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Die einzige Alternative

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Das beliebteste Argument jener, die gegen eine zweite Volksabstimmung über Zwentendorf sind, ist: „Es haben sich die Entscheidungsgrundlagen seit dem 5. November 1978 ja nicht geändert.”

Wer immer das behauptet, gibt damit allerdings zu, sich mit der Materie in keiner Weise beschäftigt zu haben. Es hätte ja schon genügt, die Tageszeitungen zu lesen, um auf die folgenden wesentlichen neuen Gesichtspunkte und Tatsachen aufmerksam zu werden:

1. Nach der Volksabstimmung im November 1978 schien bei einem Leistungsbilanzdefizit von 6 Milliarden Schilling die Belastung durch zusätzliche Energieimporte infolge der Nicht-Inbetriebnahme von Zwentendorf gerade noch tragbar. Seither hat sich unsere Leistungsbilanz leider gravierend verschlechtert. Im ersten Quartal dieses Jahres mußten wir für Energieimporte bereits 10,6 Milliarden Schilling aufwenden, d. s. um 2 Milliarden Schilling mehr als im gesamten Jahr 1972! Dazu kommt, daß wir nun mit keiner Abwertung des Dollars gegenüber dem Schilling mehr rechnen können, so daß die fortgesetzten Erdölpreissteigerungen voll auf unser Preisniveau durchschlagen und die Preisauftriebstendenzen verstärken.

2. Vor dem 5. November 1978 hat man den Österreichern vorgegaukelt, das AKW Zwentendorf sei einfach und billig in ein kalorisches Kraftwerk umzubauen. Diese Aussage wurde von vielen Wählern geglaubt und das Abstimmungsverhalten entscheidend beeinflußt. Heute ist durch verschiedene Studien und Gutachten belegt, welch technischer und ökonomischer Unsinn damit verbreitet wurde. Wenn nun dennoch ein Volksbegehren mit dem Ziel des Umbaues in ein Gaskraftwerk initiiert wird, wobei ja bereits feststeht, daß die benötigten Erdgasmengen nicht beschafft werden können, so ist dies eine Zumutung für jeden vernünftig denkenden Menschen.

3. Die Erdbebengefahr! Im Herbst 1978 haben sich Vertreter aller möglichen Wissenschaften zu „Erdbebenexperten” ernannt und die Öffentlichkeit in Verwirrung gestürzt. Mit der nun vorliegenden GEOWAK-Studie steht jedoch eindeutig fest, daß die Bodenplatte des Kraftwerks für alle an diesem Standpunkt durch Erdbeben möglichen Kräfte völlig ausreichend dimensioniert ist. Das Kraftwerk ist erdbebensicher!

4. Die Frage der Endlagerung des Atommülls wird vielfach als Kriterium für die Inbetriebnahme von Zwentendorf angesehen. Erstaunlicherweise scheint weitgehend nicht zur Kenntnis genommen zu werden, daß die technische Seite des Problems der Endlagerung hochradioaktiver Substanzen durch die französische Methode der „Vitrification” (Verglasung) seit mehr als 10 Jahren gelöst ist und auch mit den besten Erfahrungen gehandhabt wird. Ebenso totgeschwiegen werden von Atomgegnern aber auch französische, schwedische und kanadische Untersuchungsergebnisse über das Verhalten der in korrosionssicheren Behältern verschweißten Glasmasse bei Lagerung unter extremen Bedingungen in Tiefen unter 500 Meter. Nichts spricht dabei für eine mögliche Gefährdung der Biosphäre, weder jetzt noch in Zukunft.

5. Wir sind seit dem November 1978 auch klüger geworden, was den vielpropagierten Einsatz von Alternativenergien betrifft und haben gesehen, daß in unseren Breiten z. B. die Sonnenenergie kaum rentabel genützt werden kann. Alle Alternativenergien werden auf Dauer maximal zwei bis drei Prozent zur Energiegewinnung beitragen können. Unsere Wasserkräfte aber sind mit dem Endausbau der Donau in einigen Jahren ausgenützt, außer man verbetoniert auch noch den letzten Bach.

6. Energiesparen muß wirklich ein Gebot der Stunde sein und ist jede Anstrengung wert, aber was haben die Appelle der Bundesregierung genützt? Nichts! Im Jahre 1979 ist der Energieverbrauch abermals um rund vier Prozent gestiegen, für Energieimporte haben wir 33,4 Milliarden Schilling ausgegeben, rund ein Drittel mehr als im Jahre der Volksabstimmung. Uber den Winter 1979/80 konnte die Verbundgesellschaft die Stromversorgung nur deshalb aufrechterhalten, weil alle nur denkbaren günstigen Umstände zusammengetroffen sind. Wir mußten also zur Kenntnis nehmen, daß Energiesparen eben nur theoretisch eine Alternative zu Zwentendorf ist.

7. Unsere Abhängigkeit von Stromimporten hat sich verstärkt und wir haben gesehen, woher die Stromlieferungen zunehmend kommen: aus Atomkraftwerken im Osten, die eigens für den Stromexport gebaut werden.

8. Schließlich hat es ein Ereignis gegeben, das den von Atomgegnern so oft beschworenen Schrecken eines möglichen Super-GAUs ins rechte Licht gerückt hat: Harrisburg. Ein Unfall, bei dem laut Expertenurteil zu Beginn so ziemlich alles falsch gemacht wurde, was nur falsch zu machen war, mit einer 13 Stunden dauernden, zumindest teilweisen Abdeckung des Reaktorkerns vom Kühlmittel, ohne daß es zum Kernschmelzen gekommen wäre. Dieses unfreiwillige „Großexperiment” hat gezeigt, daß ein Super-GAU viel unwahrscheinlicher ist, als bisher angenommen wurde.

9. Letzten Endes wäre aber eine Volksabstimmung über die friedliche Nutzung der Atomkraft in Österreich unsinnig, wenn man von vornherein wüßte, daß sie von einem Großteil der Bevölkerung abgelehnt wird. Die Erhebungen über die Einstellung des Österreichers zu Zwentendorf zeigen nach einem Uberwiegen der ablehnenden Stimmen nach dem Harrisburg-Unfall eine stetige Zunahme der Kernkraftbefürworter, sodaß Ende Mai 1980 rund 36 Prozent der Bevölkerung für den Betrieb, rund 27 Prozent schwankend und 33 Prozent dagegen waren.

Es haben sich also seit dem 5. November 1978 viele neue wesentliche Gesichtspunkte ergeben. Nur eines hat sich nicht geändert, daß das AKW Zwentendorf von Anfang an mit allen bekannten Sicherheitseinrichtungen ausgestattet worden ist, den strengsten Prüfungen und Kontrollen unterworfen war und anerkannterweise zu den sichersten Kernkraftwerken der Welt zählt.

Dies macht es mir auch völlig unverständlich, wenn von Politikern immer wieder behauptet wird, Probleme der Sicherheit hätten für sie Vorrang und seien noch ungelöst.

Am 5. November 1978 hatten tagespolitische Aspekte die echte Meinung des Österreichers zur Frage der friedlichen Nutzung der Kernkraft verzerrt. Die Entwicklungen seither rechtfertigen zweifellos eine neue Volksabstimmung über dieses Thema. Ich glaube, daß die österreichische Bevölkerung nach eingehender sachlicher Information der einzigen Alternative aus unserem Energiedilemma - der Kernkraft -zustimmen wird.

Dkfm. Dr. Heinz Kienzl ist Generaldirektor der Osterreichischen Nationalbank.

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