7056036-1991_18_03.jpg
Digital In Arbeit

Die Flucht in den Gehorsam

19451960198020002020

Katholische Publizisten aus Mitteleuropa diskutierten am Wochenende in Brixen die Frage, ob sich die Christen vor dem 21. Jahrhundert im Rückzug, in Isolation oder vor einem Aufbruch befinden. Referenten waren der polnische Schriftsteller Andrzej Szczypiorski, der österreichische Theologe Christoph Schönborn und die bayrische Philosophin Barbara Gerl-Falkovitz.

19451960198020002020

Katholische Publizisten aus Mitteleuropa diskutierten am Wochenende in Brixen die Frage, ob sich die Christen vor dem 21. Jahrhundert im Rückzug, in Isolation oder vor einem Aufbruch befinden. Referenten waren der polnische Schriftsteller Andrzej Szczypiorski, der österreichische Theologe Christoph Schönborn und die bayrische Philosophin Barbara Gerl-Falkovitz.

Werbung
Werbung
Werbung

Es waren Ausschnitte aus der kirchlichen Wirklichkeit Europas, Einblicke in konkrete Situationen, die - so verschieden sie auch sein mochten - doch einen gemeinsamen Nenner hatten: Die Angst der Verwalter des Glaubens vor der Auseinandersetzung mit den Umbrüchen in Gesellschaft, Kultur und Politik. In den Diskussionen der Journalisten untereinander, aber auch durch die Referenten wurde der Eindruck vermittelt, daß die hierarchische Kirche mit Integralismus und Fundamentalismus, mit einem Rückzug auf die eigenen vier Wände, auf die neuen Herausforderungen antwortet.

Wird die katholische Kirche also den Anforderungen der Geschichte „nicht gerecht", wie es Andrzej Szczypiorski als „traurige, bittere Wahrheit" von der Kirche in Polen konstatierte? Nach einer Zeit des Kampfes gegen die kommunistische Diktatur - ein in letzter Zeit vom polnischen Senator schon öfter öffentlich geäußerter Gedanke - habe die Kirche als Bollwerk des Patriotismus und als Verteidiger der nationalen Würde „jetzt an ihrem Reflexionsvermögen verloren, sie vernachlässigte ihren Universalismus, der ziemlich oberflächlich zu sein scheint".

Der mehr polnische als katholische Katholizismus in seinem Lande betont nach Ansicht Szczypiorskis nur „unser Anderssein, um aller Welt beweisen zu können, daß wir besser sind, was auch Ausdruck unserer Intoleranz

ist". Hat hier der Schriftsteller nicht nur seinen Landsleuten, sondern auch der Kirche im Westen einen Spiegel vorgehalten?

Mit der Grundhaltung des qualitativ Anders- oder Besserseins beginnt der Weg der Kirche weg von der Auseinandersetzung und hin zum bloßen Gehorsam als alleiniger Grundtugend des Glaubenden. Szczypiorski kritisiert diesbezüglich Politiker wie Kirchenleute: „Es unterliegt heute keinem Zweifel, daß der Sturz des Kommunismus in Polen keine große Liebe zu den Idealen der menschlichen Freiheit erweckte. Im Gegenteil - bei manchen Politikern, die noch gestern die Diktatur mutig bekämpften, lassen sich gewisse autoritäre Tendenzen bemerken." Eine Schwäche in der Argumentation des Senators bildete hier allerdings die Ausnahme ausgerechnet Lech Walesas von diesen Tendenzen.

Aber weiter: „Unter den breiten Massen der Bevölkerung kann man dagegen eine Abneigung beobachten, die sich gegen die freie und ungehinderte Gestaltung von Aussagen richtet, sowie eine Unsicherheit, eine Ängstlichkeit und sogar die offene Feindseligkeit den Leuten gegenüber, die nonkonformistische Haltungen annehmen." Der Schriftsteller ortet diese Abneigung auch „bei manchen Vertretern der katholischen Geistlichkeit, die den Gehorsam der Kirche gegenüber für mehr erstrebenswert als alle bürgerlichen Freiheiten halten".

Deswegen - folgert Szczypiorski - fühle sich die polnische Kirche auch „schwach und weiß nicht, was sie sagen soll". Vergeblich würden von der Kirche richtungweisende Antworten auf die Negativauswüchse der freien Marktwirtschaft, auf die stärker werdenden nationalistischen Vorurteile und auf die schwindende Solidarität in der Gesellschaft erwartet.

Die Flucht in den Gehorsam führe die Kirche auch auf jenen falschen Weg, auf dem man christliche Moralnormen - Szczypiorski verwies auf die Diskussion in Polen über das

neue, strenge Abtreibungsgesetz - „mit Hilfe eines Polizeiknüppels erzwingen" wolle.

Auf diesem,Hintergrund stellte sich der Theologe Schönborn der Kritik an dem von ihm mitredigierten neuen Weltkatechismus, daß dieser die Inkulturation der Nichteuropäer in die Kirche verhindere und Rom als Instrument zur autoritativen Vereinheitlichung der Kirche dienen werde. Schönborn zitierte afrikanische Bischöfe, die am stärksten den Weltkatechismus gefordert hätten. Seiner Meinung nach löscht die „Einwurzelung des Glaubens" Kultur nicht aus, sondern bewahrt sie im Gegenteil vor dem Verschwinden, indem „das Gedächtnis eines Volkes in das Erbe des Glaubens eingebracht wird".

Die Philosophin Gerl-Falkovitz hielt dem entgegen, daß das Christentum ein ständiger „Stachel im Fleisch" jeder Trägerkultur sei, weil diese „die Paradoxie des Christentums" -nämlich die Sprengung aller gewachsenen kulturellen Werte - durchhalten müsse.

Die Konsequenzen für katholische Publizisten liegen auf der Hand. In einer eigenen „Brixener Erklärung zum Thema Massenkommunikation und Kirche" haben die in Südtirol versammelten Journalisten aus dem mitteleuropäischen Raum eine offene, freimütige, konsequente und sich selbst treu präsentierende Kirche gefordert. „Wer von der Wahrheit redet und diese bisweilen zu unterdrücken versucht, wer Freiheit predigt und selbst immer wieder das freie Wort gängeln möchte, begibt sich seines Beispielcharakters", heißt es in der Erklärung. Deshalb dürfe es in der Kirche keine Tabuthemen geben. Der katholische Journalist habe die Aufgabe, „zur Bildung einer öffentlichen Meinung in der Kirche kritisch" beizutragen.

Das wurde in Richtung jener Glaubensverwalter gesagt, die - besonders Journalisten aus Osteuropa klagen darüber - autoritativ über Medien Antworten geben wollen und aus Ängstlichkeit nicht bereit sind, sich zuerst den Fragen der Zeit zu stellen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung