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Die Frage nach dem toten Bruder

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Was für den Bundespräsidenten ei­ne Selbstverständlichkeit war und der Bundeskanzler einfach nicht über die Lippen bringt, ist auch für eine katho­lische Zeitung Ehrenpflicht: der Israe­litischen Kultusgemeinde in Wien aufrichtiges Mitgefühl und brüderli­che Solidarität mit allen jüdischen Mitbürgern in Österreich zu bekun­den.

Der verbrecherische Anschlag auf eine betende Gemeinde ist durch nichts zu rechtfertigen, gegen keiner­lei Politik, wessen immer, aufzurech­nen und eine Herausforderung für alle Menschen dieses Landes, jüdische wie christliche, religiöse wie ungläubige.

Das bedeutet nicht, daß man sich nach einer solchen grundsätzlichen Feststellung nicht in aller Form auch von manchen unqualifizierten Stim­men zu distanzieren hätte, die im An­schluß an den Mordanschlag in Wien aus israelischen Gefilden zu uns dran­gen.

Es ist unzulässig und in einer At­mosphäre angeheizter Emotionen ge­fährlich, eine zumindest in der Ab­sicht auf Ausgleich, Versöhnung und Gerechtigkeit gerichtete Politik für ei­nen solchen abscheulichen Terroran­schlag verantwortlich zu machen. Warum löst dann die unnachgiebige Haltung der Regierung Begin gleich­falls soviel Terror und Gewalt aus?

Es ist aber ebenso unzulässig und gefährlich, wie es Kreisky tat, die „unversöhnliche Politik der Israelis“ als Ursache eines solchen Anschlags hinzustellen. Damit mag man allen­falls Gewaltakte in Nahost erklären, aber ein Blutbad unter völlig schuld­losen Betern im fernen Wien ist nie zu rechtfertigen. «

Ehe der Bundeskanzler auch nur er­ste Ergebnisse der staatspolizeilichen Untersuchung zur Hand hatte, wußte er, wie immer, mit Sicherheit eines: „Die PLO war es nicht!“ Was er da­bei wider besseres Wissen außer acht läßt, ist die Tatsache, daß es „die“ PLO nicht gibt, sondern nur eine Un­zahl zerkrachter Splittergruppen, die Jassir Arafat offenbar nicht bändigen kann.

Vielleicht wollen Arafat und ein ge­mäßigter Flügel wirklich den Aus­gleich, und Radikale wollen diese Po­litik torpedieren. (Das würde freilich dann auch den Umkehrschluß zulas­sen, daß eine auf Versöhnung gerich­tete Politik Begins noch mehr Atten­tate der Radikalen provozieren müß­te.)

Aber kein Mensch kann auf Di­stanz sagen, wer innerhalb und außer­halb der PLO gerade für oder gegen ’was ist. Gute Ratschläge aus Öster­reich sind da eine unangebrachte und, wie man erlebt, gefährliche Einmi­schung.

Kain ist die biblische Urgestalt des Brudermörders, der vom Ermordeten nicht dessen Unschuld, sondern sein Schicksal erbt. Auch Kain starb von Mörderhand. Gewalt zeugt keinen Frieden.

Was alle bewegte, war die junge Frau, die in Wien mit ihrem Leben das Leben eines Kindes rettete. Der stellvertretende Opfertod hat keinen Stellenwert in der jüdischen Glaubens­tradition. Als Symbol bleibt er trotz­dem unübersehbar: Immer noch ist uns allen die Frage nach dem Verbleib des Bruders gestellt.

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