6824574-1974_05_06.jpg
Digital In Arbeit

Die Erbhof-Partei

19451960198020002020

Etwas mehr als ein Jahr nach ihrem großen Wahlerfolg steht die Bonner SPD/FDP-Koalition vor einer Belastungsprobe, die mit einem Schlag die latent vorhandenen Spannungen dieses Bündnisses sichtbar macht. Die Koalition, die vor allem im Gespann Brandt-Scheel ihren personellen Ausdruck fand, droht über dem Ende dieses Politikerduos — Scheel wird im Mai zum Bundespräsidenten gewählt werden — zwar nicht zu zerbrechen, aber doch gravierende Risse zu bekommen. Die Koalition, die unter dem Schlagwort „sozial-liberal“ eine geschlossene und abgestimmte politische Haltung zu besitzen schien, erweist sich nun als das, was Koalitionen in der Politik sind: Zweckbündnisse, die der Erringung und Behauptung von Macht dienen.

19451960198020002020

Etwas mehr als ein Jahr nach ihrem großen Wahlerfolg steht die Bonner SPD/FDP-Koalition vor einer Belastungsprobe, die mit einem Schlag die latent vorhandenen Spannungen dieses Bündnisses sichtbar macht. Die Koalition, die vor allem im Gespann Brandt-Scheel ihren personellen Ausdruck fand, droht über dem Ende dieses Politikerduos — Scheel wird im Mai zum Bundespräsidenten gewählt werden — zwar nicht zu zerbrechen, aber doch gravierende Risse zu bekommen. Die Koalition, die unter dem Schlagwort „sozial-liberal“ eine geschlossene und abgestimmte politische Haltung zu besitzen schien, erweist sich nun als das, was Koalitionen in der Politik sind: Zweckbündnisse, die der Erringung und Behauptung von Macht dienen.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Streit zwischen den Koalitionspartnern entbrennt denn auch um die Verteilung dieser Macht. Die Freidemokraten, bei den Bundestagswahlen 1969 ein geschlagener Haufen, der sich durch die Koalition mit der SPD am Leben erhielt, konnten in den seither vergangenen Jahren einen stetig steigenden Stimmen- und Sympathiezuwachs verzeichnen. Sie denken daher in ihrem neuen Selbstbewußtsein gar nicht daran, eines der Ministerämter abzugeben, nur weil Scheel vom Auswärtigen Amt ins Bundespräsidentenpalais umzieht.

In der SPD freilich melden sich jene, die bereits bei der letzten Regierungsbildung meinten, daß die FDP ein zu großes Stück vom Regierungskuchen zugeteilt bekommen hat. Ihnen scheint der Zeitpunkt gekommen zu sein, die in letzter Zeit sehr bestimmt auftretenden und manches Reformprojekt der SPD blockierenden Freidemokraten wieder zurückzustutzen.

Die Folge dieser Konstellation ist ein an Intensität eher zunehmendes Hiok-Hack zwischen SPD und FDP. Willy Brandt hat dabei mit seiner Erklärung, erst im Mai werde über die Neubesetzung der Ämter in der Bonner Ministerrunde entschieden, den Streitigkeiten und Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Zwar hat er inzwischen die Genossen ermahnt, die durch Scheels Ausscheiden hervorstehende Umbesetzung nicht mehr öffentlich zu diskutieren. Da es aber Brandts eigener Stellvertreter im Vorsitz der SPD, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Heinz Kühn, war, der besonders lautstark und aggressiv, gegen die FDP gerichtet, im Nachfolge-Heinemann-Spiel mitgewirkt hat, sah jetzt die Partei-Basis keinen Anlaß, sich dem Wort des Vorsitzenden zu sehr zu beugen. Schon fallen böse Worte, wie das von der „größenwahnsinnigen“ FDP.

Vordergründig ging der Streit zunächst darum, ob der bisherige Innenminister Hans-Dietrich Genscher, der Scheel im Vizekanzleramt und im Vorsitz seiner Partei folgen wird, auch Scheels Ressort übernehmen soll. Da Scheel in diesem Amt viel Popularität einheimsen konnte (er hat jetzt in den Meinungsumfragen Kanzler Brandt erheblich in der Beliebtheit übertroffen), wollen die FDP und auch Genscher selbst weiter von diesen Vorzügen des Auswärtigen Amtes profitieren.

Mit einer Reise nach China hat der publicity-süchtige Genscher dabei beweisen wollen, wie sehr er für repräsentative Ausflüge in die weite Welt geeignet ist. Heinz Kühn schlug demgegenüber den jetzigen Finanaminister Helmut Schmidt vor, mußte allerdings diesen Vorschlag auch mit Rücksicht auf die schon recht brüchig gewordene Düsseldorfer Landtags-Koalition zwischen FDP und SPD wieder zurückziehen.

So konzentriert sich denn die Auseinandersetzung nun weniger darum, ob Genscher Außenminister wird, was ziemlich sicher ist, sondern ob die FDP auch weiter das Innenministerium verwalten und keinen Ministerstuhl abgeben wird. An dieser Frage macht sich der Unmut vieler Kreise in der SPD über den Koalitionspartner besonders Luft.

Die Liberalen mußten sich sagen lassen, daß ihre Ministerien keine „Erbhöfe“ für die FDP seien. Auch der Ärger über die Zurückhaltung der FDP in zahlreichen Reformvorhaben, vor allem in der Mitbestimmung, der Vermögensbildung und dem Bodenrecht, äußerte sich jetzt ganz offen. Vielen SPD-Genossen schien die Stunde gekommen, da die SPD eine ihrer Fraktionsstärke angemessenere Vertretung in der Regierung erreichen könnte und die Politik mit weniger Rücksicht auf die FDP zu realisieren imstande wäre.

Die SPD steht allerdings vor dem Dilemma, daß Kanzler Brandt die Bündnistreue zur FDP auch über Scheels Ämterwechsel hinweg hochhalten will und die Zusammenarbeit mit dem weiter rechts stehenden Genscher nicht so negativ beurteilt wie die linkeren SPD-Kreise. Auch will in der SPD niemand so recht das mit dem Geruch von Law and Order behaftete Innenministerium übernehmen.

So sehen sich die Bonner Koalitions-Bastler gezwungen, subtilere Methoden bei der Neuzusammenstellung des Kabinetts zu wählen, sollen unruhige SPD-Genossen ebenso beruhigt werden, wie die machthungrige FDP, die gerade auf einem Höhepunkt ihrer Geschichte einen Ämterverlust befürchten muß.

Als Ausweg wird jetzt ein Wechsel des mit Vermögensbildungsfragen befaßten Sonderministers Werner Maihof er ins Innenministerium erwogen. Dann müßte allerdings mit dem SPD-Sonderminister Bahr, den Brandt am liebsten als Seheel-Nach-folger sähe, eine Regelung getroffen werden, die der FDP den Verlust des ohnehin etwas dubiosen Postens eines Sonderministers nicht schmerzlich erscheinen ließe. Eine andere Möglichkeit wäre, das Innenministerium um die Umweltkompetenzen zu beschneiden und für diese ein eigenes SPD-Ministerium zu gründen. Damit würde sich die Zahl der FDP-Minister nicht verringern, die der linken Koalitionshälfte aber vergrößern.

Uber solchen diffizilen Neuordnungsplänen ist zwar der Unmut in der SPD über die FDP nicht geringer geworden, doch wird die Diskussion weniger mit öffentlichen Beschuldigungen geführt. Die Gereiztheit der SPD ist dabei deshalb besonders verständlich, weil sie auch in jüngster Zeit in allen Meinungsumfragen einen weiteren Image-Verlust feststellen muß und gegenwärtig einen Tiefpunkt erreicht hat. Diese Verluste gehen dabei eindeutig zugunsten der FDP, die sich in jenen Aufsteigerschichten, die in den vergangenen Jahren der SPD zugeneigt haben, verstärkt profiliert und mehr Anhang gewinnt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung