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Die Frischzelle des Altruismus

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„Perspektiven aus der Katholischen Soziallehre für die zukünftige Gestaltung der Wirtschaft" lautete der Titel des hier auszugsweise wiedergegebenen Referates beim Forum Ostarrichi 1992 des Katholischen Laienrates (siehe auch „Klipp und klar", Seite 2)

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„Perspektiven aus der Katholischen Soziallehre für die zukünftige Gestaltung der Wirtschaft" lautete der Titel des hier auszugsweise wiedergegebenen Referates beim Forum Ostarrichi 1992 des Katholischen Laienrates (siehe auch „Klipp und klar", Seite 2)

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Wir haben uns von Mariazell an von dem parteipolitischen Engagement der Kirche distanziert und sind gut damit gefahren. Wir haben in den Jahren des Aufbaues Österreichs durch unsere katholischen Bewegungen einen entscheidenden Einfluß ausgeübt auf die demokratische Gestaltung unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft. Aber, geben wir uns keiner Täuschung hin, auch in unserer Kirche Österreichs erfahren wir eine gewisse Ermüdung, Ermattung und auch zum Teil Anklage: „Ihr bemüht euch um Dinge, die eigentlich mit Kirche, mit Religion nichts zu tun haben. Kehrt doch endlich wieder zurück zum rein Religiösen. Laßt doch das ganze, was gesellschaftspolitische Verantwortung ist, fallen."

Johannes Paul IL, die katholische Soziallehre ist anderer Meinung. Sie ist überzeugt, daß die Welt von morgen für die Kirche und für die Menschen solche Herausforderungen bringen wird, daß der Beitrag der Christen, der Beitrag der eigenen Kirche, mehr und mehr unabdingbar wird. Und daß dafür gerade die Laien, die Laienbewegungen morgen mehr gefragt sind als gestern, auch wenn es nicht mehr in Form von Massenbewegungen möglich ist. Jedenfalls ist die katholische Soziallehre überzeugt, daß gesellschaftspolitisches Engagement der Kirche morgen mehr gefragt ist als gestern.

Wenn wir uns im Blick auf die Wirtschaft von morgen fragen: Was hat die Kirche als Perspektive, als Orientierungshilfe zu geben?, dann ist auf der einen Seite negativ die Antwort klar: Die Kirche hat keine

Wirtschaftsmodelle. Sie hat auch nicht das Modell der sozialen Marktwirtschaft als ihr Modell. Die Kirche ist weltweit und nicht an Westdeutschland, an die Schweiz und Österreich gebunden. Sie hat aber ein Ordnungsbild für die Wirtschaft von morgen, das, wenn wir es konsequent durchhalten, auch Folgen für die Praxis hat, nämlich, daß Wirtschaft dreidimensional ist.

Wirtschaft ist ein harter Sachprozeß. Und die Kirche ist die letzte, die heute sagt, ich kann auch wirtschaften ohne Rationalität. So primitiv ist die Kirche nicht. Darum vertritt sie eine effiziente Eigentum-, Arbeit-, Unternehmertum-, Markt-orientierte Wirtschaft.

Aber sie sagt: Wirtschaft ist zugleich auch Sozialprozeß. Darum ist Wirtschaft einzubauen in einen Sozialkörper. ..

Und drittens: Wirtschaft von morgen ist nicht nur Technik und Organisation, es hängt wesentlich davon ab, ob wir etwas von Neuem Lernen in unsere Gesellschaft hineinbringen, Bewußtseinsveränderung, einen Be-

wußtseinsstand, der sich letztlich in der religiösen Verwurzelung auszuweisen und zu begründen hat.

Mit dem, was Centesimus Annus (CA) hier sagt, stehen wir praktisch vor der gleichen Aussage, die vor einigen Jahrzehnten der bekannte Kul-turforscher Teilhard de Chardin gemacht hat, als man ihn fragte: Was wollen Sie der Gesellschaft von morgen auf Grund Ihrer Kenntnis der Vergangenheit der Kulturen sagen? Teilhard de Chardin sagte:

„Ich habe Kultur entstehen gesehen und Kulturen verfallen gesehen in meiner Jahrtausende umfassenden Forschung. Wenn ihr mich fragt, was ihr für morgen braucht, gebe ich euch drei Stichworte. Ihr braucht erstens Technik. Eine Welt mit zehn und 15 Milliarden braucht ein effizientes Wirtschaftssystem, das menschen-und gesellschaftsgerecht ist. Zweitens: Ihr braucht Altruismus. Es wird euch gelingen mit Hilfe der Technik und der Organisation, gewaltige Leistungen zu erzielen. Euch entschwindet das Zwischenmenschliche, die Solidarität. Ihr braucht die Frischzelle des Altruismus. Und ihr braucht Kontemplation. Ihr braucht Zugang zu Werten, zu Erkenntnissen, die jenseits von Angebot und Nachfrage liegen, die einem geistigen Horizont entspringen und euer Bewußtsein in Wirtschaft und Gesellschaft verändern."

Und mit diesen Aussagen trifft sich CA mit der modernen Wissenschaft, weil CA überzeugt ist, daß was wirtschaftlich richtig im vollen Sinn ist, ebenso gesellschaftlich richtig ist, und was gesellschaftlich richtig ist, ist auch wirtschaftlich richtig auf weite Sicht gesehen. Nur eines sagt CA zum Schluß, und das möchte ich auch sagen: Die Glaubwürdigkeit der katholischen Soziallehre liegt nicht in ihrer Logik, in ihrer noch so schönen Kohärenz der Sätze, in ihren Bau- und Ordnungssystemen. Die katholische Soziallehre steht und fällt auch mit der sozialen Praxis der Christen und der Kirche.

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