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Die feindlichen Brüder

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Im Hintergrund des ungarischrumänischen Dauerkonfliktes scheiden sich die Geister in der Budapester Partei- und Regierungsführung. Die Konservativen möchten „die aus dem Südosten drohende Gefahr“ als „leeres Gerede“ unter den Teppich kehren. Mittlerweile schweigen auch schon jene dazu, die sie vor kurzem noch zur Sprache gebracht haben. Als Verliererin steht wieder einmal die Öffentlichkeit da - auch die Opposition kann mangels konkreter Daten und Fakten nur prinzipielle Erklärungen abgeben.

Tatsache ist vorerst so viel, daß der Bukarester Diktator Nicolae Ceausescu seit etwa einem Jahr mehrere Male damit geprahlt hat, sein Land sei imstande, nukleare Waffen herzustellen. Zugleich sind den Ungarn auch Informationen bekannt geworden, die besagen, daß die rumänische Armee sich darum bemühe, in den Besitz von Mittelstreckenraketen zu kommen. Anhand der entsprechenden Daten hat sich der stellvertretende Leiter der Abteilung Außenpolitik in der Budapester Parteizentrale, Csaba Ta-bajdi, vor einigen Wochen italienischen Zeitungen gegenüber besorgt geäußert und wurde daraufhin prompt vom Dienst suspendiert. Das ihm von den Dogmatikern mit Donner und Blitz verheißene Disziplinarverfahren wird aber seitdem immer wieder aufgeschoben.

Er soll nicht nur gegen „die Interessen der nationalen Sicherheit“ verstoßen haben, in den Interviews meldete er auch Zweifel ander Führungsfähigkeit von Generalsekretär Karoly Grösz an, und wenn nichts anderes, so sorgt dies für seinen Schutz bei den Spitzenreformern.

Über die Gefahr aus dem Südosten hüllen sie sich aber auch in Schweigen. Dabei ist dieses Thema sowohl beim Warschauer Pakt-Gipfel in Bukarest als auch beim Treffen der ungarischen Parteiführung mit Michail Gorbatschow* neulich in Moskau zur Sprache gekommen. In der rumänischen Hauptstadt drohten die Ungarn damit, eine Untersuchung in bezug auf den Atomwaffenbesitz der Ceausescu-Armee zu beantragen, woraufhin der Conducator rasch von „bedauernswerten Fehlinterpretationen seiner Worte“ sprach. Die Ungarn hatten die Frage vor dem Plenum vorerst offen gelassen, besprachen sie jedoch einige Wochen spater mit Moskau.

Einigkeit herrschte da auf jeden Fall darüber, daß das Problem einstweilen nicht überwertet werden sollte, da dies nicht nur zur Neuf ormulierung des östlichen Bündniskonzeptes führen müßte, sondern darüber hinaus freilich auch für die Abrüstungsgespräche mit dem westlichen Verteidigungssystem ernsthafte Folgen hätte.

Nun soll, ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen, die Anwesenheit der sowjetischen Truppen in Ungarn überprüft werden. Es ist ihre Verteidigungsfähigkeit beziehungsweise Schlagkraft, die „den neuen Umständen entsprechend“ geprüft wird. Oder halt unmilitärisch gesprochen: Man will sehen, wie weit die brüderlichen Streitkräfte mit einerneuen Funktion, das heißt, mit der Abwehr gen Südosten ausgestattet werden können.

Nachdem Außenminister Gyula Horn vor einigen Wochen erklärt hatte, die Beziehungen zwischen seinem Land und Rumänien seien auf den Nullpunkt gesunken, fragt man sich wohl zurecht, was jetzt noch kommen kann. Eine Verbesserung muß man von vornherein ausschließen, solange Ceausescu an der Macht ist

In Budapest überlegt man jetzt auch die Drosselung der Handelsbeziehungen mit Rumänien. Man will sich nicht auf das Niveau der faschistoidenBukarester Propaganda herabbegeben, die bei jeder Gelegenheit den angeblichen Revanchismus in Ungarn beklagt. Mit dem Aufbau und der Stärkung des magyarischen Reformimages im Westen soll fortgefahren werden. Die Anhänger des auch als Rumänienpolitikers kläglich gescheiterten Generalsekretärs der USAP, Karoly Grösz, wollen ausgerechnet in diesem Bereich ihre Position (FURCHE 31/1989, Glosse Seitel) stärken. Dies zeigt nicht nur die auf lange Sicht für sie erfolglose Tabajdi-Affäre, sondern auch die Erklärung, die der Grösz-Vertraute, ZK-Sekretär Fej-ti, neulich zur zeitweiligen Abberufung des rumänischen Botschafters abgegeben hat, der nach einem Interview mit König Mihai im ungarischen Fernsehen nach Bukarest zurückkehrte.

Das Außenministerium vermerkte in einem Kommunique lediglich so viel, daß die Äußerungen der Massenmedien nicht notwendigerweise den offiziellen Standpunkt der Regierung repräsentierten. Fejti hielt es für notwendig, zu betonen, daß die Parteiführung auch nicht mit den Ansichten des Ex-Königs übereinstimme. Als hätte das jemand angenommen - außer der Bukarester Propaganda, versteht sich.

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