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Die erziehungsbedürftigen Österreicher

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Zwei Jahrzehnte sind eine viel längere Spanne, als Jubiläumsredner annehmen. Die meisten, die vor 1955 am Zustandekommen des österreichischen Staatsvertrages mitgewirkt haben, sind tot, einige verbringen abseits vom Rampenlicht der politischen Bühne ihre letzten Jahre. Nur Bruno Kreisky, der damals ajs jüngere Ausnahme an den Verhandlungen mitgewirkt hat, ist noch in voller Aktion. Allerdings haben manche, die knapp hinter der ersten Reihe standen, die Mühsale, Irrungen und Leiden jener Zeit bis heute nicht vergessen können.

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Zwei Jahrzehnte sind eine viel längere Spanne, als Jubiläumsredner annehmen. Die meisten, die vor 1955 am Zustandekommen des österreichischen Staatsvertrages mitgewirkt haben, sind tot, einige verbringen abseits vom Rampenlicht der politischen Bühne ihre letzten Jahre. Nur Bruno Kreisky, der damals ajs jüngere Ausnahme an den Verhandlungen mitgewirkt hat, ist noch in voller Aktion. Allerdings haben manche, die knapp hinter der ersten Reihe standen, die Mühsale, Irrungen und Leiden jener Zeit bis heute nicht vergessen können.

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Das Ringen um den Staatsvertrag begann eigentlich bald nach Kriegsende. Damals sah es so aus, als ob das neuerstandene Österreich, das zwar befreit, aber auch für mitschuldig am Zweiten Weltkrieg befunden worden war, in die Reihe jener osteuropäischen Staaten gestellt würde, die sich mehr oder weniger Zwangsweise mit dem Dritten Reich verbündet hatten und nun ihre Friedensverträge bekommen sollten. Die österreichischen Wahlen Ende 1945 zeigten den Russen, wie sehr der Kommunismus in diesem Land auf Ablehnung stieß, was sie mit einer feindseligen Haltung gegenüber der Sowjetunion identifizierten. Sie verminderten daher ihr Entgegenkommen bei jenen wirtschaftlichen Forderungen, auf die sie den Ergebnissen der Potsdamer Konferenz gemäß Anrecht zu haben glaubten, und suchten die Erkennt-' nis zu verdauen, daß die Zweite Republik intensiv der westlich-demokratischen Welt zustrebte. Am 5. Juli 1946 befahl der sowjetische Befehlshaber in Österreich, Generaloberst Kurassow, die Ubergabe des gesamten „Deutschen Eigentums“ in seiner Zone an die Sowjetunion. Darunter verstanden die Russen etwa 300 Industriebetriebe, 100.000 ha Ackerland, alle Erdölfelder und die DDSG. Die Amerikaner, unter deren Patro-nanz bereits westliche ölinteressen-ten in Wien auftauchten, schenkten

fünf Tage später demonstrativ das Deutsche Eigentum ihrer Zone den Österreichern. Nun trat der österreichische Nationalrat zusammen, lehnte die sowjetischen Ansprüche ab und beschloß am 26. Juli 1946 das erste Verstaatlichungsgesetz, das auf sehr viele nunmehr in russischer. Hand befindliche Werte Bezug nahm. In einer Geheimsitzung des Nationalrates am 29. und 30. Oktober 1946 wurde nochmals die Rückführung der von den Besatzungsmächten beschlagnahmten Betriebe in die österreichische Verwaltung verlangt. Die Russen, auf die das von den Österreichern als besonders progressiv und antikapitalistisch angesehene Verstaatlichungsgesetz keinerlei Eindruck machte, registrierten voll Zorn diese Unbotmäßigkeit, die ihnen den Aufbruch ins imperialistische und später ins großdeutsche „Revanchistenlager“ anzuzeigen schien. Dessenungeachtet tasteten sich Figl

