6827178-1974_18_03.jpg
Digital In Arbeit

Die Frage nach dem Gleichgewicht

19451960198020002020

Bundespräsident Dr. h. c. Franz Jonas ist an den Folgen seiner schweren Krankheit gestorben. Wie alle bisherigen Bundespräsidenten der Zweiten Republik entstammte auch er der linken Reicbshälfte. Kaum zum Amt berufen und in die Hofburg eingezogen, machte sich auch bei Franz Jonas die gleiche Metamorphose bemerkbar, die sich schon bei seinen Vorgängern gezeigt hatte: auch Franz Jonas wurde ein überparteiliches Staatsoberhaupt, das streng nach den Regeln der Verfassung regierte und immer versuchte, den Pflichten seines Amtes gerecht zu werden. Der Genius loci verfehlte auch, nicht bei ihm seine Einflüsse. Etwas verärgert schrieb einmal ein linkskatholischer Journalist deshalb über ihn: „Am Hofe Franz Jonas' I.“ Wie alle Bundespräsidenten der Zweiten Republik, konnte auch er nicht das Ende seiner zweiten Amtsperiode erleben.

19451960198020002020

Bundespräsident Dr. h. c. Franz Jonas ist an den Folgen seiner schweren Krankheit gestorben. Wie alle bisherigen Bundespräsidenten der Zweiten Republik entstammte auch er der linken Reicbshälfte. Kaum zum Amt berufen und in die Hofburg eingezogen, machte sich auch bei Franz Jonas die gleiche Metamorphose bemerkbar, die sich schon bei seinen Vorgängern gezeigt hatte: auch Franz Jonas wurde ein überparteiliches Staatsoberhaupt, das streng nach den Regeln der Verfassung regierte und immer versuchte, den Pflichten seines Amtes gerecht zu werden. Der Genius loci verfehlte auch, nicht bei ihm seine Einflüsse. Etwas verärgert schrieb einmal ein linkskatholischer Journalist deshalb über ihn: „Am Hofe Franz Jonas' I.“ Wie alle Bundespräsidenten der Zweiten Republik, konnte auch er nicht das Ende seiner zweiten Amtsperiode erleben.

Werbung
Werbung
Werbung

Angesichts der letzteren Tatsache erhebt sich die Frage, ob in Zukunft bezüglich der Wahl des Präsidenten nicht eine Verfassungsänderung eintreten sollte: Die meisten Bundespräsidenten werden schon in vorgerücktem Lebensalter zu ihrem Amt berufen. Dieses Amt ist keineswegs nur eine Würde, sondern vielfach auch eine schwere Bürde, die an die Physis des Berufenen große Anforderungen stellt. Wäre es deshalb nicht klüger, die Amtszeit des Bundespräsidenten, die heute zweimal sechs Jahre betragen kann, auf eine einmalige Amtszeit von sieben Jahren zu beschränken? Die Wiederwahl eines amtierenden Bundespräsidenten hat außerdem etwas Peinliches an sich — sowohl für den Kandidaten wie für die Wähler. Es muß nicht sehr angenehm für einen amtierenden Präsidenten sein, gleichzeitig die Funktion eines Wahlkandidaten auszuüben und gewissermaßen Reklame für sich selbst zu machen. Es ist auch nicht angenehm für das österreichische Volk, über die Wiederwahl seines Staatsoberhauptes abzustimmen. Der Österreicher kommt dadurch in die mißliche Lage, seinem Oberhaupt unter Umständen ein Mißtrauensvotum erteilen zu können. Der Österreicher hat in seiner bisherigen Geschichte noch nie einen Herrscher abgesetzt, denn bekanntlich hat auch Kaiser Karl nicht abgedankt, sondern er verzichtete nur bedingungsweise auf die Teilnahme an den Regierungsgeschäften. Die Abberufung eines regierenden Präsidenten — und eine NichtWiederwahl wäre eine Abberufung — würde einer stillen Revolution gleichkommen. Aber der Österreicher ist kein Revolutionär und so wählte er bisher immer wieder den amtierenden Präsidenten, wenn auch oft nur mit einer hauchdünnen Mehrheit, was für den Kandidaten sicherlich auch nicht sehr angenehm war. *

Als die Erkrankung des Bundespräsidenten bekannt wurde und die österreichische Öffentlichkeit, wenn auch sehr vorsichtig, sich mit der Frage beschäftigte, wer Präsident Jonas nachfolgen könne, tauchten oft merkwürdige Vorschläge auf. Sie kamen seltsamerweise aus der rechten Reichshälfte. Diese Vorschläge besagten, daß die ÖVP auf die Aufstellung eines Kandidaten verzichten solle, da ihr Kandidat kaum Chancen gegenüber dem Kandidaten der SPÖ hätte. Es tauchten weiters Vorschläge auf. die besagten, man solle auf die Wahl des Staatsoberhauptes durch das Volk überhaupt verzichten und durch ein Sondergesetz die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung vornehmen lassen. Der letztere Vorschlag ist besonders gefährlich. Verfassungsbestimmungen sollen wirklich nur nach rötlichster Überlegung abgeändert werden und auf gar keinen Fall für einmalige Sonderfälle. Dies ergäbe ein Präjudiz, das gefährliche Folgen nach sich ziehen könnte. In Zukunft könnte dann durch solche Sondergesetze beispielsweise für einen einmaligen Fall auch die Gleichheit vor dem Gesetz aufgehoben werden.

