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Die Feindbilder der Slowaken
Nationalismus in der Slowakei: Die Presse heizt die Situation weiter an, die politischen Repräsentanten nutzen die Situation, um billig Wählerstimmen zu fangen. Und die Kirche und die Katholiken? Sie schweigen. Fundamentalismus und Klerikalismus sind eine drohende Gefahr.
Jahrzehnte, ja Jahrhunderte überdauernde Feindbilder haben sich im Bewußtsein der Slowaken fixiert, man kann von einem paranoiden Komplex sprechen: Der Kampf für die nationale Identität wandelt sich in einen Kampf gegen Nationen (die der eigenen Wunden geschlagen haben). Aus Selbstverteidigung wird Aggressivität.
Die Slowaken haben nie Eigenstaatlichkeit von Dauer besessen. Nur im neunten Jahrhundert waren sie Träger des Großmährischen Reiches. Nach dem Tod des ersten Großmährischen Metropoliten, des heiligen Methodius, wurden seine Schüler verjagt. Der erste Aderlaß der heimischen Intelligenz.
Um das Jahr 1000 wurde die Slowakei unter die ungarische Krone des heiligen Stephanus gestellt. Dies dauerte bis 1918. Die letzten hundert Jahre waren geprägt durch eine starke Hungari-sierung. Keine slowakischen Schulen (nur einige kirchliche Volksschulen) und Universitäten.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die „slowakisch sprechenden Magyaren" zu „slowakisch sprechenden Tschechoslowaken". Die neue Preßburger Universität schuf zumindest wieder die Möglichkeit einer höheren Bildung.
Im März 1939 wurde die Selbständigkeit der Slowakischen Republik ausgerufen. Böhmen und Mähren wurden von den Deutschen besetzt, der Freundschaftspakt zwischen Drittem Reich und Rußland wurde unterschrieben. Am 1. September überfiel Hitler Polen und es begann der Zweite Weltkrieg.
In den folgenden Jahren des Grauens spielte Hitler die führende Rolle in Europa. Konnte das kleine Volk von drei Millionen Slowaken eine Konfrontation wagen? Es ging ums nackte Überleben. Das forderte stille Duldung von Taten. Die perverse Theorie vom kleineren Übel brachte die Judengesetze und Deportationen. Sie bleiben ein unauslöschbarer Schandfleck dieses selbständigen Staates.
In diesem slowakischen Staat besetzte die eigene Intelligenz wieder die freien Plätze in Schulen, Universitäten, Ministerien und Wirtschaft. Die Nachfolger der Tschechen wurden automatisch zu Kollaborateuren. Doch man muß hervorheben, daß bis zum Aufstand des Jahres 1944 in der Slowakei kein Todesurteil gefällt wurde.
Im Frühling 1945 verließen Tausende Angehörige der Intelligenz ihre Heimat, mehr aus Angst vor den Russen als aus Schuldgefühl. Wieder ein Aderlaß der slowakischen Intelligenz.
Der nächste folgte 1948, nach der Machtübernahme der Kommunisten. Wieder emigrierten Tausende.
Die fünfziger Jahre brachten die große Verfolgung von Kirche und Intellektuellen. Todesurteile, Gefängnis, Arbeitslager. Die Revolution fraß nicht nur ihre Kinder, ihr eigenes geistiges Potential. Der dritte Aderlaß. Er führte zur lebensbedrohenden Anämie.
Heute fehlen die Nachfolger der kommunistischen Garnitur. Zwar sind nur wenige aus echter Überzeugung in die Partei eingetreten, doch viele aus Angst um ihr Dasein. Darum gibt es nur wenige „Unbefleckte". Der Nachwuchs mit entsprechender Übersicht, ideologischem und europäischem Format, fehlt ebenso wie Fach- und Sprachkenntnisse. Die freigewordenen Plätze der abgesetzten Führung können nur schwierig nachbesetzt werden. Die Folge des dreimaligen Aderlasses in einem Jahrhundert sind offensichtlich.
Insgesamt sollten die nationalistischen Tendenzen also nicht oberflächlich betrachtet werden. Diege-rechte Verteidigung der selbstverständlichen Rechte eines Volkes soll nicht mit Nationalismus und Chauvinismus verwechselt werden. Es gibt Interesse für und Solidarität mit dem Kampf um Selbstbestimmung von Litauern, Letten, Slowenen und Armeniern. Auch die Slowaken sollten nicht ausgeklammert werden. Ansätze zur Intoleranz dürfen jedoch nicht verschwiegen werden. Sie müssen schon im Keim verurteilt werden.
Von der kommunistischen Herrschaft geprägt ist auch die slowakische Kirche. Sicher blieben viele ihrer christlichen Überzeugung treu. Sie wurden bei der Hexenj agd vergessen oder konnten sich tarnen. Sie betätigten sich im Untergrund.
Doch die Arbeit in kleinen, vertraulichen und homogenen Gruppen ist eine andere als in der Öffentlichkeit einer pluralistischen Gesellschaft. Das Fortbestehen einer isolationistischen Mentalität droht in unerwünschten Fundamentalismus und engstirniges Elitebewußtsein auszuarten. Nur durch eine Öffnung nach innen (zum Dialog aller Mitglieder, der Hierarchie, des Klerus und der Laien) und nach außen (zu den Erfahrungen der Weltkirche) kann diese Gefahr überwunden werden.
Das zweite Problem, der Klerikalismus, hat tiefe Wurzeln geschlagen. Man steht auf der Position des Jahres 1945 und will Privilegien, die verloren gegangen sind, militant wiedererobern. Man will in der Gesellschaft wieder die Rolle des Regisseurs und Moderators spielen. Es fehlt die Bereitschaft zum Dialog, freie Entscheidung soll durch Gehorsam ersetzt werden.
Vielleicht war diese Einstellung in der Vergangenheit legitimiert. Durch das Fehlen der Laienintelligenz haben sich die Priester dem Kampf um das Überleben der Nation gestellt. Heute droht die Gefahr, durch die Konzentration auf die „Treuen", auf den sicheren Kern der Kirchenbesucher, ins Ghetto zu geraten.
Franz Sykora ist Herausgeber der slowakischen Zeitschrift „ Katolicke Noviny".
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