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Die „Europabrücke” der 108

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„Es gibt in Europa nur zwei pcjntifi- ces”, sagte Papst Paul VI. zu Dr. Gien Williams, dem Generalsekretär der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK). „Der eine ist die KEK: wer der andere ist, können Sie sich vorstellen!” Was Papst Paul VI. sagte, ist das, als was sich die KEK selbst versteht - als Brückenbauer.

Vom 7. bis 11. März fand in Gallneu- kirchen eine Konferenz zu den Themen „Europa nach Helsinki und die Entwicklungsregionen” sowie „Die geistlichen, moralischen und praktischen Aufgaben der Kirchen” statt. Sie sollte die Bedeutung der Helsin- ki-Schlußakte (KSZE) für das Verhältnis Europas zu den Entwicklungsregionen unter dem Gesichtspunkt der Kirche untersuchen.

1948 wurde der ökumenische Rat der Kirchen gebildet Zur gleichen Zeit gab es bereits eine Reihe lebendiger ökumenischer Experimente auf der europäischen Ebene. Die Kirchen Frankreichs, Deutschlands und Hollands nahmen, auf den Erfahrungen kleinerer ökumenischer Gruppierungen basierend, Erkundigungsgespräche auf. Man wollte feststellen, wie man am besten zu einer multilateralen Konferenz europäischer Kirchen kommen könne. Die erste Konferenz fand im Jänner 1959 in Nyborg, Dänemark, statt. Alle folgenden Vollversammlungen sind darum als „Nyborg”-Konferenzen bezeichnet worden. Auf der Konferenz Nyborg IV (1964), gab sich die KEK eine Verfassung.

Die KEK ist eine Konferenz - nicht ein Rat. Hier wird es Christen aus verschiedenen Kirchen möglich gemacht, zusammenzukommen, miteinander zu reden und auch aufeinander zu hören. Man verzichtet bewußt darauf, Meinungen in Gesetze umzuwandeln. Seit 1945 ist in den Kirchen und Nationen Europas ein gewisser Realismus eingezogen. War man in den frühen zwanziger; Jahren noch von einem naiven Optimismus beseelt, ist man sich nun der Gefahren, die auf unserem Kontinent entstehen, bewußt geworden. Dabei hat man auch das gemeinsame Kultur- und Traditionsgut nicht vergessen. Darüber hinaus haben aber neue Einsichten über die Bedeutung des christlichen Glaubens Platz gegriffen. Christen aus Ost, West, Nord und Süd sehen im Gespräch und im Zu sammenkommen ihren eigentlichen Auftrag zum Wohle Europas.

Heute gibt es 108 Mitgliedskirchen aller Länder Europas außer Albanien. Zwei Kirchen warten noch auf die Aufnahme. Die große Stärke der Konferenz liegt in ihrer Fähigkeit, den vielen kleinen Kirchen die Teilnahme am ökumenischen Geschehen zu ermöglichen. Diese Kirchen sind entweder zu klein, um im ÖRK ihren Platz zu finden, oder sie laufen Gefahr, auf Weltebene übersehen zu werden. So will die KEK den Kirchen ganz Europas bei der europäischen Zusammenarbeit behilflich sein. Die große Schwesterkirche, die katholische Kirche, ist noch nicht Mitglied, aber entsendet zu allen Konferenzen Beobachter. So konnten auch in Gallneukirchen katholische Vertreter begrüßt werden.

Alle vier Jahre findet eine Vollversammlung der KEK statt. In der Zwischenzeit betreibt man Studienarbeiten, pflegt Kontakte und übt zwischenkirchliche Hilfe. Für das nächste Jahr ist eine Begegnung zwischen der katholischen Kirche und den nicht-katholischen Kirchen Europas in Paris in Vorbereitung. Inzwischen setzt man gemeinsame Aktivitäten, wie eine Versöhnungspolitik in Nordirland.

Die 7. Vollversammlung 1974 in Engelberg in der Schweiz hat sich zwei theologische Aufgaben gestellt. Wo liegen die eigentlichen Hintergründe der Spaltung der Kirchen? Welche Möglichkeiten bieten sich einer ökumenischen Annäherung und Zusammenarbeit? 1976 war das Thema „Die europäische Theologie, herausgefordert durch die weltweite Christenheit”. Im Herbst 1977 wird in Sofia über „Die möglichen Wege einer Einheit der Kirchen und Christen” beraten.

Die Konsultation in Gallneukirchen basierte auf den Vorarbeiten, die sich zwei Monate nach Helsinki mit dem Thema „Helsinki und die Kirchen” beschäftigte. Dabei waren die Fragen der Abrüstung und der Ursachen der Gewalt innerhalb der Gesellschaftsordnungen sowie die Verantwortung der Kirchen für die Dritte Welt Gegenstand der Untersuchung. Die KEK geht von der Überzeugung aus, sie habe eine besondere Weltverantwortung, weil die tragenden Ideen gegenüber Entwicklungsländern (Kolonialismus, Imperialismus, wirtschaftliche Ausbeutung, Sklaverei) einst von Europa ausgegangen sind. Deshalb müsse auch vom alten Kontinent her die Befriedung erfolgen. So beschäf tigten sich drei Arbeitsgruppen in Gallneukirchen mit der „Förderung der Gerechtigkeit” sowie dem „Wettrüsten und der Förderung der Abrüstung”. Außderdem beriet man über den Zusammenhang zwischen Energiebedarf und Wirtschaftswachstum, wobei das Problem der Kernenergie besondere Beachtung erfuhr.

Die Kirchen sehen in der Beschäftigung mit diesen Problemen eine ihrer legitimen Aufgaben, stehen doch hinter ökonomischen, militärisch-politischen und politisch erklärbaren Tatsachen immer auch menschliche, ideologische, gesellschaftliche, theologische und moralische Fragen.

Immer wieder hört man die Frage: Warum hüft die KEK nicht mit, die Menschenrechte in der Welt nicht nur zu fordern, sondern ihnen auch zur Anwendung zu verhelfen? Leider bestehen in der Auffassung über Menschenrechte zwischen den verschiedenen Kirchen, nicht allein zwischen jenen, die in verschiedenen gesellschaftlichen Systemen leben, große Unterschiede. Deshalb ist man bemüht, nichts unversucht zu lassen, mit jenen Ländern, die die Helsinki- Schlußakte unterzeichnet haben, in einer Kommission zu diskutieren und zusammenzuarbeiten. Eine offizielle Äußerung zum Fragenkomplex „Menschenrechte in der Welt” ist von der KEK nicht zu erwarten, dazu hat sie von ihrer Konstruktion her kein Mandat.

Die KEK gibt Empfehlungen, so auch bei der Konferenz in Gallneukirchen. Die Ergebnisse der Konsultationen werden an alle Kirchen Europas geschickt mit der Bitte um Stellungnahme und entsprechende Aktionen. Dann wird aufgezählt: Unterstützung der Rechte der rassischen, kulturellen, religiösen Minderheiten sowie der Gastarbeiter, in aktiver Zusammenarbeit mit ihnen, vermehrte Ausbildungsmöglichkeiten für junge Fachleute der Entwicklungsländer, Eintreten der Kirche dafür, daß die Signatar-Staaten von Helsinki vertraglich auf die Erstanwendung der Kernwaffen verzichten, die taktischen Kernwaffen von den Grenzgebieten entfernen und inhumane Waffen wirksam vermeiden. Weiters wird ein aktives Eintreten der Kirchen - auch am eigenen Beispiel - gegen die Verschwendung von Energie in den Industrieländern auf Kosten der armen Länder verlangt und für eine Abkehr vom materiellen Konsumdenken, schließlich die ernste Beschäftigung mit den Ris- ken der Nutzung sowie des möglichen Mißbrauchs der zivilen Kernenergie.

Man unterstrich die Dringlichkeit eines aktiven Eintretens der Kirchen und der Christen unseres Kontinents für gerechtere Beziehungen zu den Entwicklungsländern und zu armen Regionen in Europa. Man trat ein für einen sofortigen Stopp des Wettrüstens und für eine wirkliche Abrüstung, ohne die es keine Hoffnung auf Überleben und eine menschliche Zukunft gibt.

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