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Digital In Arbeit

Die Druckerzensur

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Der Streik der Drucker brachte für die Bundesrepublik mehr als ein paar zeitungslose Tage. Der Arbeitskampf in der Druckindustrie warf eine ganze Reihe von grundsätzlichen Fragen auf, ja er wurde zu einer Belastungsprobe für den hejßer-sehnten und nun langsam deutlicher werdenden wirtschaftlichen Aufschwung.

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Der Streik der Drucker brachte für die Bundesrepublik mehr als ein paar zeitungslose Tage. Der Arbeitskampf in der Druckindustrie warf eine ganze Reihe von grundsätzlichen Fragen auf, ja er wurde zu einer Belastungsprobe für den hejßer-sehnten und nun langsam deutlicher werdenden wirtschaftlichen Aufschwung.

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Die Drucker verlangten nämlich Lohnerhöhungen, die deutlich über dem lagen, was zuvor in den Tarifverhandlungen in anderen Industriezweigen ausgehandelt worden war. Diese knapp über fünf Prozent Kegenden Steigerungen waren allgemein als der wirtschaftlichen Lage angemessen und gemäßigt empfunden worden. Die Gewerkschaften erhielten von der Regieruingsseite Lob für ihr konjunkturgerechtes Verhalten. Maßvolle Tarifabschlüsse sollten der Wirtschaft bei ihrer Erholung vom Krisenjahr 1975 behilflich sein. Schmackhaft wurde den Arbeitnehmern die in etwa der Geldentwertung entsprechende Lohnsteigerung dadurch gemacht, daß auf den damit verbundenen Sicherungseffekt für die Arbeitsplätze verwiesen wurde. Denn nur ein Wdrt-schaftsaufschwung kann dabei helfen, die noch immer um die Millionen-Grenze pendelnde Zahl der Arbeitslosen zu senken.

Als nun die Drucker vehement einen Tarifabschluß über sechs Prozent verlangten, geriet das ganze Gefüge der bisherigen und ins Auge gefaßten zukünftigen maßvollen Abschlüsse ins Wanken. Wenn ein Wirtschaftszweig aus der Reihe tanzt, werden die anderen kaum weitere Zurückhaltung üben.

Allerdings hatte die Wirtschaft wenig Anlaß, über den plötzlichen Lohnhunger zu klagen. Maßgebliche Industriezweige, vor allem die Autoindustrie, hatten nämlich die Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt. Kaum waren die Tarifabschlüsse in der Metallindustrie unter Dach und Fach, erhöhten die Autofirmen nämlich in einer an ein Frühstückskartell erinnernden EintrSchtigkeit ihre Preise. Die Mineralölindustrie hielt sich ebenfalls nicht zurück, und schon kostet ein Liter Superbenzin an einigen Tankstellen über eine Mark. Die Schallmauer des „Brotpreises“ im Zeitalter der Vollmotorisierung war durchbrochen.

Sorgenvolle Töne aus dem Regie-rungslager über diese Preiserhöhungen konnten nicht verhindern, daß nun auch auf Gewerkschaftsseite der Anpetit wuchs. Die Druckindustrie ist jedoch ein problematischer Vorreiter in diesem Kampf um höhere Tarifabschlüsse. Zum einen liegen

hier bereits die Löhne ar der obersten Grenze der bundesdeutschen Gehaltsskala. Zum anderen ist dieser Wirtschaftszweig in den zurückliegenden Jahren durch vielerlei Krisen gegangen, die eine ganze Kette von Betriebsstillegungen und Fusionen zur Folge hatten. Heute stehen einige glänzend verdienende Großunternehmen einer größeren Zahl eben florierender und einer nicht unbeträchtlichen um die Existenz kämpfender mittelständischer Unternehmen gegenüber.

Die Drucker leisteten sich im Zuge ihres Arbeitskampfes einige Schritte, die nicht eben zur Popularität ihrer Aktion beitrugen. Empörung rief i es vor allem hervor, als sich in zwei Druckereien nach der Aussetzung des Streiks die Drucker weigerten, kritische Kommentare über den Arbeitskampf zu drucken. Die hannoversche Ausgabe der „Bild“-Zeitung und die „Frankfurter Neue Presse“ erschienen mit weißen Flecken.

Nachdem in den zurückliegenden Jahren den Verlegern gerade von SPD-Seite dezidiert verweigert worden war, im einzelnen zu entscheiden, was gedruckt wird und was nicht, erlaubten sich hier einige Gewerkschafter eine solche Detailzensur. Die Bedrohung der Pressefreiheit von links, von unten, machte stutzig.-,Die Folgen solcher, von der obersten Gewerkschaftsleitung zwar nicht gedeckten, aber auch kaum gerügten Aktionen für die weitere Medienpolitik in der Bundesrepublik sind noch gar nicht abzusehen.

Die Arbeitgeber wiederum gerieten in die Schußlinie, weil sie auf einen Schwerpunktstreik, der einige große Druckhäuser betraf, mit einer bundesweiten Aussperrung reagierten. Diese von Gewerkschaftsseite heftig attackierte und als geradezu gesetzwidrig angeprangerte Maßnahme schien in diesem Fall allerdings sehr verständlich. Ein Streik in bestimmten Druckereien habe den Wettbewerb verzerrt, habe eine Art von Zensur bedeutet. Der Springer-Verlag wurde bestreikt, sozialdemokratische Druckhäuser aber nicht.

In der zweiten Phase des Arbeitskampfes, nachdem die zweite Schlichtung scheiterte, weil die Ge-

werkschaft mit 5,9 Prozent Erhöhung nicht einverstanden war, war dann der Streik total.

Damit war den Arbeitgebern die Waffe der Aussperrung aus der Hand geschlagen. Aber die Belastung für die Streikkasse der Gewerkschaften war durch1 die bundesweite Aktion erheblich. Die Sympathien für den zweiten Streik waren allerdings noch geringer. Daß um Zehntelprozente so massiv gekämpft wird, daß die Bevölkerung deshalb auf eines ihrer wichtigsten Informationsorgane verzichten muß, schien in weiten Kreisen einfach unverständlich.

Freilich wurden bei der Beurteilung des Druckerstreiks in der Bundesrepublik schnell die Maßstäbe verzerrt. Denn in dem EG-Musterland Bundesrepublik wird, nicht nur im Vergleich zu Italien, nahezu überhaupt nicht gestreikt. Der Streik im Druckgewerbe wirkte aber gerade deshalb um so nachhaltiger, weil er etwas Ungewohntes war, die Reaktionen darauf um so nervöser — und dies nicht zuletzt in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation.

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