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Die Folgen der Verdrängung

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Die Sowjetunion ist zerfallen, in Belgrad demonstrierten Tausende gegen die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens durch europäische Staaten. Gleichzeitig wollen nicht nur Slowenien und Kroatien als eigenständige Staaten anerkannt werden, sondern auch Mazedonien und Bosnien-Herzegowina.

Das waren Meldungen zum Weihnachtsfest 1991, und die Folgen dieser Umwälzungen werden uns bis über das Jahr 1992 hinaus verfolgen.

In der Frage der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens hat das vereinigte Deutschland demonstrativ eine Vorreiterrolle übernommen. Außenminister Genscher und Kanzler Kohl haben ein deutliches Zeichen gesetzt: Gegen den Willen der Amerikaner und gegen den Willen der UNO haben die Deutschen ihre Politik in der EG durchgesetzt. Sie konnten die widerstrebenden Franzosen mit einem Argument gewinnen, das die Grande Nation beeindruckte und dem traditionellen Mißtrauen der Franzosen gegenüber den Amerikanern entgegenkam: Der Bonner Außenminister machte seinem Kollegen in Paris, Roland Dumas, klar, daß es unmöglich sei, wenn die USA mit Hilfe der Vereinten Nationen die Friedensbemühungen der Europäer behinderten...

Die außenpolitische Aktion der Deutschen wurde in vielen Kommentaren als das bewertet, was es auch tatsächlich war: als

Emanzipationsprozeß. Der wirtschaftliche Riese ist gewillt, sich vom politischen Zwergentum zu entfernen.

Die neuen Umbrüche machen aber auch alte politische Strukturen sichtbar, die schon vergessen schienen. Nicht nur die serbische Propaganda erinnert daran, daß just die Deutschen, Österreicher, Italiener und Ungarn besonders anerkennungswillig sind - also die Förderer des einstigen faschistischen Ustascha-Staates.

Besonders in England wird auch immer wieder darauf hingewiesen, daß gerade die Serben im Ersten und Zweiten Weltkrieg auf der „richtigen Seite" gekämpft hätten. Bei Churchill („Die Weltkrise 1911-1918") kann man auch nachlesen, was er den Serben als Siegespreis der Entente im Ersten Weltkrieg zugedacht hatte: „Bosnien und die Herzegowina, Kroatien, Dalmatien und das Temesvarer Banat."

Indes ist aber die Geschichte weitergegangen. In Graz hat dieser Tage Milorad Pupovac, ein Exponent der serbischen Minderheit in Kroatien, auf einen anderen, näherliegenden historischen Faktor hingewiesen: Von 1945 an habe sich die westliche Staatengemeinschaft sozialen Frieden und Stabilität am Balkan durch Kredite an das kommunistische Jugoslawien erkauft. Der Preis für diesen Frieden sei Verdrängung gewesen.

Jetzt aber kommt das Verdrängte nach oben. Mit allen grauenhaften Folgen.

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