und Schärf Ende Jänner 1947 erstmals durchs nachkriegsstolze London, um den Sonderbeauftragten der Großen Vier ein Memorandum über Österreich zu unterbreiten. Der bedeutend couragiertere Außenminister Gruber wartete Gumpoldskirch-ner auf und machte in den Vereinigten Staaten Extraverbeugungen. Ein paar Monate später, als hierzulande zu Hunger und Bombenschutt noch die Hitze kam, trat eine alliierte Kommission in Wien zwecks erster Beratung eines sogenannten Staatsvertrages zusammen. Denn das Wort Friedensvertrag, das für Hitlers Verbündete sonst angewendet wurde, schien auf das befreite, aber doch völlig unterworfene Österreich nicht zu passen. Die russischen Unterhändler gaben sich bei diesem Meeting bereits gekränkt und mißtrauisch, teils, weil sich die Wiener Regierung anders verhielt als die Kabinette in Budapest oder Bukarest, teils, weil die Amerikaner ihrerseits auf alles Russische böse geworden waren. Knapp vorher hatten sich Gruber und der Vermögensminister Krauland in Moskau erstmals vor den Außenministern der Big Four für den US-Standpunkt in der Zistersdorfer öl-frage zu bekennen gewagt und damit das sowjetische Mißtrauen auf Glut gebracht. Dementsprechend scharf sorgte die Rote Armee in Ostösterreich für die Übernahme und Sicherung jeglicher Werte, die ir-

gendwie mit dem ominösen Begriff „Deutsches Eigentum“ in Zusammenhang gesetzt werden konnten. Die Zeit der USIA-Betriebe mit ihren eigenen Verkaufsorganen und ihrem politischen Einfluß aufs Wiener Tagesgeschehen war angebrochen.

Da tauchte als erster Ko- . romiß-vorschlag der sogenannte Cherriere-Plan auf. So hieß nämlich ein französischer Delegierter, der es sich angesichts der etwas zwielichtigen Position seiner Regierung leisten konnte, weniger scharf als die Amerikaner und Engländer zu sein. Aber er war trotzdem noch scharf genug, um die russische Ablehnung herauszufordern. Immerhin präzisierten die Sowjets wenigstens ihre Forderungen, nannten Ablösesummen und zeitliche Ausbeutungs-li:nits. Monatelang tagten die alliierten Außenminister, dann diskutierten die Sonderbeauftragten in London weiter, wobei auch über die

Karawankengrenze gestritten wurde. Belgrad und Laibach stellten Forderungen, die Kärntner regten sich fürchterlich auf, aber die Westmächte beruhigten die Gemüter. Ein schicksalsschweres Jahr ging vorüber, in dem der Dritte Weltkrieg, die alte Prophezeiung der Nazis, vor der Tür zu stehen schien. Moskau brach jedoch überraschend mit Tito und die blutigen Auseinanderset- . zungen konnten auf den koreanischen Kriegsschauplatz beschränkt werden. Im Juni 1949 kehrten die Sowjets auf einer Außenministerkonferenz zu jenem Standpunkt zurück, den Stalin schon 1945 in seiner Korrespondenz mit Renner betont hatte: Österreich, sollte die Grenzen von 1937 behalten, womit Jugoslawien in Unterkärnten keine Chancen erhalten würde. In Wien und in Klagenfurt atmeten viele auf, Belgrad und Laibach gaben sich voll Bitterkeit über die früheren, russi-

sehen Freunde geschlagen und reduzierten ihr Verlangen auf möglichst weitgehenden Minderheitenschutz.

Hinwendung zu den USA?

Es wäre völlig verfehlt, anzunehmen, die österreichische Bevölkerung hätte sich damals im Glauben an einen baldigen Staatsvertragsabschluß gewiegt. Das Gegenteil war der Fall, denn niemand rechnete im Ernst mit der Wiedererlangung der vollen Souveränität und dem damit verbundenen Abzug der fremden Truppen; man vermochte sich überhaupt nicht vorzustellen, wie solch ein Ergebnis angesichts des Ost-West-Gegensatzes je zustande kommen könnte. Die Tagesereignisse schienen diesem Pessimismus recht zu geben: Selbst nach einer Reduktion mußten 15 Prozent des Staatsbudgets noch immer als Besatzungskosten ausgezahlt werden, die Russen ignorierten die neuen Verstaatlichungsgesetze völlig, Österreich er-

litt auf der Donaukonferenz in Belgrad Schiffbruch, alliierte Militärpolizisten und Richter schalteten nach Belieben in Stadt und Land. Vor den amerikanischen Nachtlokalen fand man morgens nackte Frauen stockbetrunken im Rinnsal sitzen, während die Russen immer wieder österreichische Bürger entführten. Sie wickelten sie in Teppiche und transportierten sie so in ihre geheimen Haftanstalten, von wo die schreckliche Reise später über Ungarn nach Moskau und in die sowjetischen Straflager weiterging. Auch die Rückkehr der Kriegsgefangenen aus dem Osten erfolgte nur langsam und nach größeren Intervallen. Für die Masse der Bevölkerung bedeutete der Staatsvertrag ein fernes Trugbild am Horizont, während die öfter neuredigierten Kontrollabkommen, welche die Machtvollkommenheit der im Alliierten Rat zu Wien vertretenen Besatzungs-

mächte gegenüber der österreichischen Verwaltung regelten, bedeutend stärkere Aufmerksamkeit fanden. Dazu kamen die innerösterreichischen Lohn- und Preisabkommen, die 1950 zu den letzten, größeren Kommunistenkrawallen führten. Hiebe! spielten die USIA-Betriebs-leitungen und -Belegschaften, die sich auf den russischen Lastwagenpark stützen konnten, eine beachtliche Rolle. Allgemein war man daher froh, wenn die Einheit des Staatswesens über die gefürchtete Enns-Linie hinweg einigermaßen intakt blieb und die offensichtlich stärker werdende Teilung Deutschlands nicht auf Österreich übertragen wurde. Durch die Demütigung von 1918 bescheiden geworden, nahm man jedoch die Trennungslinien an Leitha und March gottergeben hin und glättete damit unbewußt manche fussischen Verdachtsmomente.

Anderseits war die Hinneigung Österreichs zu den Vereinigten Staa-

ten von Nordamerika unverkennbar und dem sowjetischen Mißtrauen äußerst förderlich. Der Ostmarkgedanke und viel abendländisches Brimborium geisterten durch viele Gemüter, denen es erst viel später aufging, wie bald das östliche Lager dabei eine Wesenverwandtschaft mit dem Hitlerismus zu erkennen glaubte. Die Amerikaner, die den Rest nationalsozialistischen Gedankengutes auf elegantere Art, aber mit dem Gewicht ihrer überlegenen Daseinform zu Leibe rückten, hüteten sich vor einer derartigen Einschätzung. Kein Wunder, daß sie sich davon nicht bedroht fühlten. Sie delegierten jedes nur mögliche Recht ihres Hochkommissars an die österreichischen Behörden, verzichteten auf die Besatzungskosten und pumpten laufend Geld und Sachwerte in ihre Zone. Auch der britische und französische Bereich bekamen davon etliches ab. War die den Österreichern zunächst gewährte UNRRA-Hilfe etwas schwächlich ausgefallen, so entfaltete sich jetzt der Segen einer direkten US-Wirtschaftshilfe und des Marschall-Planes über dem Land. Biertischstrategen formulierten demgemäß, daß alles, was die Russen den Österreichern wegnahmen, an anderer Stelle von den Amerikanern aufs Modernste ersetzt werden würde.

So einfach lagen die Dinge freilich nicht, zumal der politische Hintergrund vom Schlagwort des Kalten Krieges gezeichnet wurde, also einem gefährlichen Nebeneinander, das weit über das langsame Einschlafen des Korea-Krieges hinaus anhielt und dem Entstehen neuer Krisenherde förderlich war. Im Frühjahr 1950 gaben die westlichen Sonderbeauftragten beim Tauziehen um das Deutsche Eigentum in Österreich etwas nach, die Russen aber stellten neue finanzielle Forderungen, die auf direktem Wege zwischen Wien und Moskau bereinigt werden sollten. Die Österreicher trauten sich nicht, darüber ernsthaft zu verhandeln, wollten natürlich 'auch nichts extra zahlen. Da beschuldigten die Sowjets Österreich, die Entnazifie-zierung nicht mehr ernst zu nehmen und warfen den Westmächten vor,

das Land, ähnlich wie die Stadt Triest, in ihr Lager ziehen zu wollen. 1951 kamen die Verhandlungen nicht über den toten Punkt hinaus, die Gespräche wurden unterbrochen, wiederaufgenommen und abermals ergebnislos vertagt.

Das Zwiespältige der österreichischen Situation manifestierte sich in scheinbar zusammenhanglosen Aktionen. Die Menschen dieses Landes wurden als befreite Demokraten mit alter Kultur und nationalem Eigenleben gewürdigt, gleichzeitig aber als erziehungsbedürftig angesehen, da sie Hitler hervorgebracht und ihn geliebt hatten, aber auch schon vorher diktatorischen Varianten zugetan gewesen waren. Dem hohen Prozentsatz an Naziopfern schien ein hoher Prozentsatz an unbelehrbaren Nazifreunden gegenüberzustehen, wozu noch die Flüchtlinge aus dem Südosten und der CSR kamen.

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