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Die Dschungelgesellschaft

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Viele Einzelheiten über das Entstehen und die Tätigkeit der gaullistischen Sammelbewegungen liegen im Schatten und niemand scheint bisher die Notwendigkeit empfunden zu haben, die Hintergründe aufzuhellen. Zum erstenmal fällt durch ein Buch, das knapp vor den Feiertagen erschienen ist, licht auf verschiedene politische Aktionen. Ein führendes Mitglied der gaullistischen Geheimtruppe SAC (Service d'Aotion Civique), Patrice Chairoff, der Archive und Unterlagen beiseite schaffte, durchbrach die Mauer des Schweigens und schilderte Vorfälle, die an einen Politthriller erinnern Trotz verschiedener Versuche, das Werk vom Büchermarkt verschwinden zu lassen — einige Personen,deren Namen zitiert werden, versuchten durch ein richterliches Urteil das „Dossier B ... Comme Bar-bouzes“ aus dem Verkehr zu ziehen — waren die Justizbehörden nicht geneigt, einzugreifen. Es ist in der Tat eine pittoreske Welt, die Patrice Chairoff beschreibt. Der Verfasser wählte ein Pseudonym, um seine eigene Tätigkeit in der beschriebenen Organisation zu verschleiern. Denn der Autor, der in Wirklichkeit Dominique Calzi heißt, muß eine Strafe von vier Jahren Gefängnis im Zuchthaus von Marseille absitzen. Dank einer Fülle von Informationen gelang es Patrice Chairoff, ein unheimliches Phänomen zu schildern: die Kontakte der hohen Politik mit der Unterwelt. Viele mysteriöse Affären finden dadurch eine Erklärung.

Natürlich stellt sich die Frage, wieso eine so mächtige und ge-schichtsbewußte politische Gruppe Kontakte mit Berufsverbrechern anstreben konnte. In erster Linie erklärt sich dies aus der Genesis des Gaullismus. Dieser ist im Widerstand gegen die Besetzung nach 1940 entstanden. Während der Kampfzeit konnte er nicht besonders wählerisch bei der Auswahl der Mitstreiter sein. Dazu kommt, daß zahlreiche Anhänger bereits in den Geheimverbänden der III. Republik verschiedene Arten von Verschwörungen erlebt hatten, zium Beispiel in dem militanten Verband „Die Kapuze“.

Als am 13. Mai 1958 die weißen Siedler in Algerien putschten, wurde diese Aktion von zahlreichen Intrigen unterstützt. Ein Reporterehepaar fand sogar die einleuchtende Erklärung, daß 13 Komplotte zum 13. Mai geführt hätten. Mögen es mehr oder weniger gewesen sein, man muß darauf hinweisen, wie sehr die Geburt der V. Republik durch Tätigkeiten im Schatten des offiziellen politischen Lebens Frankreichs beeinflußt wurde. Die späteren Würdenträger hatten es sich nicht nehmen lassen, durch eine intensive Untergrundaktivität das schwächliche Parteienregime der IV. Republik zu zerschmettern. Infolge der Kolonialkriege, zuerst in Indochina dann in Algerien, wurder Personen an die Oberfläche gespült die mit dem Programm und dei Zielsetzung des Gaullismus wenij gemein hatten. Es entstand der Tyj des ewigen Landsknechts, der da; große Erlöbnis des Widerstands unc der Kolonialkonflikte immer wiedei erneuern wollte. So wurden Verbindungen hergestellt, die über die offiziellen Parteistelleh bis in das Milieu des Berufsverbrechertums reichten. Staatliche Geheimdienste nach 1945 gegründet, lockten ebenfalls Abenteurer aller Schattierungen an.

Die SAC, im Hintergrund der gaullistischen Bewegimg, wurde 1958 als Verein formiert. Sie hatte bereits eine Vorgängerin im S.O., dem Ordnungsdienst der ersten gaullistischen Partei R.P.F. Die S.O. war so etwas wie die private Polizei der gaullistischen Bewegung und sollte darüber hinaus Angriffe linksextremer Gruppen abwehren. Die Mitglieder der S.O. wurden von zahlreichen Geldgebern fürstlich bezahlt. Schon damals zählte die Organisation 16.000 Mann, die über modernste Waffen verfügten. Eine Reihe von Mitgliedern der S.O. fanden nach der Auflösung der RP.F. Unterschlupf in verschiedenen Geheimdiensten. Die Stärke der S.O., wie später der SAC, waren vorzüglich aufgebaute Archive. Dort fanden sich die Karteikarten eventueller Gegner mit allen nötigen Informationen. Die SAC hatte zu Geburtshelfern den späteren Innenminister Roger Frey, gegenwärtig Präsident des Verfassungsgerichtshofes, und Jacques Foccart, die graue Eminenz des Elysee-Palasts in der Epoche General de Gaulies.

