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Die Ersatzjuden

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Man meint den Esel und schlägt den Sack — Anno Domini 1972, im Oktober, in Südkärnten: Die Kirtags-rauferei findet allnächtlich statt. Die Gegner sind — scheinbar — Ortstafeln. Auf diesen Tafeln stehen nämlich slowenische Worte — Ortsbezeichnungen. Man tobt sich gegen ein Ortstafelgesetz aus, das den Vorwand für das Austoben gegen die slowenische Minderheit geliefert hat — gegen die Ersatzjuden eben dieses Jahres 1972. Und auf diesem makabren Kleinfeuer ewig gestriger Kleinbürger mit ideologischen Schwierigkeiten hoffen andere ihr Süppchen kochen zu können — denn im nächsten Frühjahr gibt es in Kärnten Gemeinderatswahlen.

Was in Kärnten derzeit geschieht, kann als bekannt vorausgesetzt werden: Im Eilzugstempo verabschiedete der Nationalrat ein Gesetz, das die zweisprachige Beschriftung der Ortstafeln in jenen Weilern und Kommunen Südkärntens regelt, in denen die slowenische Minderheit des Landes stark repräsentiert ist. Und diese Ortstafeln wurden nun auch aufgestellt — ebenfalls sehr rasch. Vielleicht, wie man in Kärnten mitunter meint, um von der eben erst unter häufigen Protesten beschlossenen

Gemeindezusammenlegungskampagne abzulenken. Die inkriminierten Tafeln stehen jedenfalls und werden nun in nächtlichen Aktionen unter Anleitung der Agitatoren sogenannter „heimattreuer“ Verbände wieder abmontiert und zerstört. Daß sich die honorigen Gralshüter des Abendlandes, bei denen der Anblick slowenischer Worte offenbar eine Augenentzündung verursacht, mit diesen Aktionen zumindest auf dieselbe Stufe mit jenen slowenischen Mittelschülern stellen, die vorher glaubten, durch Schmieraktionen die im Staatsvertrag der Minderheit zugesicherten topographischen Aufschriften herbeiführen zu können, ist scheinbar nur wenigen aufgefallen.

Und das alles, da es in Südtirol längst zweisprachige Tafeln — und selbst in Israel Ortstafeln in Hebräisch, Englisch und Arabisch gibt...

Damit wäre man auch gleich bei der Haltung der ÖVP zu diesen nationalgermanischen Wirtshauskeilereien an Ortseinfahrten. Es gibt in Kärnten VP-Politiker, die auf möglichst zurückhaltende Weise von dieser Welle profitieren wollen — und es gibt solche, die sich neuerdings gerne im Kreise des mitunter radikal „nationalistischen“ Heimatdienstes feiern lassen und nun die schon von Raab abgelehnte Minderheitenfeststellung fordern. Daß eine solche Minderheitenfeststellung — wie eben jene nächtlichen Aktionen zeigen — heute gar nicht mehr frei von psychischer Repression durchgeführt werden könnte, stört den vermeintlichen Reklamegag nicht, denn es gibt ja im Frühjahr Gemeinderatswahlen. Und die Kärntner ÖVP zeigt nicht zum erstenmal eine unglückliche Vorliebe für „Öffnungen“ nach ganz rechts, weil man eben auch gerne reaktionäre Randschichten für repräsentativ und daher anspre-chenswert erachtet.

Die Haltung der in Kärnten schon immer im verbliebenen Kaffeesud ehemaliger „gesunder“ Bewegungen angesiedelten FPÖ brauchte sich nicht zu verändern: Man war schon immer für Minderheitenfeststellung und gegen Konzessionen an die Minderheit.

Gewisse neue Tendenzen scheinen sich aber bei der SPÖ breitzumachen. Als Folge der auch durch Bischofsworte keineswegs geglätteten Wogen „nationaler“ Erregung ist man sich in der Mehrheitspartei offenbar seiner Sache nicht mehr so sicher, was in innerparteilicher Stimmungsmache gegen den Vorsitzenden Hans Sima seinen Ausdruck findet. Man munkelt, daß Sima in der letzten Woche im Parteivorstand bereits einmal den Kürzeren gegen seinen ehrgeizigen Landesparteisekretär Leopold Wagner gezogen habe.

Nun unterscheidet man freilich nicht mehr, ob es sich um eine Entscheidung der SPÖ-Regierung oder des SPÖ-Landeshauptmannes handelt, während man noch vor wenigen Jahren die heiße Kartoffel mit allen Konsequenzen einer ÖVP-Bun-desregierung zuspielen hätte können.

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