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Die Ford-Achse

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Für das amerikanische Volk und darüber hinaus für die ganze Welt stellt sich die Frage, wie die Vereinigten Staaten der dreifachen Krise, in der sich ihre Präsidentschaft, ihre Außenpolitik und ihre Wirtschaft befinden, Herr werden können. Diese drei Krisen kann man mit den Namen Watergate, Naher Osten und Energieverknappung bezeichnen.

Es wäre zu einfach, alles unter dem Namen und der Person Nixons zu subsumieren. Und doch steht Richard Nixons pol'tisch'js Schicksal im Mittelpunkt der amerikanischen Kontroversen.

Ein Kenner der Verhältnisse brachte die Watergäte-Affäre auf den einfachsten Nenner: Der Präsident hat gelogen. Glaubt man also Nixon nicht, daß er keine Kenntnis von den Verfehlungen seiner Mitarbeiter hatte? Niemand glaubt es in Amerika.

Die Amtsenthebung des Vizepräsidenten Agnew hat die Stellung Nixons nicht gefestigt, sondern eher geschwächt. Die Verfehlungen Agnews haben sogar den Argwohn verstärkt, daß sich der Präsident ähnliche Verfehlungen habe zuschulden kommen lassen.

Interessant ist die jüngste Äußerung eines US-Senators, der ein Politiker von realistischer Denkart ist, der gesagt habe, es handle sich jetzt darum, das politische und verfassungsmäßige System „wieder in Ordnung“ zu bringen; jede Instanz, die Präsidentschaft, der Kongreß und der Oberste Gerichtshof, müßte fortan wieder normal ihre Funktionen erfüllen können.

Es hat den Anschein, daß in der unaufhörlichen Flucht von Skandalen und Zwischenfällen und bei der Schwächung der moralischen Autorität des Präsidenten Nixon Henry Kissinger die einzige tragende Säule der Regierung ist.

Dennoch muß man unterscheiden zwischen dem Respekt, den der Amerikaner vor der Institution der Präsidentschaft hat — ein Respekt oder Glaube, der unvermindert ist —, und dem Urteil, das er sich über die Person des Präsidenten bildet. Was Nixon in seiner Eigenschaft als Präsident beispielsweise im Nahostkonflikt angeordnet hat, ist von der Öffentlichkeit gebilligt worden; wie er aber als Richard Nixon beurteilt wird, ist eine völlig andere Frage.

Die Schnelligkeit, mit der der Kongreß der Ernennung Gerald Fords zum Vizepräsidenten zugestimmt hat, ist kein gutes Omen für die Zukunft Nixons. Ford scheint zwar ein unbeschriebenes Blatt zu sein, aber er ist eine Achse zum Kongreß. Als Präsident müßte er mit diesem zusammenarbeiten, wenn er Nixon nachfolgen würde — und damit wäre zunächst der Konflikt zwischen dem Weißen Haus und dem Kapitol aus der Welt geschafft, desgleichen der üble Geruch, in den infolge des Verhaltens des gegenwärtigen Präsidenten die Regierung der Vereinigten Staaten gekommen ist. Wohl stand Nixon immer im Ruf, ein mittelmäßiger Politiker und ein Präsident ohne Format zu sein, aber die kriminellen Machenschaften, die in seinem Namen begangen wurden, hat Nixon zusätzlich durch eine Häufung von taktischen Fehlern so sehr kompliziert, daß immer weniger. Leute in Amerika glauben, er werde sich endgültig aus der Affäre ziehen können.

Da für einen politisch denkenden Menschen seit längerer Zeit die ausschließlich auf ihre militärische Macht vertrauende Politik Israels ein Anlaß zur Sorge war, fragte ich schon vor mehreren Monaten einen amerikanischen Kollegen, welche die Motive des Weißen Hauses für seine Nahostpolitik seien. Lächelnd antwortete er: Die jüdische Wählerschaft. Diese sechs Millionen amerikanischen Bürger haben ein wahlpolitisches Gewicht in den Vereinigten Staaten, das sich als Hilfe für Israel auswirkt.

Das State Department hatte schon unter Rogers und hat neuerdings unter Kissinger eine vom Weißen Haus etwas abweichende Haltung eingenommen, indem der Verantwortliche für die Außenpolitik versuchte, ein besseres Gleichgewicht zwischen dem Schutz für Israel und der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung normaler Beziehungen zu den arabischen Staaten herbeizuführen; Kissinger erlebte allerdings die Überraschung, daß er zwar mit Ägypten die diplomatischen Beziehungen wiederaufnehmen konnte, aber bei dem bisher betont proamerikanischen König von Saudi-Arabien auf harten Widerstand stieß.

Nach dem Krieg von 1956 besaß Präsident Eisenhower genügend Autorität, um Israel zur Räumung der Sinai-Halbinsel zu zwingen, worauf sich die Lage zu beruhigen schien. Ob es Kssinger — unter dem jetzigen oder einem anderen Präsidenten — gelingen wird, die Regierung in Jerusalem zur Erfüllung der

UNO-Resolution vom November 1967 zu veranlassen, was möglicherweise den Beginn einer Befriedung des Nahen Ostens bedeuten könnte, wird die Zukunft lehren. Ansätze, wenngleich sehr prekäre, für eine politische Lösung des israelisch-arabischen Konfliktes sind vorhanden, und es scheint, daß beide Supermächte auf ihre Schützlinge einen Druck in diesem Sinne ausüben. Über den Mangel an Solidarität ihrer europäischen NATO-Verbünde-ten schon zur Zeit des Vietnamkrieges und nun wieder im Nahostkonflikt waren die Amerikaner verstimmt. Aber es fragt sich, ob Verbündete auch dann zur Solidarität verpflichtet sind, wenn nach ihrer Überzeugung der größere Verbündete eine schlechte Politik gemacht hat. Im Ergebnis haben sich die Bande zwischen Amerika und Europa gelockert.

Wohl am schlimmsten ist die Wirtschaftspolitik Nixons. Sein Stabilisierungsprogramm ist in Gefahr, von einer Wirtschaftskrise überholt zu werden. Der ölboykott der Araber war nur das auslösende Moment in einer Entwicklung, die einen Stillstand des Wirtschaftswachstums, eine Rezession und vermehrte Arbeitslosigkeit befürchten läßt. Die Verknüpfung der Energiekrise mit der Außenpolitik erschwerte zusätzlich die Stellung Präsident Nixons. Große Anstrengungen werden unerläßlich sein, um einer Panik vorzubeugen und das gesamtwirtschaftliche Konzept der amerikanischen Regierung wieder in Ordnung zu bringen.

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