Die offizielle Aufgabe der SAC besteht darin, gaullistische Persönlichkeiten, und bei den Kundgebungen der Partei die Sicherheit der Besucher zu schützen. Aus staatlichen Fonds finanziert, hatte die SAC wenig Skrupel bei der Rekrutierung ihrer Mitglieder gezeigt. Die Feuerprobe fand auf dem Höhepunkt und gegen Ende des algerischen Krieges statt. Dabei verwendete man unorthodoxe Methoden, um der Geheimarmee OAS, geführt vom ehemaligen Oberkommandierenden der französischen Armee in Algerien, General Salan, standhalten zu können. Auch andere Aktivitäten, die nicht immer durch das Gesetz gedeckt waren, gehen auf ihr Konto. Unter anderem die Entführung des rebellierenden Obersten Argoud aus einem Münchner Luxushotel und das Verschwinden des marokkanischen Oppositionsführers Ben Barka in Paris. Im Mai 1968 war die SAC einer der stabilsten Faktoren des Regimes. Der grandiose Aufmarsch vom 30. Mai auf dem Champs-Elysöes — über eine Million Menschen bekundete ihre Treue zu General de Gaulle — war ihr Werk. 1970 fand eine umfassende Säuberung des Ordnungsdienstes statt und 3160 seiner Mitglieder wurden auf die Straße gesetzt. Das hieß jedoch nicht, daß man die Kontakte mit der Unterwelt (die jeder Staat in irgendeiner Form unterhält) restlos abbrach. Die Haupttätigkeit der SAC in den folgenden Jahren war der Aufbau marginaler Gruppen (Studenten- und Gewerkschaftsorganisationen) die im Falle einer neuen Krise bestimmte Aufgaben durchführen konnten. Seit eh und je arbeitete die SAC mit den Geheimdiensten Foccarts zusammen, dessen Funktion im Elysee-Palast darin bestand, sämtliche Nachrichten zu sammeln und die Entwicklung der jungen . französisch sprechenden afrikanischen Staaten zu überwachen. Im Jahre 1974 besaß die SAC 120 gutbezahlte permanente Angestellte und 23.000 Mitglieder. Nach dem Tod Präsident Pompidous konnte man innerhalb des Verbands drei Tendenzen feststellen: die orthodoxen Gaullisten, welche die Kandidatur Giscard d'Estaings ablehnten; die ehemaligen Parteigänger Pompidous, die eine begrenzte Zusammenarbeit mit den neuen Herren befürworteten und schließlich jene, die ihre Futterkrippe nicht verlassen wollten. Die Umgebung Giscard d'Estaings lehnte jedoch jede Form von Beziehungen ab und so war die SAC während des Wahlkampfes von 1974 mehr oder weniger arbeitslos. Nachdem Jacques Foccart in Ungnade gefallen war — der einst mächtige Mann steht heute einer bescheidenen Firma vor, die sich mit der Zucht und dem Handel von Bananen beschäftigt — verfügt der Ordnungsdienst über keine hohe Protektion mehr. Im Gegenteil, die SAC mußte harte Anklagen über sich ergehen lassen.

Die SAC bemühte sich nun, ihrer Tätigkeit den Mantel der Ideologie umzuhängen. Die prinzipiellen Punkte lauten: bedingungslose Treue gegenüber dem Staatschef, soweit er aus dem gaullistischen Milieu stammt; gnadenloser Kampf gegen den Kommunismus und die marxistischen Gewerkschaften; Errichtung eines zentralisierten starken Staates; Verteidigung der Werte des christlichen Abendlandes. Verschiedene andere Ideen, wie die hierarchisch und autoritär geordnete Gesellschaft, ergänzen das Programm. Die Liebe zum Vaterland steigert sich zu einem Nationalismus, wie er im Frankreich des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts bestand. Maurras ist nicht vergessen.

Der Verfasser der zitierten Studie illustriert an zahlreichen Beispielen der jüngsten Vergangenheit, wie sehr die SAC solohen Prinzipien verbunden blieb. Gegenwärtig leben ihre Männer für den Tag X, an dem die Linksparteien an die Macht kommen könnten. Sie hoffen, daß bei dieser Gelegenheit ihre Dienste wieder in Anspruch genommen werden und sie jenen Einfluß zurückgewinnen könnten, den sie vor dem Tod Präsident Pompidous hatten.

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