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Die erfolgreiche Insel ist nicht abgeschrieben
Präsident Carter räumt der Asienpolitik nur bedingte Priorität ein. Mit dem Abzug der Bodentruppen aus Korea öffnete er den Weg zur Finlandisie- rung Japans. Der westliche Pazifik wird zusehends zu einem russischen See. Der Versuch des Staatssekretärs Vance in Peking brachte eher einen Rückschritt in den Beziehungen mit der Volksrepublik. Der Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Chinesen die Unsicherheit Carters und sein Zögern, volle Beziehungen mit ihnen aufzunehmen, als ein Zeichen der Schwäche deuten und deshalb eine intransigente Haltung einnehmen.
Sie fordern als Vorbedingung, daß die USA ihre diplomatischen Beziehungen mit Taiwan abbrechen, den Verteidigungsvertrag auflösen und ihre letzten 1400 Mann (großteils Berater- und Übermittlungspersonal) abzie- hen. Das würde auch bedeuten, daß die 7. Flotte nicht mehr länger in der Taiwan-Meerenge patrouilliert. Die Amerikaner sind dazu bereit, erwarten aber als Gegenleistung eine Zusicherung, daß China nicht eine Annexion Taiwans mit gewaltsamen Mitteln verwirkliche. Auch streben die Amerikaner eine .japanische” Lösung an, die Aufrechterhaltung also von Beziehungen auf niedriger Ebene mit Taiwan. Die USA haben dort 500 Millionen Dollar investiert. Die vorzüglich gerüstete und ausgebildete Armee, die auf absehbare Zeit durchaus in der Lage ist, einen Angriff vom Festland abzuwehren, ist ganz mit amerikanischen Waffen ausgerüstet. Ein völliger Lieferungsstop für Ersatzteile und JCriegsmaterial würde Taiwan wehrlos machen. Was die Chinesen von den Japanern stillschweigend dulden, billigen sie aber den Amerikanern nicht zu. Carter kann anderseits die chinesischen Forderungen nicht erfüllen, weil eine starke Taiwan-Lobby in Washington dann seinen Kopf fordern würde. Das Zögern der USA ist nicht ohne Gefahr, weil jene Kräfte in China Auftrieb erhalten könnten, die einen Ausgleich mit Rußland anstreben.
Taiwan selbst kann der Zukunft gelassen entgegensehen. Obwohl die meisten Länder ihre diplomatischen Beziehungen mit der Insel abgebrochen haben, erfreut sie sich eines wirtschaftlichen Wachstums, das den Neid der asiatischen Nachbarn weckt. Mit 16,4 Millionen Einwohnern übertrifft Taiwans Außenhandelsvolumen jenes der Volksrepublik um 900 Millionen. Es steht heute an 22. Stelle im Welthandel. Eine Wachstums rate von sieben bis zehn Prozent pro Jahr ließ das Bruttosozialprodukt von 1,33 Milliarden Dollar im Jahre 1952 auf derzeit 17 Milliarden steigen, das ProrKopf- Einkommen versiebenfachte sich im gleichen Zeitraum.
Durch die erfolgreiche Landreform sicherte die Regierung eine gleichmäßige Entwicklung von Stadt und Land, sodaß sich die Differenz zwischen arm und reich ständig verringert. Die Kuo-Mingtang konnte hier ihren Ruf, der durch den von unvorstellbarer Korruption begleiteten Zusammenbruch auf dem Festland völlig zerstört war, wieder herstellen.
Auf der Schattenseite ist zu buchen, daß sich die Ureinwohner Taiwans seit der Flucht der Nationalisten auf die Insel unterdrückt fühlen. Im Jahre 1947 wurden Tausende von Aufständischen hingerichtet. Noch immer befinden sich Hunderte im Kerker; wer Unabhängigkeit für die Taiwanesen fordert, wer für den Ausgleich mit der Volksrepublik eintritt, wer diplomatische Beziehungen mit der Sowjetunion fordert, wer an der einstigen
Rückeroberung des Festlandes zweifelt, bekommt die harte Hand der Polizei zu spüren. Im Vergleich mit den Zuständen in der Volksrepublik aber nehmen sich sogar diese Polizeimaßnahmen liberal aus. Ohne Zweifel gelang es dem heutigen Premier Tschiang-Tsching-kuo, die Gegensätze zwischen den Nationalisten und den Ureinwohnern auszugleichen. Am Wirtschaftswunder haben beide Volksgruppen Anteil. Nichts deutet darauf hin, daß ein Anschluß an die Volksrepublik eine Besserung der Verhältnisse bringen könnte.
China wird versuchen, seinen Druck auf Taiwan zu verstärken und einen waffenlosen Anschluß zu erzwingen, der Taiwan eine verhältnismäßig weitgehende Autonomie einräumt, sofern nur prinzipiell Chinas Oberhoheit anerkannt wird. Ein Druckmittel ist der sich rasch entwickelnde Handel mit der Volksrepublik. Gegen Japan wurde diese Waffe zwar eingesetzt, aber stillschweigend wieder zurückgezogen, als sich zeigte, daß China alle Kredite braucht, die es nur erlangen kann. Reiche Chinesen setzen sich zwar zusehends mit ihrem Kapital nach den USA ab, doch setzen die amerikanischen Firmen unbeirrt ihre Investitionen fort Alles deutet darauf hin, daß die Bankiers die Insel keineswegs abschreiben.
Ein letzter Trumpf bleibt in den Händen des Premiers Tschiang: er könnte, falls der Druck aus Peking unerträglich würde, der sehr starken russischen Flotte, der es an Stützpunkten im offenen Meer fehlt solche auf den Peskadoreninseln einräumen. Das käme einer vollkommenen Einkreisung Chinas und einer absoluten Sicherung der Meerenge gegenüber einem Angriff vom Festland her gleich.
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