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Die Entmystifizierung sozialistischer Ideale

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Das sozialistische Experiment ist nicht nur deswegen gescheitert, weil seine globale Bilanz ernüchternd negativ ausfällt, sondern nicht zuletzt, weil sich ein nicht kleiner Teil des traditionellen und wesentlichen Gedankenguts französisch-sozialistischer Prägung als Fata Morgana erwies. Als es ernst damit wurde und den Worten oder Träumen die Taten folgen konnten, hielt es der Wirklichkeit nicht stand und löste sich im Nichts auf.

Nach den Worten Francois Mitterrands sollte die Verstaatlichung der großen Industriegruppen und der Banken den Bruch mit dem Kapitalismus besiegeln. Als Neuordnung schwebte dem sozialistischen Präsidenten eine je zur Hälfte private und öffentliche Wirtschaft vor, wobei der staatliche Sektor als industrielle und soziale Lokomotive dienen sollte. Auf seinem Fundament durften sich nachahmend und nacheifernd private Klein- und Mittelbetriebe-bevorzugt als Zulieferer oder zur Ausfüllung des staatlich konzipierten Rahmens -theoretisch frei betätigen.

Die Verstaatlichung war zudem der soziale Bagger, der den Weg zur sozialistischen Selbstverwaltung, zur Autogestion, zu ebnen hatte. Ganz natürlich sollte dieses neue Gebäude auf den Schultern der Gewerkschaften ruhen und von allen Arbeitnehmern als große Errungenschaft gewürdigt werden.

Es bedurfte keiner drei Jahre, und die Verstaatlichungen verloren ihren ideologischen Heiligenschein endgültig. Abgesehen von den rein politisch motivierten Kommunisten, die dem sowjetischen Modell zustreben, tragen die Gewerkschaften in voller Kenntnis der Stimmung ihrer Mitglieder eine totale Gleichgültigkeit zur Schau.

Selbst der den Sozialisten innerlich besonders nahestehende Verband CFDT zweifelt an Sinn und Nutzen der Verstaatlichungen. Die Regierung war wohl oder übel gezwungen, den neuen Generaldirektoren zu befehlen, die Rentabilität als ihr wichtigstes Ziel zu betrachten, weil die Staatskasse nach einer kurzen Periode der Defizite schaffenden Euphorie nicht mehr in der Lage ist, die sich aus sozialen Experimenten ergebenden Verluste zu decken, noch die unumgänglichen Investitionen durch Kapitalaufstockungen zu finanzieren.

Die Rentabilität setzt eine straffe Geschäftsführung voraus und hiermit die Entlassung überschüssiger Arbeitskräfte sowie eine besonders vorsichtige Lohnpolitik.

Die Belegschaften erkannten ziemlich schnell, daß sie im staatlichen Sektor geringere Aktionsmöglichkeiten besitzen als in der

Privatwirtschaft. Die Beteiligung ihrer Vertreter in den Aufsichtsräten brachte ihnen keine Genugtuung, schon weil diese Gremien keine Machtbefugnisse besitzen. Alle wichtigen Entscheidungen werden von der Direktion allein mit Duldung oder Zustimmung des verantwortlichen Ministers getroffen.

Die Sozialisten mißachteten zudem die lange Tradition der französischen Arbeiterbewegung, der nie viel an der Mitverantwortung für die Betriebe gelegen war. In jüngster Zeit beschränkten sich ihre Forderungen auf ein Mitspracherecht, sobald ein Arbeitsplatz durch die Politik der Betriebsführung in Frage gestellt werden konnte.

Der seit Jahrzehnten ungewöhnlich geringe Mitgliederstand der Gewerkschaften hätte ebenfalls zu denken geben können. Die überwiegende Mehrheit der Arbeiter zieht einen klaren Trennungsstrich zwischen ihrer privaten Existenz und dem Betrieb, der in ihren Augen lediglich ihren Lebensunterhalt sichern und nicht zum sozialpolitischen Werkzeug werden soll.

Ein Musterbeispiel lieferte gerade das selbstmörderische Verhalten der Redakteure und Angestellten von „Le Monde”, die die Mehrheit des symbolischen Aktienkapitals besitzen. Sie sind demnach Miteigentümer und zogen aus dieser Lage in den fetten Jahren erheblichen Nutzen, indem sie ihre Bezüge kräftig aufstockten.

Jetzt weigerten sie sich jedoch wiederholt, zur Uberwindung eines bedenklichen finanziellen Engpasses einige Opfer zu bringen. Sie lehnten so die elementaren Verpflichtungen des Eigentümers ab und verhielten sich wie einfache Arbeitnehmer. In diese Rolle werden sie wohl im Zuge der Sanierung der Zeitung demnächst, natürlich nicht ohne finanzielle Folgen, zurückfallen.

Bankrott des Justizideals

Die verstaatlichten Unternehmen mußten sich andererseits dem direkten staatlichen Einfluß entziehen, um lebensfähig zu bleiben. Die Regierung unterwarf sich der Notwendigkeit, rein privatwirtschaftliche Methoden anzuerkennen, während sie den in Frankreich lange schlecht angesehenen Profit rehabilitierte, da sonst die Wirtschaft am Sozialismus erstickt wäre.

Die staatlichen Industriegruppen und die Banken konnten nach unglücklichen Verirrungen nur den gleichen Weg einschlagen. Sie erfreuen sich daher größter Bewegungsfreiheit. Niemand protestiert gegen die ständige Verletzung des Verstaatlichungsgesetzes, das ihnen ohne Zustimmung des Parlaments die Veräußerung und den Erwerb von Mehrheitsbeteiligungen untersagt. Sie verflechten sich zunehmend mit der Privatwirtschaft und konsolidieren ihre Unabhängigkeit durch eine zielbewußte Internationali-sierung. Nichts liegt ihnen ferner, als irgendwelche Opfer zugunsten der sozialistischen Ideologie auf sich zu nehmen.

Erwähnung verdient ferner die Entmystifizierung des sozialistischen Justizideals, das an sich durchaus ehrliche Achtung verdient: Es scheiterte an der teilweisen Erschütterung der Wertordnung der Gesellschaft oder, anders ausgedrückt, an der unmöglichen These, wonach der Mensch grundsätzlich gut, aber die Gesellschaft schlecht sei.

Das Ergebnis dieser ideologischen Panne ist ein Rekordstand der Zahl der Gefängnisinsassen, teilweise infolge der Reaktion der-Richter auf eine übertrieben gefühlsbedingte Regierungspolitik. Denn von Tag zu Tag werden die Urteile strenger, ohne daß deswegen die Hoffnung auf eine Eindämmung der am meisten die Bevölkerung belastenden kleinen Kriminalität besteht.

Jede Ideologie erleidet zwangsläufig Schiffbruch, wenn sie sich ein Büd vom Menschen vorgaukelt, anstatt ihn zu nehmen, wie er ist.

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