7050622-1990_50_15.jpg
Digital In Arbeit

Die Feindbilder der Slowaken

Werbung
Werbung
Werbung

Nationalismus in der Slowa­kei: Die Presse heizt die Si­tuation weiter an, die politischen Repräsentanten nutzen die Situa­tion, um billig Wählerstimmen zu fangen. Und die Kirche und die Ka­tholiken? Sie schweigen. Funda­mentalismus und Klerikalismus sind eine drohende Gefahr.

Jahrzehnte, ja Jahrhunderte überdauernde Feindbilder haben sich im Bewußtsein der Slowaken fixiert, man kann von einem para­noiden Komplex sprechen: Der Kampf für die nationale Identität wandelt sich in einen Kampf gegen Nationen (die der eigenen Wunden geschlagen haben). Aus Selbstver­teidigung wird Aggressivität.

Die Slowaken haben nie Eigen­staatlichkeit von Dauer besessen. Nur im neunten Jahrhundert wa­ren sie Träger des Großmährischen Reiches. Nach dem Tod des ersten Großmährischen Metropoliten, des heiligen Methodius, wurden seine Schüler verjagt. Der erste Aderlaß der heimischen Intelligenz.

Um das Jahr 1000 wurde die Slowakei unter die ungarische Krone des heiligen Stephanus ge­stellt. Dies dauerte bis 1918. Die letzten hundert Jahre waren ge­prägt durch eine starke Hungari-sierung. Keine slowakischen Schu­len (nur einige kirchliche Volks­schulen) und Universitäten.

Nach dem Ersten Weltkrieg wur­den die „slowakisch sprechenden Magyaren" zu „slowakisch spre­chenden Tschechoslowaken". Die neue Preßburger Universität schuf zumindest wieder die Möglichkeit einer höheren Bildung.

Im März 1939 wurde die Selb­ständigkeit der Slowakischen Re­publik ausgerufen. Böhmen und Mähren wurden von den Deutschen besetzt, der Freundschaftspakt zwischen Drittem Reich und Ruß­land wurde unterschrieben. Am 1. September überfiel Hitler Polen und es begann der Zweite Welt­krieg.

In den folgenden Jahren des Grauens spielte Hitler die führende Rolle in Europa. Konnte das kleine Volk von drei Millionen Slowaken eine Konfrontation wagen? Es ging ums nackte Überleben. Das forder­te stille Duldung von Taten. Die perverse Theorie vom kleineren Übel brachte die Judengesetze und Deportationen. Sie bleiben ein unauslöschbarer Schandfleck die­ses selbständigen Staates.

In diesem slowakischen Staat besetzte die eigene Intelligenz wie­der die freien Plätze in Schulen, Universitäten, Ministerien und Wirtschaft. Die Nachfolger der Tschechen wurden automatisch zu Kollaborateuren. Doch man muß hervorheben, daß bis zum Aufstand des Jahres 1944 in der Slowakei kein Todesurteil gefällt wurde.

Im Frühling 1945 verließen Tau­sende Angehörige der Intelligenz ihre Heimat, mehr aus Angst vor den Russen als aus Schuldgefühl. Wieder ein Aderlaß der slowaki­schen Intelligenz.

Der nächste folgte 1948, nach der Machtübernahme der Kommuni­sten. Wieder emigrierten Tausen­de.

Die fünfziger Jahre brachten die große Verfolgung von Kirche und Intellektuellen. Todesurteile, Ge­fängnis, Arbeitslager. Die Revolu­tion fraß nicht nur ihre Kinder, ihr eigenes geistiges Potential. Der dritte Aderlaß. Er führte zur lebens­bedrohenden Anämie.

Heute fehlen die Nachfolger der kommunistischen Garnitur. Zwar sind nur wenige aus echter Über­zeugung in die Partei eingetreten, doch viele aus Angst um ihr Dasein. Darum gibt es nur wenige „Unbe­fleckte". Der Nachwuchs mit ent­sprechender Übersicht, ideologi­schem und europäischem Format, fehlt ebenso wie Fach- und Sprach­kenntnisse. Die freigewordenen Plätze der abgesetzten Führung können nur schwierig nachbesetzt werden. Die Folge des dreimaligen Aderlasses in einem Jahrhundert sind offensichtlich.

Insgesamt sollten die nationali­stischen Tendenzen also nicht ober­flächlich betrachtet werden. Diege-rechte Verteidigung der selbstver­ständlichen Rechte eines Volkes soll nicht mit Nationalismus und Chau­vinismus verwechselt werden. Es gibt Interesse für und Solidarität mit dem Kampf um Selbstbestim­mung von Litauern, Letten, Slowe­nen und Armeniern. Auch die Slo­waken sollten nicht ausgeklammert werden. Ansätze zur Intoleranz dürfen jedoch nicht verschwiegen werden. Sie müssen schon im Keim verurteilt werden.

Von der kommunistischen Herr­schaft geprägt ist auch die slowaki­sche Kirche. Sicher blieben viele ihrer christlichen Überzeugung treu. Sie wurden bei der Hexenj agd vergessen oder konnten sich tar­nen. Sie betätigten sich im Unter­grund.

Doch die Arbeit in kleinen, ver­traulichen und homogenen Grup­pen ist eine andere als in der Öf­fentlichkeit einer pluralistischen Gesellschaft. Das Fortbestehen einer isolationistischen Mentalität droht in unerwünschten Funda­mentalismus und engstirniges Eli­tebewußtsein auszuarten. Nur durch eine Öffnung nach innen (zum Dialog aller Mitglieder, der Hierar­chie, des Klerus und der Laien) und nach außen (zu den Erfahrungen der Weltkirche) kann diese Gefahr überwunden werden.

Das zweite Problem, der Kleri­kalismus, hat tiefe Wurzeln geschla­gen. Man steht auf der Position des Jahres 1945 und will Privilegien, die verloren gegangen sind, mili­tant wiedererobern. Man will in der Gesellschaft wieder die Rolle des Regisseurs und Moderators spie­len. Es fehlt die Bereitschaft zum Dialog, freie Entscheidung soll durch Gehorsam ersetzt werden.

Vielleicht war diese Einstellung in der Vergangenheit legitimiert. Durch das Fehlen der Laienintelli­genz haben sich die Priester dem Kampf um das Überleben der Na­tion gestellt. Heute droht die Ge­fahr, durch die Konzentration auf die „Treuen", auf den sicheren Kern der Kirchenbesucher, ins Ghetto zu geraten.

Franz Sykora ist Herausgeber der slowaki­schen Zeitschrift „ Katolicke Noviny".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung