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Die Familien sind der Kern

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Der Autor, seit 50 Jahren Priester und noch immer Pfarrer in der Nähe Wiens (Südstadt und Hinterbrühl), zieht mit der „Seelsorge im Aufbruch" ein positives Resümee für die Zukunft.

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Der Autor, seit 50 Jahren Priester und noch immer Pfarrer in der Nähe Wiens (Südstadt und Hinterbrühl), zieht mit der „Seelsorge im Aufbruch" ein positives Resümee für die Zukunft.

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Ich habe sehr lange gebraucht, bis ich erkannt habe, daß das Wesentliche der Seelsorgearbeit in unserer Zeit die Gruppenbildung ist. Die Leute, die am Sonntag in der Kirche sitzen, haben fast keinen Kontakt miteinander. Sie kennen einander gar nicht, wenn es sich um größere Gemeinden mit dreitausend bis viertausend Seelen handelt, und wollen im Grunde auch voneinander nichts wissen. Man kann auch sagen, sie haben Angst voreinander.

Als ich mit dem Aufbau der Seelsorge in einer neuen" Siedlung begann, bestanden nur die ersten Blöcke. Es wäre nicht gut gewesen, wenn man gleich eine Kirche hingestellt hätte. Zuerst sollte sich Gemeinde bilden, sollten die Menschen zusammenfinden, die Kirche als Bau kam später. Ich erhielt die Erlaubnis, in einem großen Bürogebäude die Sonntagsmesse zu feiern. Auf einem gewöhnlichen Speisetisch zelebrierte ich die Messe. Vor Beginn der Messe und nach Schluß hatte man nicht den Eindruck, in einer Kirche zu sein. Während der heiligen Handlung bildete sich so etwas wie ein geistiger Kirchenraum.

Auf meine Einladung hin kamen bereitwillig eine Menge Leute, besonders jene, die bisher in die Umgebung gehen oder fahren mußten, um an einer Sonntagsmesse teilnehmen zu können. Einige kannten einander, andere lernten sich hier kennen. Ich lud regelmäßig eine Anzahl von Ehepaaren ein, mich gemeinsam an einem bestimmten Abend in meinem Haus zu besuchen. Der Großteil dieser Leute kannte einander nicht oder nur vom Sehen. Bei diesen ersten Zusammenkünften in meinem Hause wurden Freundschaften geschlossen, die über ein Jahrzehnt gehalten haben, und immer wieder betonen die Betreffenden, wie schön es war, als sie bei mir zum ersten Mal beisammen waren.

Von den evangelischen Pastoren sollten wir lerneji, die Leute womöglich, wenn sie zur Messe kommen, einzeln am Tor zu begrüßen und sie ebenso beim Auseinandergehen zu verabschieden. Wenn das auch nicht immer möglich ist, weil wir zu viele Leute haben, so sollten wir es wenigstens gelegentlich tun. Ich weiß, wie alte Leute, auch Kinder, sich freuen, wenn ihnen der Pfarrer die Hand gibt.

Der nächste Schritt war, Familienrunden zu schaffen. Die Einrichtung ist bekannt, verbreitet und nichts Neues. Es ist zweifellos besser, die Ehepaare beisammen zu lassen als sie zu trennen und Männer- und Frauengruppen zu bilden. Die Zusammenstellung der Familienrunden ist nicht leicht. Sie bedarf großer Mühe, und man darf sich von gelegentlichen Rückschlägen nicht abhalten lassen. Ich habe etliche Helfer, welche Bekannte und Unbekannte, nicht nur Kirchenbesucher,daraufhin anreden und von dieser Möglichkeit erzählen. Leute, die schon irgendwie vorbereitet sind, aber auch andere, die nichts davon wissen, lade ich zu einer Kontaktrunde ein. Dabei ist meist jemand aus einer bestehenden Familienrunde dabei.

Meist habe ich in meiner Halle ein Kaminfeuer angezündet, es brennen etliche Kerzen, und es ist eine gemütliche Stimmung, wenn die Leute am Abend kommen. Ich begrüße sie, sie stellen sich einander vor, erst nur formelhaft, wie es Brauch ist, später aber, wenn * sie miteinander eine Weile gesprochen haben, schlage ich vor, daß jeder von sich kurz erzählt, was man sich merken kann. Meist sind es sechs bis acht Ehepaare. Reihum erzählt nun jeder, wie er heißt, woher er kommt, was er macht, von der Familie erzählen meist die Frauen. Sie erzählen, wie sie sich in der neuen Gemeinde fühlen, welche Wünsche oder Schwierigkeiten sie haben, was ihnen gefällt, was ihnen nicht gefällt.

Dann komme ich auf das eigentliche Anliegen, die Familienrunden, zu reden und erzähle, wie es da zugeht, welchen Sinn sie haben, welche Erfahrungen wir gemacht haben, und schließe mit einer Einladung zur Teilnahme an einer Familienrunde. Es hat sich nicht bewährt, man kann sagen, es ist in der Regel nicht gut, zu einer alten Familienrunde neue Ehepaare hinzuzugeben. Es ist besser, gleich eine neue zu gründen. Wenn dieiieute sich nicht kennen, aber gutwillig sind, finden sie bald zusammen.

Meistens kommen aus so einer Kontaktrunde fünfzig oder sechzig Prozent Anmeldungen für eine neue Familienrunde. Ich rufe sie dann mit etlichen anderen Ehepaaren, die ich dafür bereits gefunden habe, nochmals zu mir. Dann wird raquo;die Familienrunde richtig konstituiert. Unser Schema eines Treffens der Familienrunde wird an diesem Abend abgespielt. Für acht Uhr abends sind die Ehepaare eingeladen, fünf bis sieben Paare hat sich als günstig erwiesen. Nach Begrüßung und Plaudern warte ich, bis alle beisammen sind. Wir* beginnen mit der Bibellesung und einem kurzen Bibelgespräch. Als Thema nehmen wir bei der ersten Zusammenkunft: „Sinn und Verlauf der Familienrunde". Dann essen und trinken wir. Die einzelnen erzählen von sich und ihrer Familie. Es wird besprochen, bei wem die nächste Zusammenkunft stattfindet, in der Regel einmal im Monat. Dann arbeiten sie Themen für die nächsten Runden aus. Das dauert normalerweise nur kurze Zeit, und sie haben etwa zehn Themen aufgestellt. Es wird festgestellt, welches Thema zunächst genommen wird und welche Familie die Vorbereitung und Einladung übernimmt. Etwa um elf Uhr ist kurzes Gebet, Fürbitten oder freies Gebet, wir reichen einander die Hände, sprechen das Vaterunser und gehen auseinander.

Nach meiner Erfahrung ist es besser, man sucht keinen Verantwortlichen für die Runde, sondern stellt es ihnen frei, sich selbst zu verwalten und zu organisieren. Eine gewisse ordnende Leitung soll reihum immer das Ehepaar ausüben, das zur Zusammenkunft einlädt. Bei der ersten Zusammenkunft bitte ich sie, daß sie mir gegenüber, wie es die andern auch tun, das brüderliche Du gebrauchen und stelle es ihnen frei, wie sie einander ansprechen. Meist kommt es schon bei der ersten Zusammenkunft dazu, daß sie das geschwisterliche Du verwenden.

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