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Die Entdeckung der Senioren

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Der „Alte“ ist tot - es lebe der „Senior“! Werbung, Politik und Soziologie haben den alten Menschen entdeckt, als Träger eines nicht unwichtigen Käuferpotentials, als entscheidende Wählerschicht, als Menschengruppe, die sich vernachlässigt, vergessen, unterprivilegiert, diskriminiert fühlt. Und die erst allmählich bereit erscheint, dieses Unbehagen zu artikulieren.

Wer aber ist ein „Senior“? Schon jener Achtundvierzigj ährige, von dem Hermann Withalm erzählte, als er kürzlich im Kummer-Institut von seinen neuen Aktivitäten im Dienst der Senioren berichtete: jener Mann, der mit der Pleite seines Betriebs den Posten verlor, keinen neuen mehr finden kann und sich jenen Menschen zugetan fühlt, die wie er aus dem aktiven Berufsleben ausgeschieden sind? Oder jener General, der obwohl erst 61 und daher noch aktiv, seine Mitgliedschaft im Withalm-Bund angemeldet hat, um seine Solidarität mit den Alteren schon frühzeitig zu bekunden? Wo immer man den Start ins Seniorenalter ansetzt - mitentscheidend wird immer die Selbsteinschätzung sein: ein Mann ist so alt, wie er sich fühlt...

Aber da setzt nun der gesellschaftliche Schematismus ein: Mit dem Stichtag bist du alt - meist liegt er am 65. Geburtstag. Frauen „dürfen“ schon fünf Jahre früher „alt“ sein. Ob der Senior nun noch Kräfte in sich fühlt, um die ihn ein echter Junger beneiden könnte; ob der (stichtagsmäßig) Noch- n.cht-Senior gesund he itsmaßig längst für den Altenteil reif und bereit wäre - der Sozialstaat kann nur für alle gleiche Termine setzen. Das soll nichts gegen den Sozialstaat sagen, dem unsere Alten heute in den meisten Fällen einen abgesicherten Lebensabend verdanken.

Sicherlich—für den früh Verbrauchten gibt es die Invaliden- oder Frühpension; für den länger aktiv Erhaltenen so manche Möglichkeit, diese Aktivität auszunützen. Woran hegt dann das Unbehagen, daß sich in der virulenten Aktivität rund um die „Senioren“ dokumentiert?

Liegt es wirklich nur in den Symptomen einer Disluiminierung, die die Sprecher der Senioren feststellen - Altersklauseln, Verweigerung der Briefwahl, gewisse Umgangsformen in Altersheimen? Oder liegt es vielleicht eher in einem dumpfen Angstgefühl gegenüber einer in Desintegration befindlichen Gesellschaft, deren Trachten auf Leistung, auf Konsum, auf Wachstum ausgerichtet ist und die nun plötzlich auf die „Grenzen des Wachstums“ stößt; in einem Angstgefühl, dieser Gesellschaft im Alter nicht mehr gewachsen zu sein; in der Furcht, es könnte eine Zeit kommen, da die Zahl der Erwerbstätigen von unten wie von oben her so weit be-• schnitten sein wird, daß die Erfolge des Sozialstaates in Frage gestellt sein könnten? Oder auch „nur“ - bei manchen - in der Erkenntnis, daß man im Alter nun allein stehen wird, weü man bisher mitgeholfen hat, die Familie zu zerstören?

Die „Entdeckung“ der Senioren ist gut Sie fördert das Problembewußtsein, sie regt an zum Nachdenken, zum Umdenken, zur Entwicklung neuer Methoden. Das ,.Modell Poysdorf' -die FURCHE hat darüber berichtet -, Musterbeispiel privater Initiative im Sinn des Subsidiaritätsprinzips, hat schon Schule gemacht. Gerade in diesem Bereich muß die Regel gelten, zunächst die „offene Altenhüfe“ zu intensivieren, bevor höhere Instanzen in Anspruch genommen werden; bevor die Alten in Heime und Versorgungshäuser abgeschoben werden. Heime und Versorgungshäuser wird es immer geben müssen. Ihre Existenz als allzu leichten Ausweg aus Schwierigkeiten zu ergreifen, ja nur als Ausrede vor dem schlechten Gewissen den Eltern gegenüber zu wählen,, muß schließlich die Desintegration der Ge-. Seilschaft ins Unterträgliche steigern.

Das Nachdenken wird noch weitergehen müssen. Vielleicht mehr Flexibilität zur individuellen Festsetzung der Altersgrenze, mehr Beweglichkeit bei den Ruhensbestimmungen der Pensionsversicherung, sicher auch mehr Bemühen um jene, die ihre ihnen nun geschenkte Freizeit gerne für gesellschaftliche Aufgaben einzusetzen bereit sind - alles dies ist notwendig. Man wird aber nur dann Erfolg haben, wenn es gelingt, das Familienbewußtsein wieder über die Kernfamilie hinaus auf die (Groß)Eltern hin zu reaktivieren, wenn es gelingt, das Gebot der Nächstenliebe im engsten Sinn des Wortes, beim alten, hilfsbedürftigen Mitmenschen wirksam werden zu lassen.

Denn die wichtige Sorge um die Alten darf nicht in einem neuen Seniorengetto münden, sie muß ihre Re-intregration in der Gesellschaft erreichen. Dies reicht weit über die Sozialpolitik hinaus bis zur Wohnbaukonzeption und zur Familienpolitik. Und nicht zuletzt bis zum Aufruf an die Senioren selbst, sich nicht zum alten Eisen zu zählen, nicht selbst dem Trugschluß zu verfallen, daß Pensionsbeginn und Inaktivität gleichzusetzen seien. Ein Mensch ist so alt, wie er sich fühlt...

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