Besonders merkwürdig ist der Vorschlag, die ÖVP möge auf die Aufstellung eines eigenen Kandidaten verzichten. Wäre nicht eine Partei, die sich einer Wahl nicht stellt, von vornherein unglaubwürdig? Und wäre der Kandidat aus der rechten Reichshälfte diesmal, wirklich völlig ohne Chancen?

Es war von vornherein offensichtlich, daß die ÖVP im Jahr 1971 die Wahl ihres Kandidaten Waldheim aus psychologischen Gründen verlieren mußte. Sie stellte ihren Kandidaten als den Kandidaten der Jugend und eines revolutionären Programms vor. Sie übersah dabei völlig, daß die Jugendlichen in Österreich nur eine relativ dünne Schicht bilden, Österreich vielmehr zum größten Teil von Menschen des mittleren Alters und von Pensionisten bewohnt .wird. Sie übersah auch völlig, daß der Österreicher im Grunde genommen gar kein Revolutionär ist, sondern, wo immer er steht, eher einer konservativen Lebensauffassung huldigt. Die SPÖ stellte, psychologisch richtig, ihren Kandidaten auch dementsprechend dar und so mußte Jonas die Wahl gewinnen. Es war ein glatter konservativer Wahlsieg.

Die SPÖ stellt den bisherigen Außenminister Kirchschläger als Präsidentschaftskandidaten auf: einen NichtSozialisten und überzeugten Katholiken. Der Kandidat der ÖVP ist nun ebenfalls Katholik, so daß bei der diesmaligen Wahl keine wie immer gearteten religiösen Aspekte ins Spiel kommen können. Kirchschläger als Kandidat der SPÖ bringt ein schweres Handikap in den Wahlkampf mit. Da er nicht aus dieser Partei stammt, kann er sie nicht, wenn er Bundespräsident ist, als seine Hauismacht ansehen. Er ist ihr nahezu willenlos ausgeliefert. Die bisherigen Bundespräsidenten, die alle aus der linken Reichshälfte kamen, hatten infolge ihrer Abstammung aus dieser Partei sehr oft die Möglichkeit, deren Wünschen sich mit Erfolg zu widersetzen und notfalls ein energisches Nein zu sprechen. Man erinnere sich nur, wie auf diese Weise die Bundespräsidenten Körner und Schärf die Bildung einer sogenannten kleinen Koalition zwischen SPÖ und VdU, später FPÖ, verhindern konnten.

Vor allen Dingen dürfte aber nicht die ÖVP ihren Kandidaten wieder als den Vorkämpfer eines revolutionären Programms darstellen, der sich ausschließlich um die Belange der Jugendlichen kümmert und nicht um die Belange der Millionen von Pensionisten und Rentnern. Sonst würde sie ein ähnliches Schicksal wie im Jahr 1971 erleiden. Aber im diesjährigen Wahlkampf kann die ÖVP für ihren Kandidaten noch einen einzigartigen Wahlschlager ins Treffen führen: einen Wahlschlager, der es ihr sogar möglich macht, darauf hinzuweisen, daß es gar nicht so Wichtig wäre, welcher ihrer Kandidaten gewählt wird, sondern daß es nur wichtig wäre, daß nicht der Kandidat der SPÖ gewählt wird. Sie kann darauf hinweisen, daß durch einen Sieg ihres Kandidaten die Macht im österreichischen Staat wieder ausbalanciert und nicht mehr alle Macht in den EUinden einer Partei vereinigt wäre. In der vergangenen Epoche stellte die SPÖ den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler, fast sämtliche Minister, den Ersten und Dritten Präsidenten des Nationalrates. Durch die Berufung eines Sozialisten zum Präsidenten des Obersten Gerichtshofes griff sie auch schon auf die wichtigen richterlichen Instanzen über.

Die ungeschriebene britische Verfassung brachte den Begriff des Gleichgewichts der Macht — the balance of power — in das politische Denken Europas. Großbritannien kennt eine sehr genaue Begrenzung der einzelnen Machtsphären. Die erbliche Macht des Königs wird durch die Existenz des Parlaments •beschränkt. Im Parlament selbst wieder steht der Macht des gewählten Unterhauses diejenige des ernannten Oberhauses entgegen. Die Macht der Regierung wird durch das Vorhandensein von „Ihrer Majestät aller-getreuester Opposition“ eingeengt. So ist es in Großbritannien unmöglich, daß eine der politischen Institutionen von einem absolutistischen Machtrausch befallen wird, der die Freiheit des Landes und seiner Bewohner zerstört.

