich erfolgversprechende Vermittlerchance, wenn er ein Partner für beide Streitteile und nicht nur für den einen wäre.

Derzeit ist die Stunde da, der PLO begreiflich zu machen, daß sie den Israel-Vernichtungs-Passus in ihrem Programm endgültig tilgen und Israels Lebensrecht anerkennen sollte.

Bisher hieß es, das sei ein Verhandlungsgut, das man der PLO nicht ohne Gegenleistung abverlangen dürfe. Tatsache aber ist, daß solche Verhandlungen hundertmal leichter zustandekämen, wenn das erlösende Wort im voraus fiele.

• Iran:WasösterreichsKanzlerdar-über zu sagen hatte, ist schwer anfechtbar. Der dramatische Kampf um die Machtverteilung ist längst noch nicht ausgestanden. Man muß den Mullahs nicht mehr klarmachen, daß ohne Lösung des Geiseldramas eine neuerliche Öffnung Irans zum Westen schwer möglich ist - das wissen sie.

Das Problem ist, daß manche diese Öffnung anstreben, andere wieder sie als verderblich ohnehin ablehnen.

Noch weiß kein Mensch, wo die iranische Revolution enden wird. Sicher muß man die von Kreisky „törichten Menschen und ungeduldigen Journalisten” abgesprochene Langmut aufbringen und im Prinzip für jeden Vermittlungsakt dankbar sein.

Die Frage ist nur: Erweist nicht die Sozialistische Internationale (SI) etwa den Vereinten Nationen einen Bärendienst, wenn sie die UN-Vermittlungsbemühungen durch eigene Initiativen torpediert?

Warum mußte Österreichs Bundeskanzler die Iran-Reise des UN-Generalsekretärs Kurt Waldheim verhöhnen, um einige Monate später gleiches zu versuchen? Mußte man damit nicht in Teheran die (irrige) Vermutung nähren, von der SI wäre billiger zu haben, was die UN schon forderten: nämlich die Achtung des internationalen Rechts?

• Afghanistan: Kreiskys These ist es, daß die Sowjetunion angesichts der irrationalen Ereignisse in Iran durch den Einmarsch der Entwicklung ähnlicher Verhältnisse in Afghanistan vorbeugen (und nicht etwa den etappenweisen Marsch zum Indischen Ozean antreten) wollte.

Das ist eine anfechtbare, aber auch eine noch nicht widerlegte These. Sie würde bedeuten, daß Moskau mit Afghanistan heute ähnlich unglücklich wie Washington mit Iran ist. Jede Vermittlungsaktion, die der UdSSR einen gesichtwahrenden Rückzug ermöglicht, ist daher zu begrüßen - schon auch aus Testgründen, ob die Grundannahme wirklich stimmt.

Nicht stimmt, was Kreisky unterstellt: daß wegen „Vernichtung der Demokratie” in Afghanistan Feuer geschrien werde. Das wäre tatsächlich Heuchelei. Und natürlich herrscht auch in Pakistan eine „Diktatur ohne extreme Menschenfreundlichkeit”.

Deshalb hat Kreisky recht, daß man sich nicht darauf einlassen sollte, „dort drüben” (in Afghanistan) quasi für ein Westminster-Parlament zu kämpfen. Die Frage ist nur, warum die Sozialistische Internationale etwa in Afrika immer wieder den Eindruck erweckt, der Inbegriff der Menschenrechte sei der Grundsatz „Ein Mensch -eine Stimme”.

Demokratie ist eine Staatsform für reife Völker. Das Recht auf ein Leben in Menschenwürde aber kann man von jeder Regierung und jedem System vergangen. Und militärische Aggression ist immer unsittlich. Das gilt für jeden Kontinent.

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