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Die Farce um Zwentendorf

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Die Abgeordneten mußten Uberstunden machen, um der Regierungspartei die Möglichkeit zu geben, die vom Bundesrat beeinspruchte „Lex Zwentendorf“ doch noch vor den Ferien durchzubringen. Andernfalls wäre es nicht möglich gewesen, die für November anberaumte Volksabstimmung über die Bühne gehen zu lassen. Der Fristenlauf hat eingesetzt - aber noch keine Woche seit dem Beharrungsbeschluß war vergangen, als ein zuständiger Verfassungsjurist das umstrittene Gesetz bereits zerlegt und seine Fadenscheinigkeit aufgedeckt, die ganze Vorgangsweise der Regierung als Farce entlarvt hatte. Die Einzelheiten lesen Sie im Innern des Blattes.

Die FURCHE hat bisher und gerade in letzter Phase bewußt vermieden, pro oder contra Kernkraft, für oder gegen die Inbetriebnahme von Zwentendorf Stellung zu nehmen. Es geschah dies nicht aus Ratlosigkeit, aus Feigheit, sondern weil gerade in dieser Frage die Meinungen so stark auseinandergehen wie in kaum einer anderen; es geschah, weil wir nur die Möglichkeit gehabt hatten, die Aussagen von Fachleuten verschiedener Disziplinen nebeneinander zu stellen - genau das aber mußten unsere Leser bereits in anderen Publikationen gelesen haben. Wo konnte, wo mußte die spezielle Aussage der FURCHE stehen?

Auch wenn der Leitartikel „die Meinung der Redaktion“ auszudrücken pflegt - in diesem Punkt kann ich Ihnen nur meine eigene Meinung anbieten: Für mich sind die Aussagen der Energiewirtschäftsexperten zum Energieengpaß in den achtziger Jahren mit seinen Folgen für die Volkswirtschaft und damit für das Wohlergehen der Menschen ebenso relevant wie die Warnung jener, die meinen, mit dem Atomstrom noch abhängiger vom Ausland zu werden, als wir es jetzt schon sind. Ich vertraue den Aussagen der Techniker und Physiker, wonach die Sicherheitsvorkehrungen optimal seien, und ich habe ein Unbehagen im Gedanken an die ungelöste Abfallfrage (trotz der ägyptischen Angebote). Ich pflichte der Aussage des Kardinals bei, daß es besser wäre, andere Energiequellen zu forcieren - aber geht dies so rasch, als der Strom gebraucht wird?

Alle diese Für und Wider müssen abgewogen, einander gegenübergestellt werden. Wo dann der einzelne den Akzent setzt, welche ihm wichtiger erscheinen für die endgültige - persönliche - Meinung, muß jeder für sich entscheiden. Die Gesamtsumme dieser persönlichen Meinungen zur politischen Grundsatzentscheidung für oder gegen die Einführung der Kernkraft in einer umfassenden Volksbefragung auszuloten, wäre denkbar gewesen. Nicht aber, dem Wähler in seiner Unsicherheit den Schwarzen Peter zuzuschieben, wenn sich die Politiker vor ihrer Verantwortung drücken wollen.

Als vor zwanzig Jahren die Internationale Atomenergie-Organisation in Wien gegründet, als kurz darauf auch Österreichs erste Kernforschungszentren gebaut wurden, gab es in der Umgebung des Praterreaktors der Hochschulen zunächst ebensolche Widerstände wie jetzt um Zwentendorf. Inzwischen hat man sich längst daran gewöhnt, neben einem Reaktor zu leben. Aber dieser Widerstand hätte Anstoß sein sollen, in einer systematischen Informationsarbeit die vielen Fehlvorstellungen abzubauen, eine brauchbare Informationsbasis zu schaffen, bevor die Frage größerer Dimensionen, das Problem der Kernkraftwerke aufgetaucht wäre. Geschehen ist praktisch nichts.

Als aber europaweit die Umwelt-

Schutzbewegungen gegen die Kernkraftwerke loszogen, war es zu spät -damit war die Frage emotionalisiert, politisiert. Nun ging es - siehe Schweden - um Wählerentscheidungen.

Die Bemühungen der Bundesregierung, in einer Welle von Großveranstaltungen die'zuständigen Fachleute berichten zu lassen, auch die Gegner anzuhören, um unter dem Strich dem noch unbefangenen Bürger die Entscheidung für die Kernkraft zu erleichtern, war an sich richtig - nur kam sie zu spät. In dieser Phase mußten die Emotionen bereits eine sachliche Diskussion unmöglich machen.

In dieser Phase konnten nur noch die zuständigen Politiker, konkret die Bundesregierung, entscheiden, ob und unter welchen Umständen Österreich seinen Energiebedarf auf dem Weg der Kernspaltung decken sollte, oder ob es unter Verzicht auf diese Energiequelle allenfalls auch wirtschaftliche Folgen in Kauf nehmen mußte. Nur die Bundesregierung konnte entscheiden, ob Zwentendorf in Betrieb gehen sollte oder ob man mit Rücksicht auf die Umwelt, auf die Gesundheit der Menschen, die Milliardeninvesitionen abschreiben müßte. Diese Entscheidung kann niemand der Regierung abnehmen. Eine Mehrheit der Wähler hat „Kreisky und sein Team“ mit der Führung des Staates beauftragt - das Risiko, diese Mehrheit zu verlieren, ist immer mit diesem Auftrag verbunden.

Das Instrument der Volksabstimmung ist in der Republik Österreich bisher, abgesehen von Kärnten, noch nicht eingesetzt worden. Daß man über die Todesstrafe oder über Steuern nicht abstimmen lassen kann, darüber sind sich auch die Politiker einig. Uber die Fristenlösung abstimmen zu lassen, hat sich die Regierung geweigert. Noch vor kurzem hielt Kreisky auch die Abstimmung über die Kernkraft für unsinnig.

Jetzt doch diesen Strohhalm zu ergreifen, doch den Wählern den Schwarzen Peter zuspielen zu wollen, um die Verantwortung von sich zu schieben - und das in einer Form, die den Verfassungsjuristen das stille Grausen aufsteigen läßt und die Regierung vielleicht politisch, aber nicht rechtlich bindet - diese Vorgangsweise kann nur als restlose Disqualifi-zierung der Regierung gewertet werden.

Am 5. November aber wird sich der Staatsbürger überlegen müssen, was er durch seine Stimmabgabe ausdrük-ken will: sein Bekenntnis zur Energieversorgung mit Hilfe der Kernkraft im Vertrauen auf die Zusicherungen der Techniker und Physiker oder seine Zustimmung zu einer Regierungspolitik, die sich, wie einst Münchhausen, am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen will; oder aber seine Absage an eine Technologie, an der noch manches ungeklärt erscheint, eine Demonstration gegen eine Farce zur Tarnung jener Regierungspolitik. All das - aber auch nur das - steht am 5. November zur Diskussion.

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