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Die drei Janowitz

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Uber die so berühmte Prager Literatur kann man von Zeit zu Zeit sehr witzige und anonyme Sätze lesen, so zum Beispiel “Leo Pe-rutz, der meist gelesene vergessene Schriftsteller“, oder - so bei Hermann Kosten -: “Brod ist ein Genie vom Postamt, wie Kafka ein Genie aus dem Versicherungsbüro ist, Kisch ein Genie aiis der Lokalredaktion, Werf el ein G«nie aus einer Prager FamiÜenstube xmd - nach seiner Witwe - dem Schlafzimmer der Alma Mahler, Emst Weiss ein Genie aus einem Cafe Chantant von der Prager Kleinseite, und Rainer Maria Rilke die weltbürgerliche

Summe aller böhmisch-österrei-chisch-ungarischen Provinzialismen, ein wahrlich verschmocktes Genie…“.

So witzig will ich nicht sein. Ln Gegenteil, ich wähle als gutes Beispiel der Oszillationen zwischen Prag imd Wien in der Veigangen-heit die Namen von drei Brüdern, die a\is Mittelböhmen stammend, in Prag und Wien studierten tmd wirkten und die man nach ihrem Lebens-la\if, Schicksal und Werk zum österreichischen Kulturkreis rechnen kann. Es sind die Brüder Otto, Hans und Franz Janowitz, ein Musiker, ein Drehbuchautorund ein Dichter.

Otto Janowitz war Doktor der Philosophie, zuerst angestellt im Handelsmiiseum in Wien und später an der Wiener Staatsoper. Er war ein erstklassiger Pianist, wirkte viele Jahrzehnte hindurch als ständiger Begleiter von Karl Kraus bei dessen Lesungen aus Nestroy und Offenbach in ganz Mitteleuropa. Nach 1038 ist über sein Schicksal nichts mehr zu erfahren. Der mittlere Bruder, Hans, veröffentlichte seine Gedichte in den nun so berühmten Prager Herderblättem, war daim Mitarbeiter einiger sehr guter Zeitschriften Österreichs und Deutschlands - beim “Brenner“, bei “Der Friede“ -, war Theaterdirektor und Kritiker, schrieb eine Sammlung reifer Poesie und einige Romane, und starb, fast vergessen, nach dem Zweiten Weltkrieg in New York. Berühmt - nein, weltberühmt -wurde Hans Janowitz jedoch bereits im Jahr 1010, als er in Zusammenarbeit mit Carl Mayer das Drehbuch des überraschenden, expressionistischen Films “Kabinett des Dr. CaÜgari“ verfaßte.

Der jüngste, Franz Janowitz, “war eine Erscheinxmg, die sich an lyrischer Kraft mit der des jungen Werfel vergleichen ließ“; so Max Brod. “Was ihr bei dieser Gegenüberstellung an E3q>loeivkraft abzugehen schien, das ersetzte sie durch innere Ausgeglichenheit, eine weit über das Alter des Dichters hinausreichende GeschlossenheitundRei-fe, ein mildes, klares Licht, eine klassisch ruhige Sprache… Janowitz stammte aus dem Märchenwald der Wälder und Wiesen, aus dem kleinen böhmischen Landstädtchen Podiebrad, in dem seine Familie einen Gutshof, ein Haus, eine Fabrik besaß. Er war im besten Sinne des Wortes eine rustikale, gesimde.

dabei sanfte, unkämpferische Natur. Ein deutscher Jude, inmitten slawischer Umgebung in jener Harmonie atifgewachsen, die es da und dort in versteckten Winkeln noch gab.“ Geliebt von Karl Kraus, gefallen an der italienischen IVont am Monte Rombon 1017, hinterließ er nur einen Band seiner Lyrik: “Auf der Erde“, 1010 erschienen. Und als posthumen Aufschrei über das Verbrechen des Krieges den im Jahr 1025 erschienenen Gedichtband “Das Reglement des Teufels“.

Dies waren die kleinen Oszillationen der Vergangenheit. Wie sind die Oszillationen zwischen Prag und Wien jetzt?

Was die Übersetzungstätigkeit der tschechischen Verlage anbelangt, glaube ich, daß österreichische Autorengarnicht so imbekannt sind. Nebendem für Weltliteratur zuständigen Prager Verlag “Odeon“ geben auch andere tschechische Verlage Übersetzungen fremder Prosa heraus. So erschienen in den letzten drei Dezennien drei Werke Ilse Aichingers, zwei von Ingeborg Bach-

mann, “Der Atem“ von Thomas Bernhard und zwei Bücher von Heimito von Doderer. Helmut Zenker und Michael Scharang sind mit je zwei Büchern, Albert Drach, Franz Innerhof er, Hans Lebert und Peter Turrini mit je einem Werk vertreten.

Georg Trakl wurde neuerlich in einer Auswahl wieder übersetzt Peter Handke mit vier Büchern gehört zu den behebtesten österreichischen Autoren. Analog sind die Verhältnisse in der Slowakei; manchmal bringen die dortigen Verlage österreichische Werke sogar mit Vorsprung. Die Übersetzungen - ob es um Georg IVakl, Franz Werfel oder Peter Handke geht -sind sofort ausverkauft; man sucht dann die Werke dieser Autoren eventuell im Antiqiiariat

Über die deutschsprachige Literatur ist 1087 ein “Deutsches Schriftstellerwärterbuch“ erschienen. Hier werden die einzelnen deutschen, Schweizer, österreichischen und serbischen Bücher nach den Autoren behandelt Jedem wichtigeren Autor ist ein eigenes Kapitel gewidmet Außerdem wird jede Literatur noch gesondert in ihrer Entwicklung behandelt, und zwar von den Anfängen bis zur Gegenwart Am Ende dieses Wörter^ buches findet sich eine Tabelle mit den wichtigsten Ereignissen der Zeit, den hervorragendsten Werken der Prosa, der Lyrik oder des Schauspiels und die einflußreichsten lA-teraturzeitschriften.

Über Anregung der Cfermanisten der Akademie der Wissenschaften soll nun im Verlag “Prace“ eine Anthologie zeitgenössischer Lyrik aus Österreich erscheinen. Ein bekannter Dichter und Schriftsteller, Petr Prouza, befaßt sich bereits mit der Auswahl der Texte und ihrer Bearbeitvmg. So können tschechische und slowakische Autoren versuchen, zur Verständigung auch durch diese Arbeit beizutragen.

Der Autor, Doy« der deutsdupndiigcn Literatur in der CSSI^ lebt in Prag. Sein hier abgedrudler Beitrag ist die gekürtte Fassung seines Vortrages anläSlidx d es Symposions’Eingrenzen - Au8grei\zen’’ der Literaturzeitsduift •Podium’ in Pulkau.

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