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Die Energie, die uns durchströmt

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Ein „Klerikerstreit" (Buchtitel des Kösel-Verlages) wogt (nicht erst seit seinem Buch „Kleriker") um den deutschen Theologen Eugen Drewermann. Vertritt er noch katholische Positionen?

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Ein „Klerikerstreit" (Buchtitel des Kösel-Verlages) wogt (nicht erst seit seinem Buch „Kleriker") um den deutschen Theologen Eugen Drewermann. Vertritt er noch katholische Positionen?

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FURCHE: Sie setzen sich mit der christlichen Botschaft in einer ganz eigenständigen und neuen Weise auseinander...

EUGEN DREWERMANN: Ich glaube, daß der Weg der biblischen Off enbarungsreligion möglich wurde durch die Auseinandersetzung mit der vorgefundenen Religionsform der Mythen. Mir scheint etwas unverzichtbar Wahres in der biblischen Religion enthalten zu sein, das darin liegt, den Menschen zunächst einmal als ein eigenständiges Wesen in seiner Geschichte aus der Natur herauszulösen und parallel dazu Gott. Es besteht zwischen dem israelitischen Monotheismus und der Personalisierung der menschlichen Geschichte offensichtlich eine Korrespondenz. Beide Schritte enthalten eine absolute Kulturschwelle, hinter die wir nicht mehr zurück können.

Auf der anderen Seite scheint mir genauso klar, daß in der Bewegung, die durch die Bibel eingeleitet wurde, eine extreme Einseitigkeit Platz gegriffen hat. Der Kampf gegen den Mythos bedeutet auch den Kampf gegen mythenbildende Kräfte in der menschlichen Psyche, zerstört Organe unserer Seele, die uns sehr tief mit der Natur ringsum und auch mit Gott, der die Natur gemacht hat, verbinden könnten. Insofern möchte ich eine integralere Form von Religiosität, in der Bewußtsein und Unbewußtes, Person und Natur, Individuum und Gesellschaft nicht in dieser krassen Form auseinandergerissen werden.

FURCHE: Ihr Vorschlag ist nun, die Bibel und ihre Bilderwelt in einer Weise zu deuten, wie sie die Tiefenpsychologie im Umgang mit Träumen vermittelt...

DREWERMANN: Das hat zwei Seiten, das eine ist der offensichtliche Engpaß, um nicht zu sagen, die völlige Ratlosigkeit der historischkritischen Bibellektüre. Ich glaube, daß sie von der Renaissance bis heute einen wichtigen Erkenntnisfortschritt gegenüber den Auslegungsverfahren, die bis dahin üblich waren, darstellt. Es wurde so unverzichtbar Richtiges erkannt, aber es mußte die historische Kritik an der Bibel Punkt für Punkt zu der Einsicht führen, daß gerade die religiös relevanten Stellen keine historischen Informationen liefern über eine Wirklichkeit hinter den Texten. Und das führt in unserer Kultur zwangsläufig dazu, die christliche Botschaft als unbegründet oder rein phantastisch abzutun.

Mir scheint, daß man die Eigenart der biblischen Erzähl weisen nur verstehen kann, wenn man begreift, daß es Wahrheiten im Menschen gibt, die man nur ausdrücken kann, indem man Märchen, Mythen, Legenden, Wunder erzählt. Daran aber hat das Christentum bis heute keinen wirklichen Geschmack gefunden. Es Wird ständig so getan, als wenn im Unterschied zu allen mythischen Religionen, nur das, was wir selber in der Bibel lesen, wahr ist, weil es historisch wirklich wäre. Genau das ist nicht der Fall. Und darum möchte ich mit Hilfe der Tiefenpsychologie, die Erzählformen, die in der menschlichen Psyche ihren Ursprung haben, in ihrer Wahrheitsbedeutung und menschheitlichen Geltung rechtfertigen.

FURCHE: Aber stoßen Sie da nicht auch bei den einzelnen Gläubigen auf Schwierigkeiten? Man fragt doch, ist etwas wahr oder ein Märchen, also nicht wahr?

DREWERMANN: Eben, und weil man so fragt, kommt man mit der heutigen Religion nicht mehr zurecht. Wenn Märchen, einfach weil sie Märchen sind, unwahr sind, ist die ganze Religion die Unwahrheit. Religiöse Aussagen können nur wahr sein, wenn man anerkennt, daß es Wirklichkeiten gibt, die man nur symbolisch mitteilen kann. Und dann wird man bald feststellen, daß man alle möglichen psychosomatischen, psychoneurotischen Krankheiten bekommen kann, wenn man diese Ebenen von Bild und Symbol immer wieder vernachlässigt.

Im übrigen wissen die heutigen Naturwissenschaften paradoxerweise weit mehr und besser inzwischen als die Theologen, daß es die Aufspaltung zwischen Subjekt und Objekt im Erkenntnisvorgang nicht mehr gibt. Die Religion besteht in ihrer symbolischen Rede in der Subjekt-Objekt-Verschmelzung. Und dann brauchen wir Auslegungsformen, Redeweisen, Verständnismöglichkeiten, die gerade das nicht tun, was wir in Nachahmung gewissermaßen des Weltbildes Newtons in der Theologie als Wissenschaftstheorie nachgebildet haben.

Es gibt kein Reden über Gott, das dem Subjekt im Grunde belanglos gegenüber steht. Es ist nur möglich von Gott so zu sprechen, daß sich im Menschen darunter etwas ändert, hat Bonhoef f er einmal gesagt. Für mich ist das identisch damit, zu sehen, was sich in Menschen ereignet, wenn sie nach Gott fragen, und was in Menschen passiert, wenn sie ' von Gott hören.

FURCHE: Wenn man Ihren „Klerikerstreit " verfolgt, hat es den Anschein, als sei die katholische Kirchefür Sie ein Ort des reinen Ärgernisses, Bild einer bösen Institution.

DREWERMANN: Einmal gibt es Gott sei Dank nicht nur die katholische Kirche, die man weder im Positiven noch im Negativen überbewerten sollte. Da haben sie völlig recht. Auf der anderen Seite glaube ich in der Tat, daß die katholische Kirche eine wunderbare Einrichtung sein könnte, wenn sie nur lutherisch wäre. Sie verleugnet seit dem Konzil vonTrient Wahrheiten, die am Anfang der Neuzeit absolut notwendig sind, um als denkender, fühlender Mensch zu leben. Und dieses Auseinanderreißen von Subjekt und Objekt, zwischen den beiden Konfessionen, darf in keiner Weise so bestehen bleiben.

Dies ist nicht eine Frage der Kirchenordnungen, dies ist eine Frage der Zerrissenheit des abendländischen Menschen auf dem Weg zu Gott. Es ist ein bleibender Skandal. Das macht wenig Sinn, die Vergangenheit heute durch den Austausch freundlicher Erklärungen nachzubessern. Worum es wirklich geht, ist eine integrale Form von Glauben. Und das setzt eine Veränderung sowohl in der katholischen als auch in der protestantischen Kirche voraus. Die katholische Kirche liebe ich, sonst wäre ich nicht ihr Priester.

FURCHE: Könnte man dies als Haßliebe bezeichnen?

DREWERMANN: Nein, das kann man nicht sagen. Ich glaube aber, wir leben im gewissen Sinne in den Tagen des Propheten Jeremia. Man wird beten müssen für den Untergang Jerusalems, damit Gott möglichst bald anfangen kann, das, was er wirklich sagen möchte, in die Herzen der Menschen zu schreiben. Die Institution hindert inzwischen das, was sie wirklich möchte. Sie basiert auf der Angst vor den eigenen Gläubigen. Sie macht sich überwertig deshalb mit den Abwehrformen von Machtveräußerlichung, Autorität, patriachaler Hierarchie, Gewinn von Geld und Einfluß auf die Öffentlichkeit.

Was sie nicht mehr im Sinn hat, ist der konkrete Anknüpfungspunkt an den wirklichen Fragen der Menschen. Man spricht davon, daß bis zu 70 Prozent der Bewohner unserer Großstädte seelisch krank sind. Worum also müßte sich die Seelsorge der Kirche kümmern? Vergleicht man das mit dem, was sie wirklich tut, ist es schrecklich.

FURCHE: Wenn die Kirche zerstört würde, welche Institution, glauben Sie, wird dann das wichtige tradierte Glaubensgut weitervermitteln?

DREWERMANN: Das Paradoxe ist, daß man das nicht sagen kann. Und das es auch nicht wichtig ist, ob man das sagen kann. Ich meine es wirklich ernst mit dem Vergleich zu Jeremia. Es ist unter Umständen nötig, Jahrzehnte lang mit der sicheren Vision zu leben, daß alles, was so sicher scheint, zerstört werden wird. Nebukadnezer wollte sicher nicht die Wiederherstellung der jüdischen Religion. Er wollte ihr Ende. Aber Jeremia betete darum, daß genau dies passiert. Weil er die Hoffnung auf Gott setzte, daß es danach weitergehen wird, irgendwie weiter.

Das Problem ist, daß alle Leute, die hören, daß die Macht der katholischen Kirche zersprengt werden soll, ihre Ämterhierarchie, ihre garantierten Wahrheiten, die Schikanen mit einem Lehramt, das sich nie vertan hat, selbst, wenn es Menschen verbrannt, gefoltert, zerstört hat, psychisch, physisch bis heute, dann gleich denken, es bleibe nichts mehr. Was in jedem Falle bleiben wird, ist eine Fülle menschlicher Wahrheiten, die endlich anfangen zu leben, und die werden sich auch neu organisieren, wieder gestalten.

FURCHE: Wessen Auftrag hat Jesus der Christus erfüllt, von dem wir bekennen, er sei „hinabgestiegen in das Reich des Todes und am dritten Tage auferstanden von den Toten; er sitzt zu Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters".

DREWERMANN: Ich glaube, Jesus ist nicht nach seinem Tode „hinabgestiegen in die Hölle", sondern es.waj sein ganzes Leben, das zu tun. In seinen Augen gab es ringsum nichts als arme Teufel und jedem versuchte er nahe zu sein. So wie er es sah, wollte „sein Vater" das, aber was er „Gott" nannte, war die Verdichtung aller Regungen von Mitleid, Verstehen und Willen zum Leben. Dieser „Gott" ist sicher ein ganz anderer als der Schöpfer der Welt, denn in der Ordnung der Welt sind Gefühle dieser Art nichts weiter als ein Instrument des Erhalts jeder Art höherer Säugetiere im Kampf ums Überleben. All diese Gefühle und Glaubensinhalte taugen wohl, um unser Handeln zu motivieren und im Umgang miteinander die schlimmsten Fehler zu vermeiden, aber sie bieten keine Kategorien zur Erlösung der Welt.

Insofern sind wir selber gewiß die „Eltern" unsrer Gottesbilder, aber diese Bilder sind wie die Fenster einer Kathedrale: man sieht nichts weiter in ihnen als das täuschende Gefüge bunten Glases, und doch ist, was diese Bilder sichtbar macht, jenes weiße Licht, das sie durchflutet. Dieses Licht sehen wir nicht selbst und deshalb nennen wir alles mögliche „Gott", was in den Bildern sichtbar wird. Aber in Wahrheit ist „Gott" wohl nur die Energie, die uns durchströmt, wenn wir nach ihm suchen.

Das Gespräch führte Felizitas von Schönborn.

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