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Die eigensinnigen Schützlinge

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Der Auftritt hoher Beamter des US-Außenamtes in Wien und A Ipbach hat gezeigt: Im Verhältnis zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten und Freunden läuft bei weitem nicht mehr alles in abgestimmten Bühnen. Ungereimtheiten in der Einschätzung innen- und außenpolitischer Fragen sind unübersehbar. Und nun ist ein weiterer Störfaktor dazugekommen, der die Beziehungen zu belasten droht: die A ufnahme von vier Kommunisten in die neue französische Regierung.

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Der Auftritt hoher Beamter des US-Außenamtes in Wien und A Ipbach hat gezeigt: Im Verhältnis zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten und Freunden läuft bei weitem nicht mehr alles in abgestimmten Bühnen. Ungereimtheiten in der Einschätzung innen- und außenpolitischer Fragen sind unübersehbar. Und nun ist ein weiterer Störfaktor dazugekommen, der die Beziehungen zu belasten droht: die A ufnahme von vier Kommunisten in die neue französische Regierung.

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„Wir anerkennen und respektieren völlig das Recht der Regierung Frankreichs, seine eigene Zusammensetzung zu bestimmen. Doch ist es eine Tatsache, daß der Ton und der Inhalt unserer Beziehungen als Verbündete durch die Einbeziehung von Kommunisten -in diese Regierung oder in jede andere Regierung unserer westeuropäischen Verbündeten beeinflußt wird.“

Diese Erklärung des amerikanischen Außenministeriums, am 25. Juni in Washington veröffentlicht, ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Indes versuchten die Franzosen, sich selbst und die Amerikaner ob der im Verhältnis zwischen Paris und Washington aufziehenden Gewitterwolken zu beschwichtigen: Der neue Außenminister Claude Cheysson in einem Rundfunkinterview: „Diese Erklärung ist vor allem für die öffentliche Meinung der Vereinigten Staaten bestimmt gewesen und weniger für Frankreich.“

Aber sosehr die neue sozialistische Führung Frankreichs die amerikanische Kritik an der Regierungsbeteiligung der Kommunisten auch immer herunterspielen will - die französischamerikanischen Beziehungen scheinen in Zukunft doch ernsthaften Belastungen ausgesetzt zu sein. Und sei es auch nur deshalb, weil die neue amerikanische Regierung unter Ronald Reagan ihr Amt mit dem erklärten Ziel angetreten hat, gleichsam einen Kreuzzug gegen den sowjetischen Expansionismus zu führen.

Dieser außenpolitischen Zielsetzung müssen moskautreue Kommunisten in einer westlichen Regierung fundamental zuwiderlaufen, schon gar, wenn militante Antikommunisten die Architekten und Baumeister der neuen US- Außenpolitik sind, die durch ihren „Kreuzzugs-Eifer“ mitunter den Sinn für die Realitäten (auch für die europäischen) verlieren.

Der amerikanische Vizeaußenminister William P. Clark machte vergangene Woche bei einem Vortrag vor der österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik in Wien mit zum Teil markigen Worten deutlich, wo die jetzige amerikanische Regierung die signifikantesten Gefahren- und Problemzonen sieht:

• In der stark gestiegenen militärischen Macht der Sowjetunion und in der wachsenden Bereitschaft Moskaus, diese Macht direkt oder durch Stellvertreter rund um den Globus auch einzusetzen.

• Im verschobenen inneren Gleichgewicht zwischen den USA und ihren Verbündeten in Europa und Asien. Clark wörtlich: „Amerikas Freunde und Alliierte haben eine wirtschaftliche Stärke erreicht, die der der Vereinigten Staaten gleichkommt und sie beginnen allmählich damit, größere politische

und militärische Verpflichtungen zu übernehmen.“

Das Problem, auf das Clark dabei anspielte: Die Schützlinge sind ebenso reich wie der Beschützer, damit sind ihnen auch politisch und militärisch beträchtlich mehr Verantwortlichkeiten erwachsen.

Natürlich geht es dabei auch ums Geld. In den USA ist es eine weitverbreitete Ansicht, daß sich die Alliierten nur allzu gerne drücken, wenn es um die Finanzierung der Verteidigungslasten geht.

Tatsächlich werden in diesem Punkt die Prioritäten diesseits und jenseits des Atlantiks anders gesetzt. Während in den USA soviel Geld wie niemals zuvor in die Verteidigung gesteckt wird und andererseits die Sozialausgaben gekürzt werden, paßt es den Europäern gar nicht ins Konzept, Sozialprogramme zugunsten der Verteidigung einzuschränken. Im Gegenteil: In einer Zeit der knapper werdenden Staatshaushalte neigt man in den meisten Ländern des westlichen Europas eher dazu, die Sparaxt im Verteidigungsetat anzusetzen.

