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Die „Feinde“ sitzen im Kosovo

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Vor drei Wochen sprach der Sowjetbürger bei der Wahl zum Kongreß der Volksdeputierten ein Machtwort gegen die Perestrojka-Verhinderer. Sonntag vor einer Woche waren die Slowenen auf gerufen, erstmals durch Wahlen den Vertreter der Republik Slowenien fürs Belgrader Staatspräsidium zu bestimmen. In der Karwoche verabschiedete das Parlament der Sozialistischen Republik Serbien „einstimmig“

eine Verfassungsänderung, die vorher vom Parlament der autonomen Region Kosovo bei wenigen Gegenstimmen „beschlossen“ wurde.

Kosovo - mit fast 90 Prozent albanischer Bevölkerung — „verzichtete“ auf wesentliche Teile seiner Autonomie und Selbstbestimmung. Euphorie in Belgrad. Blutiger Aufruhr mit Toten in Priština.

Ich sprach mit Angehörigen beider Völker: hinter vorgehaltener Hand - Angst sowohl bei den Serben als auch bei den Albanern.

Im Frühjahr 1981 klingelte in meinem Übersetzungsbüro in Wien das Telefon: „Herr Smolle, ich weiß, Sie helfen Flüchtlingen, darf ich zu Ihnen kommen, abends, ich fürchte mich.“ Wir trafen uns. Er sei Albaner — aus dem Kosovo, Wirtschaftsmanager. Der Druck gegen die albanische Bevölkerung verstärke sich, Repressalien vor allem gegen die Jugend durch Miliz und Militär, man versuche, die Albaner in sogenannte Wirtschaftskriminalprozesse zu verwickeln, die Arbeitslosigkeit steige auch bei jungen, hochqualifizierten Albanern, die Jugend sei selbstbewußter, emanzipierter, habe aber Angst um ihre Zukunft, viele Hochschulabsolventen arbeiten als Eisverkäufer.

Er selbst wolle nach Paris, dort habe er einen nahen Verwandten, der sei Funktionär einer Aus- lands-Kosovaren-Organisation. Man mache im Kosovo die Albaner dafür verantwortlich, daß Serben und Montenegriner das Land verlassen.

Auch ihn habe man verdrängen wollen, indem man ihm einen Wirtschaftskriminalprozeß angehängt habe. In Wien lebe er als U- Boot, er brauche dringend ins Französische übersetzte Dokumente. Zu Hause in Kosovo steige die wirtschaftliche Spannung, es werde zur politischen Explosion zwischen Albanern und Serben kommen. — Dann, im Sommer 1981, gab es heftige blutige Auseinandersetzungen.

Was hat sich seit damals im Kosovo geändert?

Wenig, oder schlimmer: die Gegensätze haben sich verschärft. Der Abstand des jugoslawischen Südens zum Norden wurde noch größer. Slowenien mit etwas mehr als 20 Prozent der Bevölkerung bestreitet fast ein Drittel des Exports, mit Kroatien zusammen etwa 60 Prozent.

Die Arbeitslosigkeit im Süden hat sich fast verdoppelt — geschätzt über 20 Prozent. Der Prozeß der Revision der Verfassung der SR Serbien und der beiden autonomen Regionen Wojwodina und Kosovo hat nicht erst mit Slobodan Miloševič begonnen. Ihm ist es jedoch gelungen, diese durchzusetzen.

Ich habe mich gefragt, wofür oder wogegen demonstrieren eigentlich Milosevic’ Serben. Sie müßten eigentlich gegen die eigene politische Führung, gegen die kommunistische Partei oder gegen die serbische Bürokratie demonstrieren.

Gegen die eigenen Fehler geht’s aber schlecht, man braucht einen Außenfeind; einen ideologischen, das sind die Kroaten und Slowenen mit ihrer „demokratizacija“; und einen nationalen, das sind die sich im Ursiedlungsland der Serben stark verbreitenden Albaner.

So wird die latent vorhandene Angst, ob rational oder irrational, der Mehrheit vor der Minderheit für den inneren Zusammenhalt der Serben, für ihre politische Motivation mißbraucht.

Die Legitimation der Partei aus der heroischen Vergangenheit ist im Erlöschen, sie und die Auswüchse ihrer Ideologie werden für die gegenwärtige Misere, vor allem die wirtschaftliche, verantwortlich gemacht. Die Partei muß Erfolge nachweisen, sei es auch als Machtzuwachs zum Schaden der Rechte einer Minderheit.

Noch einen Vorteil hat diese Massenbewegung (so erklärte mir dies ein hoher jugoslawischer Funktionär): Die Nieten in den Führungspositionen seien anders nicht zu vertreiben, als durch gewaltsamen Druck von der Straße.

Doch wie man sieht, ist ein solches stereotypes Verhalten der Mehrheit gegen die Minderheit kein Garant für wirklichen Erfolg. Die Albaner wollen kein Objekt der serbischen Politik sein — auch nicht, wenn man sie mit militärischer und milizionärer Waffengewalt dazu zwingen will.

Militäreinsatz gegen Bürger des eigenen Landes macht weder Leben für den einen Teil sicherer, noch den bekämpften Teil botmäßiger.

Jahrzehnte werden Serben und Albaner brauchen, um einander die Toten zu verzeihen und Vertrauen zueinander zu gewinnen.

Wie muß einem albanischen Jugendfunktionär - Ali Sabani - zumute sein angesichts der Dutzenden toten Demonstranten, wenn er seinen Rücktritt erklärt wegen „objektiver Verantwortung für die letzten Ereignisse und die Mitwirkung einer großen Zahl von Jugendlichen bei den Demonstrationen aus der Position des albanischen Nationalismus und Separatismus“?

Solche Unterstellungen sind auch uns Kärntner Slowenen und mir als gelerntem Minderheitenpolitiker nicht unbekannt.

Man kann auch der Mehrheit ihre Angst zubilligen; jedenfalls ist aber auch die Angst der Minderheit verständlich. Schlimm wird es, wenn ein politischer (Ver-)Führer diese Angst aufputscht, die Angst mißbraucht, um die Menschen zu manipulieren.

Es ist ein großer gesellschaftlicher Konflikt, den Jugoslawien durchmacht. Es fehlen aber die großen politischen und kulturellen Vorstellungen—sowohl für die Schaffung eines neuen innerjugoslawischen Ausgleichs als auch für die Idee über die geopolitische Rolle Jugoslawiens.

Es mangelt an gesamtjugoslawischen Persönlichkeiten mit solchen und für die Verwirklichung solcher Visionen. Darunter werden die Albaner im Kosovo noch lange zu leiden haben.

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