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Die Erinnerungen des Alfred Pertusini

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Alfred Pertusini legt Lebenserinnerungen und politische Betrachtungen vor. Alfred Pertusini? Nie gehört diesen Namen! Wen mag dann schon interessieren, was erzu berichten weiß? Vorsicht! Hier tritt ein Mann in den Zeugenstand der Geschichte, der in diesem Österreich lange Jahre eine maßgebliche Rolle gespielt hat.

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Alfred Pertusini legt Lebenserinnerungen und politische Betrachtungen vor. Alfred Pertusini? Nie gehört diesen Namen! Wen mag dann schon interessieren, was erzu berichten weiß? Vorsicht! Hier tritt ein Mann in den Zeugenstand der Geschichte, der in diesem Österreich lange Jahre eine maßgebliche Rolle gespielt hat.

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Der geborene Alfred Pertusini ist nämlich der österreichischen Öffentlichkeit wohlbekannt - freilich unter dem Namen seines Stief- und Adoptivvaters Maleta, der ihn durch nunmehr über sieben Jahrzehnte eines politischen Lebens in bewegter Zeit begleitete. Unter ihm hat er alle Höhen und Tiefen erlebt, die das Schicksal einem engagierten Österreicher in diesen Jahren zuteilte.

Mit dieser auch vielen seiner engen Freunde bisher unbekannt gebliebenen Enthüllung beginnt der Sohn eines Geschäftsfreundes des Gründers der Dynastie Julius Meinl und einer Simme- ringer Selchertochter „vom Grund“ den ersten Teil seines persönlichen und politischen Rückblickes.

Er hat die Jugend- und Studentenjahre, die politischen Anfänge im Dollfuß-Österreich, aber auch die Zeit tiefster Erniedrigung und menschlicher Not in den Konzentrationslagern des nationalsozialistischen Deutschland sowie mitunter schwejkhafte Erinnerungen aus seiner Dienstzeit als Offizierskraftfahrer der weiland Deutschen Wehrmacht, zum Inhalt. In diese „Reise in die Vergangenheit" sind stets auch starke Bezüge auf das politische, geistige und gesellschaftliche Geschehen miteinbezogen.

Wir begegnen zahlreichen Personen, die das Schicksal unserer Republik in positiver und negativer Weise mitgestaltet haben. Alfred Maleta wäre nicht Alfred Maleta, wenn er uns seine Beurteilungen zu verschiedenen Stationen der jüngsten Geschichte Österreichs vorenthielte, wenn er nicht die Gelegenheit genutzt hätte, auch sehr gegenwartsbezogene Marginalien zu Personen und Zeiterscheinungen anzubringen. Das Versprechen auf einige „Gustostückerl“ (S. 3) besteht also zurecht.

Es wird einige „Parteifreunde“ und andere Zeitgenossen mit gemischten Gefühlen schon zu diesem Buch greifen lassen, obwohl erst der folgende zweite Band Maletas Wirken als Mandatar der ersten Stunde der jungen österreichischen Volkspartei, als deren Generalsekretär der „Ära Raab“, als Bundesobmann des ÖAAB und schließlich

als zweiter Mann im Staat an der Spitze des Präsidiums des österreichischen Nationalrates gewidmet sein wird.

In Wien wurde Alfred Maleta vor 75 Jahren geboren. Hier erlebte er auch die Krönung seines politischen Lebens. Seine Schicksalsstädte waren aber ohne Zweifel Linz und Graz. In Linz besuchte er die Mittelschule, wo er in den Reihen des damals Christlich-deutschen Studentenbundes und des Mittelschülerkartellverbandes erste politische Ambitionen entwickelte. Hier wird der „schwarze“ Gymnasiast Lieblingsschüler des „tiefblauen“ Geschichtsprofessors Hermann Foppa - seines Zeichens Obmann der Großdeutschen Volkspartei: eine persönliche Beziehung, die über mehrere Windungen der Geschichte von Bestand war.

Zu Maletas Klassenkolleginnen zählte damals auch Geli Raubal - die Nichte, und nicht nur die Nichte, Adolf Hitlers. Eine gemeinsame Begegnung mit „Onkel Adolf* in München veränderte das Weltbild des in altösterreichischen und katholischen Traditionen aufgewachsenen jungen Maleta keineswegs. Im Gegenteil.

In Linz erlebte der junge Doktor schließlich nach längerer vergeblicher Postensuche einen steilen politischen Aufstieg, der ihn in wenigen Monaten zum Stellvertretenden Landesobmann der Vaterländischen Front und Ersten Sekretär der Oberösterreichischen Arbeiterkammer machen sollte. Von hier trat er auch im März 1938 den bitteren Weg nach Dachau an, um sieben Jahre später wieder von Linz aus seine zweite und diesmal erfolgreiche politische Karriere zu beginnen.

Mit Graz verbinden sich für Maleta nicht nur Erinnerungen an unbekümmerte Studentenjahre, die damals noch in Alt-Heidelberger Atmosphäre verliefen, auch wenn Prügeleien zwischen CVern und Burschenschaften zur Tagesordnung gehörten. Hier lernte Maleta auch seine erste Frau kennen. Von Graz schließlich wehte in den 50er Jahren aus den Reihen der sogenannten „Reformer" dem Generalsekretär der ÖVP heftiger Gegenwind entgegen.

