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Digital In Arbeit

Die Frage nach gerechter Verteilung

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Umverteilt wird seit langem, etwa von Werktätigen zu Pensionisten. Dank des Wachstums konnten bisher stets größere Erträge an alle verteilt werden. Soll heute jedoch jemand mehr bekommen, müssen andere verzichten. Das wirft Grundsatzfragen auf.

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Umverteilt wird seit langem, etwa von Werktätigen zu Pensionisten. Dank des Wachstums konnten bisher stets größere Erträge an alle verteilt werden. Soll heute jedoch jemand mehr bekommen, müssen andere verzichten. Das wirft Grundsatzfragen auf.

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Hinter dem Schlagwort „Umverteilung” steht nichts anderes als die alte — und immer aktuelle — Frage der sozialen Gerechtigkeit. Es müßte — mit etwas gutem Willen und entsprechenden Bemühungen der Gewerkschaften — möglich sein, innerhalb der Betriebe und innerhalb verschiedener Kategorien öffentlicher Bediensteter (einschließlich der Politiker) eine Verteilung zu erreichen, die den „Letzten” auch dann noch einen kleinen Einkommenszuwachs garantiert, wenn dafür die Spitzenverdiener im Augenblick auf volle Abgeltung der Inflation verzichten müßten.

Schwieriger wird es bereits zwischen Unternehmen derselben Branche. Wo aber hätte sich unsere Einheitsgewerkschaft je auch nur ansatzweise zur „Umverteilung”, d. h. um mehr Lohngerechtigkeit zwischen den verschiedenen Branchen bemüht.

Ist es durch die Leistung gerechtfertigt, daß ein Arbeiter in der Bekleidungsindustrie durchschnittlich 44 Schilling, ein Erdölarbeiter dagegen durchschnittlich 99 Schilling Stundenlohn bekommt? Ist es gerechtfertigt, daß Frauen bei gleicher Arbeit bis zu einem Drittel weniger verdienen als Männer, daß die durchschnittlichen Verdienste von Angestellten in ein und derselben Branche um das eineinhalb- bis zweifache höher liegen als jene von Arbeitern?

Kann es auf Dauer „gerecht”-fertigt werden, daß die Durchschnittspension mit derzeit 5806 Schilling monatlich weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens ausmacht, Beamte dagegen mit 80 Prozent ihres letzten, d. h. im allgemeinen höchsten Bezuges in Pension gehen?

Ist es richtig, daß Familien mit mehreren Kindern bei mittleren Einkommen unter die Armutsgrenze fallen, ist es gerecht, daß Mütter, die Kinder großgezogen haben, deswegen kein Recht auf eine Alterspension haben, obwohl gerade ihre Kinder die Pensionen der anderen bezahlen?

Gerechtigkeit läßt sich nicht allein auf Osterreich beschränken. Die niedrigen Löhne in der Textilindustrie hängen damit zusammen, daß Textilarbeiterinnen in asiatischen Ländern um ein vielfaches niedrigere Löhne bekommen. „Gürtel enger schnallen” aus nationalem Egoismus heraus, um andere Länder mit ähnlichen Voraussetzungen auf dem Weltmarkt zu unterbieten, wird (siehe Stahlindustrie) in vielen Bereichen nur dazu führen, daß die anderen dasselbe zu tun versuchen, ohne daß die eigentlichen Probleme gelöst werden. Diese eigentlichen Probleme sind: Uberschußproduktion in den industrialisierten Ländern (vor allem des Westens), ungeheure Verschwendung unersetzlicher Ressourcen für gegenseitige Aufrüstung in Ost und West, und als Gegenpol Milliarden Menschen, die gerade noch oder nicht einmal das Notwendigste zum Leben haben. Wie uns die Geschichte der Arbeiterbewegung lehrt, ist die Wirtschaft kein Nullsummenspiel. Die Reichen Europas sind im allgemeinen nicht dadurch ärmer geworden, daß die große Masse der Arbeiter und Angestellten heute (trotz aller Ungerechtigkeit) in materiellen Verhältnissen lebt, von denen man im 19. Jahrhundert nicht einmal hätte träumen können.

Dies gilt im wesentlichen auch heute, wo wir die materielle Begrenzung der Ressourcen unserer Erde mit ins Kalkül ziehen müssen.

Die Umverteilungsdiskussion ist gut und notwendig, doch darf sie nicht bei den Fragen von Politikergehältern und Sockelbeträgen steckenbleiben. Wichtig wäre, die richtigen Fragen zu stellen.

Wie kann die Arbeit umverteilt werden? Ist es nicht widersinnig, angesichts massiver Arbeitslosigkeit zu meinen, das Heil liege darin, daß die Arbeitenden mehr arbeiten? Und wäre nicht zu fragen, was können wir (Gewerkschafter, Politiker, Wähler, Konsumenten) dazu beitragen, damit die Hungernden ihre Agrarprodukte selber essen können, anstatt sie zwecks Viehfütterung und Vergrößerung europäischer Agrar-überechüsse gegen Devisen zu verkaufen?

Wir könnten auch bescheidener fragen: Wie können wir in Österreich erreichen, daß die Bezieher der niedrigsten Einkommen sich jene Gebrauchsgüter und Dienstleistungen leisten können, die in unserem Land zum Mindeststandard gehören, deren Hersteller jedoch wegen Absatzschwierigkeiten Arbeitskräfte entlassen, die dann ihrerseits wieder weniger Kaufkraft haben, weniger Güter kaufen, weniger Steuern und Sozialbeiträge bezahlen können?

Umverteüung ist notwendig, doch die Grundfrage der „Umverteilung” in der derzeitigen Situation in unseren, d. h. den westlichen Industrieländern, ist sicherlich die Frage der „Umverteilung” der Arbeit.

Auch Osterreich gerät mehr und mehr in den Sog einer Verteilung, bei der Arbeitslosigkeit jenen zufällt, die sich die falsche Gegend (etwa das Waldviertel oder die Oststeiermark) oder die falsche Branche ausgesucht haben. Auch wenn es schwierig ist und wenn es Studien, Anpassungen, Ubergangshilfen verlangt: Umverteilung muß heute bei uns zu allererst bei der Arbeit selbst ansetzen.

Arbeitslosigkeit ist für den Betroffenen weit mehr als ein materielles Übel: Sie raubt ihm sein Selbstbewußtsein, seine Menschenwürde. Arbeit als Menschenrecht ist seit Johannes Paul II in die Katholische Soziallehre eingegangen, gerechte Arbeitsbedingungen und gerechte Entlohnung seit Rerum novarum (1891) Grundbestandteil dieser Lehre.

Dies gilt für Österreich, es gilt für Europa, es gilt aber auch für unsere Beziehungen gerade zu den armen Ländern.

Auszug aus KSO Nr. 16

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