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DIE EMOTIONEN GINGEN HOCH

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Die Diskussion über die Rolle der Geschlechter in unserer Gesellschaft gehört zu den intensivst angesprochenen Aktualitäten, nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Bereich. Die Meinung, männliches und weibliches Verhalten seien von Natur aus durch Erbanlagen fixiert, wird in Frage gestellt durch den Hinweis, daß jede Gesellschaft ihre bestimmten Vorstellungen davon habe, was als männlich und weiblich zu akzeptieren sei und jedem Kind diese Normen vorschreibe.

Naturgemäß haben solche Positionen wesentliche Auswirkungen auf die Erziehung und damit auf das Schulwesen. Immerhin bedeutet die Schule einen wichtigen Faktor in der Lebensvorbereitung und Formung der Heranwachsenden. Veränderungen in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern gegenüber vergangenen Jahrzehnten sind unübersehbar, ihnen sollte auch in den Schulen Rechnung getragen werden.

Da es kein geschlechtsspezifisches, sondern nur ein geschlechtstypisches Verhalten gibt, wurde die pädagogische Zielvorstellung eines „geschlechtsspezifischen Unterrichtes" im Sinne einer Trennung der Geschlechter aufgegeben. Sie ist einer geschlechtsneutralen Unterrichtsgo-staltung gewichen. Der von Natur aus angelegte Verhaltensspielraum der beiden Geschlechter soll zu einer gegenseitigen Annäherung im Bil-dungs- und Erziehungsbereich genützt werden, ohne die Akzeptanz des Andersseins des anderen Geschlechtes aufzugeben.

Der organisatorische Ausdruck dafür ist die „Koedukation", exakter wohl als „Koinstruktion" bezeichnet, das ist die gemeinsame unterrichtliche Betreuung von Jungen und Mädchen. Infolge der Vielfalt der unterschiedlichen Meinungen und Methoden der Pädagogen traten bei der Durchführung Konflikte auf. Den Höhepunkt erreichten diese in Österreich um 1970, bis schließlich 1975 die Koedukation gesetzlich verankert wurde. Allerdings, abgerissen ist die Auseinandersetzung darüber nicht, wenn sie heute auch unter anderen Gesichtpunkten erfolgt als damals.

Seinerzeit gab es engagierte Zweifler an den Vorteilen und an der Notwendigkeit schulischer Koedukation, die Debatte wurde unter anderem auch von kirchlicher Seite beeinflußt. Unter moralischen, charakterbildenden und geistigen Gesichtspunkten wurde die Sorge geäußert, daß sich die geschlechtlichen Spannungen zwischen den männlichen und weiblichen Schülern in den Reifejahren - das Volksschulalter wurde nie als problematisch angesehen - negativ auswirken könnten. Dabei war die heute selbstverständliche gezielte Sexualerziehung in der Schule tabuisiert. „Die Forcierung der Koedukation ist ein Anachronismus", meinte 1950 der führende Pädagoge H. Peter in den „Christlich-pädagogischen Blättern".

Dagegen plädierten die Koedukationsbefürworter, daß eine getrennte Erziehung lebensfremd sei, da das Zusammenleben der Geschlechter nach der Schule unvermeidlich sei.

Die gegensätzlichen Positionen wurden damals sehr emotionell verteidigt, sie spielen in der heute wieder geführten Koedukationsdebatte kaum mehr eine Rolle. Nicht nur die familiären Voraussetzungen vieler Kinder (unvollständige Familien, mangelndes Interesse der Eltern oder Unfähigkeit zur Aufklärung) haben sich gewandelt. Auch die Einstellungen der Lehrer und deren Engagement für eine adäquate Erziehungsarbeit im Hinblick auf die Sexualität ihrer Schülerinnen haben sich verändert.

Demgegenüber ist in den letzten Jahren die Koedukation wieder ins Gespräch gekommen, nicht mehr aus weltanschaulichen Gründen, sondern aus didaktischen, gesellschaftlich orientierten Erwägungen. Eine koedukationskritische Position wird vor allem von Lehrerinnen bezogen. Sie gehen davon aus, daß sich eine Dominanz der Jungen in den „gemischten" Klassen nachweisen lasse, die die Mädchen in ihrer schulischen und auch charakterlichen Entwicklung behindere.

In einschlägigen Untersuchungen werde deutlich, daß die Schüler mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung von den Lehrpersonen (auch von den weiblichen) als die Mädchen erhielten. Die Mädchen seien frustriert und unterdrückt und fühlten sich in ihrem Selbstwertgefühl herabgesetzt. Man verlange von ihnen Anpassung, die Aufgabe des weiblichen Selbstbewußtseins und Unauffälligkeit, während die Jungen in ihrer Persönlichkeitsentfaltung bestärkt würden. Damit sei die seinerzeitige Zielvorstellung, nämlich mehr Chancengleichheit für die Mädchen zu erreichen, in Frage gestellt.

Als für die Mädchen nachteilig zeige sich das Verhalten der Lehrpersonen, die Unterrichtsinhalte seien zu sehr männlich orientiert, die Jungen wurden als intelligenter eingeschätzt, die Mädchen bloß als fleißiger, die Mädchen wurden in der Klasse als Bezugsgruppe geringer geschätzt, die Jungen dominierten das Klassengespräch, üben die soziale Kontrolle. Das alles führe dazu, daß sich die Mädchen als zweitrangig erleben, weit entfernt von Gleichberechtigung und Selbstverwirklichung. Sie hätten nur die Chance, sich an männliche Verhaltensweisen anzupassen.

Von einer erfolgreichen koedukati-ven Unterrichtsform müsse aber verlangt werden, daß sie die Schülerinnen ebenso fördere wie die Schüler. Wird daher wieder der Rückkehr zur Mädchenschule das Wort geredet? Nicht die organisatorische Trennung der Geschlechter kann das Ziel sein, sondern eine entsprechende Gewichtung von eher mädchenorientierten Fächern und der Einsatz der Lehrerinnen, die mit pädagogischem Geschick bewußt und gezielt den Mädchen mehr Beachtung zuwenden. Die größere Autonomie der einzelnen Schulen könnte dafür wertvolle Möglichkeiten bieten.

Auch bei der Ausbildung der künftigen Lehrerinnen müßte der Koedukationsproblematik mehr Augenmerk zugewendet werden als bisher. Gleichzeitig nimmt der männliche Anteil an Lehrpersonal extrem ab und entwick-lungspychologisch wichtige männliche Interaktionsformen und Erziehungsimpulse fallen aus. Der Autor ist AHS-Direktor in Ruhestand.

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