Dieser sollte ihn möglicherweise um sein Lebensziel, die Übernahme des Bundespräsidentenamtes, bringen. Kein Wunder, daß diesen „Reformern“ schon in dem ersten Band seiner Lebenserinnerungen manches „Gedenkblatt“ zugeeignet wird.

Bei einem Rückblick auf Maletas politisches Leben wird man zur Feststellung kommen, daß dieser nie das war, was man heute einen „Konformisten“ nennt. Daran hinderte ihn allein schon seine - sagen wir es offen - überdurchschnittliche Intelligenz und sein vom Gehaben vieler Parteifreunde abweichender persönlicher Stil. Ein „Smokingmann“ - als einen solchen bezeich- nete ihn in jungen Jahren bereits ein Mädchen - hatte es bei den alten Christlichsozialen und auch bei der

Volkspartei stets schwerer als sein Gegentyp, der „Lederhosenmann“.

Auch das Florett zu handhaben verstehen hier wenige. Viel öfter wurde - und wird - dagegen im politischen Tageskampf der Knüppel bemüht. (Beispiele aus Vergangenheit und Gegenwart gefragt? Der Rezensent steht mit Auskünften gerne zur Verfügung.) Deshalb wird es nicht überraschen, daß der Autor, zum Unterschied von Erinnerungen mancher Parteifreunde, bei aller Treue zum angestammten „Lager“ nie blind für dessen Schwächen ist.

Dies gilt insbesondere auch für den „christlichen Ständestaat“; der Autor des zu seiner Zeit vielbeachteten und diskutierten Buches „Der Sozialist im Dollfuß-Österreich“, welcher mit diesem Werk einen Brückenschlag zu den nach 1934 ins Abseits gedrängten Sozialdemokraten schlagen wollte, tritt auch für jene Phase der österreichischen Geschichte, der er eng verbunden war, nicht als Apologet auf.

Wohl verlangt er aber - und das mit Recht daß an jene wirre Zeit nicht der Maßstab späterer Jahrzehnte angelegt wird, daß nicht von Vertretern glücklicherer Generationen ein Urteilsspruch aus rein akademischem Demokratieverständnis, dem bisher - gottlob-jede Probe aufs Exempel erspart geblieben ist, gefällt wird. Die Aussagen des Zeugen Maleta, dem heute niemand das demokratische Leumundszeugnis versagen wird, können zur Korrektur jeder einseitigen Geschichtsbetrachtung deshalb von hohem Wert sein.

Menschlich am ansprechendsten wiederum ist das Kapitel über Maletas beinahe dreijährige Fron in Dachau

und Flossenbürg. Keine späten KZ-Re- miniszenzen, sondern ein aufrüttelnder Appell an kommende Generationen, jedem politischen Totalitätsanspruch - gleichgültig ob er von rechts oder von links angemeldet wird - mit Nachdruck zu widersagen.

Zugleich ist es auch eine glaubwürdige Korrektur einer weitverbreiteten Meinung: die mit dem Namen Maleta und Oberweis verbundene „Befriedungspolitik“ der Volkspartei vor den Nationalratswahlen 1949 entsprang im letzten nicht (nur) politischer Taktik, sondern der zutiefst christlichen Einsicht des ehemaligen KZ-Häftlings, daß der Teufelskreis von Verfolgung und Verfolgten in Österreich endlich einmal zu durchbrechen sei.

Maleta mit Voreingenommenheit gegenüberstehende Kritiker werden natürlich auch gegen seine Erinnerungen Vorbehalte anmelden. Dazu werden nicht nur kleine Flüchtigkeiten zählen, die sich in den Text eingeschlichen haben und die ein kenntnisreicheres Lektorat ohne Zweifel beseitigen hätte können. Vor 1938 z. B. gab es keine CSSR (S. 128), sondern nur eine CSR; auch eine „Bundesrepublik“ ruhte damals noch im Schoß der Geschichte (S. 99). Die Jugendorganisation der Vaterländischen Front hieß nicht „Jung Vaterland“ (das war die Bezeichnung der

Heimwehrjugend gewesen), sondern „österreichisches Jungvolk“ (ÖJV) (S.134), u. a. m.

Auch manche Wiederholungen im Text, z. B. „Ich beichte und bekenne“ oder „Jetzt analysiere ich“, zählen gewiß nicht dazu. Sie werden vielmehr auf manche menschliche Schwäche ihr Vergrößerungsglas richten. Sie werden kleine Eitelkeiten registrieren sowie das sichtbare Wohlgefallen des nunmehr 75 Jahre alten Verfassers an der Tatsache, daß er ein „homme des femmes“ war (und ist).

Sei’s. Nehmt alles nur in allem. In Alfred Maleta begegnet uns ein Mann, der zeit seines Lebens stets etwas anderes war als ein „Funktionär“, ein „Ap- paratschik“, ein braver, farbloser Parteisoldat. Mit anderen Worten ein Typ, von dem es heute in den Reihen der Volkspartei viel zu wenige gibt.

BEWÄLTIGTE VERGANGENHEIT. Von Alfred Maleta. Verlag Styria, 250 Seiten, öS 298,-

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