• Die dritte Gefahrenzone liegt laut Clark darin, daß die Abhängigkeit des Westens von anderen kritischen Regionen gewachsen ist und daß gleichzeitig die Zahl lokaler Unruheherde und die sowjetische Einmischung zugenommen hat.

In dieser weltpolitischen Krisensituation sieht der Vizeaußenminister vor allem einen Ausweg: ein effektiveres Management der Beziehungen des Westens zur Sowjetunion:

„Dieser Prozeß muß damit beginnen, daß der Westen zu einer klaren und gemeinsamen Einschätzung der sowjetischen Bedrohung gelangt. Er muß fortgesetzt werden mit einem gemeinsamen Programm, um die westliche Glaubwürdigkeit und die militärische und wirtschaftliche Stärke wiederherzustellen. Und er muß die Sowjetunion dahingehend bewegen, daß sie sich mehr Mäßigung und mehr Zurückhaltung auferlegt.“

Das von Clark erwähnte Programm scheint allerdings doch noch ziemlich unausgegoren.

Der Unterstaatssekretär für Europäische Angelegenheiten im amerikanischen Außenministerium, .Lawerence S. Eagleburger, der vergangene Woche ebenfalls in Wien weilte, präsentierte es unlängst dem Außenpolitischen Ausschuß des Repräsentantenhauses in Washington. Demnach umfaßt das Konzept einer neuen westlichen Politik gegenüber der Sowjetunion:

• das Achten auf die Mäßigung und Zurückhaltung der Sowjets sowie die Gegenseitigkeit in den Ost-West-Bezie- hungen;

• die Stärkung der Bündnisse, in er

ster Linie der Atlantischen Allianz.

• Gegenüber den Ländern der Dritten Welt sollen die USA und ihre Verbündeten eine aktive und produktive Rolle spielen, damit der Bedrohung durch die Sowjetunion und ihre Stellvertreter indenEntwicklungsländernentgegenge- wirkt werden kann. (Das Engagement der Nordatlantischen Allianz in Gebieten außerhalb der NATO, vor allem in Südwestasien, ist dabei ganz besonders ein potentieller Konfliktbereich zwischen den USA und einzelnen europäischen Verbündeten.)

• Die amerikanische Wirtschaft und Verteidigung sollen gestärkt werden, zumal dies den allgemeineren Interessen des Westens als Ganzem diene.

So eindeutig diese Ansätze einer neuen amerikanischen Politik gegenüber den Sowjets auch sein mögen, schon im Kern gibt es europäisch-amerikanische Differenzen, zumal die von der Reagan-Regierung so stark in den Vordergrund gestellte These von der globalen sowjetischen Bedrohung bei vielen Europäern nicht die ungeteilte Zustimmung findet. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die Entspannungspolitik, von der man in Washington am liebsten gar nichts mehr hören will, während viele Europäer sich nach wie vor an sie klammern.

Zu einem die europäisch-amerikanischen Beziehungen beträchtlich belastenden Problem hat sich auch die Verwirklichung des NATO-Doppelbe- schlusses über die Modernisierung des amerikanischen Mittelstreckenpotentials vom Dezember 1979 entwickelt.

Nicht, daß man die Bedrohung Westeuropas durch die sowjetischen Mittelstreckenraketen, vor allem die „SS-20“, in den Hauptstädten der europäischen NATO-Mitglieder nicht erkennen würde (die laut Auskunft des westdeutschen Verteidigungsministeriums bei atomaren Gefechtsköpfen auf Mittelstreckenraketen schon ein Kräfteverhältnis von 8:1 zugunsten der Sowjets erreicht hat):

Aber der Druck westeuropäischer pazifistischer Bewegungen auf die einzelnen Regierungen - vor allem in Belgien, Holland und in der Bundesrepublik - hat die Führungen’dieser Länder dazu gezwungen, vor allem auf die Verwirklichung des zweiten Teils dieses Doppelbeschlusses, nämlich auf die Verhandlungen der USA mit der Sowjetunion über das Mittelstreckenrake- ten-Potential in Europa, zu drängen.

Die Reagan-Regierung aber hat nicht allzu große Eile gezeigt, um mit Abrüstungsverhandlungen zu beginnen. Erst das stete Drängen der europäischen Verbündeten scheint sie dazu bewogen zu haben, noch in diesem Jahr mit Moskau das europäische Mittel- Strecken-Potential zu verhandeln.

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