Auch die Schweiz kennt ein sehr ausgewogenes System der Balance: Das Zentralparlament wird durch die Länderkammer — den Ständerat, in dem jeder Kanton, gleichgültig welcher Größe, mit gleich vielen Stimmen vertreten ist — in seiner Macht beschränkt. Jede der beiden Kammern hat das Recht, Gesetzesanträge zu stellen, und diese Anträge erlangen nur Gesetzeskraft, wenn ihnen die andere Kammer zustimmt.

Die österreichische Verfassung dagegen kennt kaum ein verbrieftes Gleichgewicht der einzelnen politischen Mächte. Die Rechte des Bundesrates, der Zweiten Kammer, gegenüber dem Nationalrat, der Ersten Kammer, sind geradezu kümmerlich. Ihre Proteste gegen Beschlüsse des Nationalrates, die außerdem nur auf einen ganz bestimmten Kreis beschränkt sind, haben fast nur symbolischen Charakter. Die Rechte des Parlaments gegenüber der Regierung wären zwar recht beachtlich, werden aber paralysiert durch die Tatsache, daß sich das österreichische Parlament, seitdem es existiert, immer nur als „Rat“ und nie als „Tag“ betrachtete. Während alle Parlamente der Welt ständig versuchten, ihre Rechte zu erweitern, hat sich das österreichische Parlament vielfach auf eine beratende Tätigkeit beschränkt oder sich sogar ganz ausgeschaltet: In der Monarchie durch die Obstruktion der Reichsratsabgeordneten, die es der Regierung ermöglichte, mit dem Notverordnungsparagraphen zu regieren. In der Ersten Republik durch den Rücktritt der drei Präsidenten, wodurch sich das Parlament vollständig lahmlegte. In der Zweiten Republik durch das System der großen Koalitionen, in denen das Parlament zwar offiziell weiterexistierte, aber doch nur ein Scheindasein lebte. Denn es spielte nur noch die Rolle eines Notars, der das Recht besaß, beschlossene Gesetze zu legalisieren. Das Prinzip der „balance of power“ garantieren in Österreich die Obersten Gerichtshöfe, deren Entscheidungen ganz Österreich unterworfen ist. Aber diese Gerichtshöfe treten eben doch nur in besonderen Fällen in Aktion.

Neben den Obersten Gerichtshöfen ist ein weiterer Garant für das Gleichgewicht der Macht im politischen Leben Österreichs der Bundespräsident. Denn er besitzt mehr Rechte als die Oberhäupter vieler anderer Staaten und stellt eine Art von Monarchen für jeweils sechs Jahre dar; er besitzt die Rechte, die ausreichen würden, um einen Machtrausch der Regierung oder des Parlaments zu paralysieren und auch alltägliche kleine Verärgerungen des laufenden politischen Lebens abzubiegen. Im letzten kann aber das System des Gleichgewichts durch den Bundespräsidenten, bei allem persönlichen guten Willen, nur dann garantiert sein, wenn der Bundespräsident einem anderen politischen Lager entstammt als der jeweilige Chef der Regierung. Die schrecklichen Ereignisse der Jahre 1933 und des Februar 1934, die wie ein Trauma das politische Leben Österreichs durch Jahrzehnte belasteten, wären niemals eingetreten, wenn in dieser Zeit Bundeskanzler und Bundespräsident verschiedenen politischen Lagern angehört hätten. Sowohl die Selbstauflösung des Parlaments im Frühjahr 1933 wäre mit legalen Mitteln überbrückt worden, wie auch das furchtbare blutige Aufeinanderprallen der beiden politischen Lager vermieden worden wäre, wenn es damals ein Gleichgewicht der Macht gegeben hätte. So müßten eigentlich auch Sozialisten bei der diesmaligen Wahl, wenn ihnen die Demokratie über die eigene Partei geht, dem Kandidaten der rechten Reichshälfte ihre Stimme geben.

Von seiten der ÖVP wird manchmal eingewendet, daß dieses Argument, wenn der Kandidat der ÖVP bei der Wahl durchginge — bei der kommenden Nationalratswahl auch gegen sie selbst angewendet werden könnte. Das ist gewiß richtig, aber wird es nach dem nächsten Parlament noch eine monokolore Regierung geben können? Haben beide Großparteien nicht gesehen, daß die monokolore Regierung für sie eine zu große Abnützung bedeutet und Österreich im Grunde genommen nichts Gutes bringt? Wird Österreich nicht angesichts der ungeheuer schwierigen Zeiten, die auf uns zukommen, wieder zu einer Art Koalition der beiden großen Parteien zurückkehren müssen? Einer Koalition, die es bereits in sich hat, daß auch hier das Gleichgewicht der Macht gewahrt bleibt?

So steht bei der kommenden Bundespräsidentenwahl vieles auf dem Spiel. Vor allen Dingen die Frage, ob das Gleichgewicht der Macht und damit eine ruhige politische Entwicklung gewährt bleibt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung