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Die drei Leben der Frau

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i960 erschien erstmals eine ausgezeichnete deutsche Übersetzung der fundierten Untersuchung von Alva Myrdal und Viola Klein über „Die Doppelrolle der Frau in Familie und Beruf“. Jetzt liegt die dritte, überarbeitete und erweiterte Ausgabe des instruktiven Buches vor, das geeignet ist, mit immer noch weitverbreiteten Vorurteilen gegenüber einer beruflichen Tätigkeit verheirateter Frauen aufzuräumen. Ganz abgesehen davon, daß das Funktionieren unserer industriellen Gesellschaft mit der intensiven Mitarbeit der Frau steht und fällt, hat die längere Lebenserwartung des Menschen heute eine neue Situation geschaffen, die für viele Mütter, nachdem ihre Kinder flügge geworden sind, in eine lange unerwünschte „Freizeit“ mündet, mit der sie wenig anzufangen wissen. Klagen über Einsamkeit und Verlassenheit in diesem Zusammenhang sind an der Tagesordnung.

Was nun das vorliegende Buch angeht, so plädieren die beiden Verfasserinnen keineswegs dafür, daß Mütter kleiner Kinder einem Beruf nachgehen sollten. Es heißt ausdrücklich:

„Die geistige Gesundheit und das Glück kommender Generationen hängen in einem Ausmaß, das wir erst heute zu begreifen beginnen, von der Liebe und der Sicherheit ab, die dem Kinde während der ersten Lebensjahre zuteil wird ...“

Nur eine nicht berufstätige Mutter wird dieser Aufgabe voll gerecht werden können; doch freilich gilt das nur für eine gewisse Zeit. Die Autorinnen stellen fest, daß eine Frau heutzutage eigentlich drei Leben habe oder haben sollte, nicht neben-, aber nacheinander. Die Zeit der Berufstätigkeit vor der Ehe, die Phase der „aktiven Mutterschaft“, die ganz der Betreuung, der Kinder gewidmet sein müßte, und danach die Rückkehr in den erlernten, eventuell einen anderen Beruf. Die Frage betreffend, wie lange eine Frau ausschließlich zu Hause gebraucht wird, kommen die Verfasserinnen zu folgendem Ergebnis: Bei der Annahme, daß die Frau durchschnittlich mit 25 Jahren heiratet und daß sie im Abstand von jeweils zwei Jahren drei Kinder bekommt, wäre sie 31 Jahre nach der Geburt des letzten Kindes. Weiter angenommen, daß die Kinder sie ungeteilt und uneingeschränkt brauchen, bis das jüngste 15 Jahre alt ist, wäre sie 46, wenn der neue Lebensabschnitt beginnt, in dem ihre Berufstätigkeit für die Familie kaum Nachteile mit sich bringt, sich sogar segensreich auswirken kann. Viele Nur-Haus-frauen leiden heute unter der gesellschaftlichen Isolierung und dem Gefühl der Nutzlosigkeit, wenn sie keine kleinen Kinder mehr zu betreuen haben. Nicht selten verführt sie das dann zu einer „Uberbemutte-rung“ der heranwachsenden Sprößlinge und manchmal auch der Ehemänner, die niemandem gut bekommt. Ich kenne auch einige junge Leute, die der Meinung sind, daß eine berufstätige Mutter mehr Verständnis für ihre Probleme und ihnen mehr Anregungen zu bieten habe als eine, „die nur im Haus her-umputtelt und von nichts eine Ahnung hat“, wie ein Siebzehnjähriger sich ausdrückte. Es kommt ja auch wirklich weniger auf die Länge der Zeit an, die Eltern und Kinder miteinander verbringen, als auf die Intensität ihrer Beziehungen.

Die Verfasserinnen weisen noch eindringlich auf eine andere bedrohliche Tatsache hin; daß heute, im Gegensatz zu früheren Zeiten, das Heim fast ausschließlich zur Domäne der Frau geworden ist und hauptsächlich ihr die Verantwortung für die Kinder zufällt, womit gerade diesen am wenigsten gedient ist. Zu einem gesunden Familienleben gehört die Teilnahme des Mannes nicht nur an der Erziehung, sondern an allen sich ergebenden Problemen und Aufgaben des gemeinsamen Lebens. Eine Chance, unter den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen eine ähnliche Ausgewogenheit des häuslichen Lebens wieder herzustellen, wie sie früheren Generationen beschieden war, sehen nun die Autorinnen in der Berufstätigkeit der Frau nach der Periode der „aktiven Mutterschaft“. Sie bietet, wird argumentiert, die Möglichkeit, einer generellen Arbeitszeitverkürzung für Mann und Frau, die beiden mehr Spielraum für die familiären Aufgaben ließe. Väter und Ehemänner könnten dann wieder, zum Nutzen aller, intensiver am Familienleben teilnehmen, statt als bloße „Abendbesucher“ aufzutreten, wie das heute so oft der Fall ist. Man kommt nicht um die Erkenntnis herum, daß dieser Ausschluß des Mennes von familiären Aufgaben, der manchmal sehr nach Desinteresse aussieht, sich gefährlicher auf das Familienleben auswirkt als die Berufstätigkeit verheirateter Frauen.

Der Aufruf, daß Frauen heutzutage ihr Leben, entsprechend der neuen gesellschaftlichen Situation, gründlich überdenken und planen müssen, hat nichts mit emanzipato-rischem Unsinn zu tun. Allein freilich können sie die Probleme nicht lösen. Es wäre Aufgabe der Wirtschaft und der mit Sozialpolitik befaßten Stellen, für die ältere Frau, die in einen Beruf zurückkehren möchte, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Und dazu müßte ein allgemeines Umdenken kommen, das sich abwendet von romantischen Klischees über die „eigentliche Aufgabe“ der Ehefrau und Mutter, die angeblich mit einer Berufstätigkeit nicht vereinbar ist. Die Entwicklung läßt sich nicht zurückdrehen. Worauf es ankommt, ist vielmehr, die Doppelrolle der Frau in Familie und Beruf besser zu koordinieren, wofür sich in diesem Buch viele bedenkenswerte Anregungen finden.

DIE DOPPELROLLE DER FRAU IN FAMILIE UND BERUF: Von Alva Myrdal und Viola Klein. 319 S. Verlag Kiepenheuer & Witsch,

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