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Die frustrierten Töchter der Kirche

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Mehr berufs- als ehe- oder familienorientiert sind die Wünsche und Ziele deutscher Frauen. Das stellte soeben eine in kirchlichem Auftrag entstandene Studie klar und deutlich fest.

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Mehr berufs- als ehe- oder familienorientiert sind die Wünsche und Ziele deutscher Frauen. Das stellte soeben eine in kirchlichem Auftrag entstandene Studie klar und deutlich fest.

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Wenn die kirchliche Rolle der Frau nicht aus ihrem Aschenputteldasein erlöst wird, dann könnte die Kirche ihre treuen, aber frustrierten Töchter ebenso verlieren, wie sie die Arbeiterschaft zu Beginn der Industrialisierung verloren hat. Daß sich dies längst nicht mehr als westeuropäische

„Emanzen"-Polemik abtun läßt, zeigen kirchliche Bemühungen in der Bundesrepublik, die Frau in ihrem heutigen Selbstverständnis neu zu begreifen.

Aus einer jetzt veröffentlichten Analyse über das geänderte Rollenverständnis der Frau, entstanden im Auftrag der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle in Mönchengladbach, zieht deren Leiter, der Augsburger Sozialwissenschaftler Professor Anton Rauscher SJ, einen ersten, behutsam tastenden Schluß: Die Kirche muß lernen, mit den Frauen anders zu sprechen und in ihren gewandelten Maßstäben mitzudenken. Eine Konsequenz freilich, die Rauscher, dessen Institut als Arbeitsstelle der Deutschen Bischofskonferenz firmiert, erst nach drängenden Journalistenfragen zu formulieren wagt. Denn auch er weiß, daß die praktische Umsetzung mühselig sein wird.

Der Züricher Sozialpsychologe Professor Gerhard Schmidtchen hat die Erforschung der weiblichen Rollen- und Bewußtseinsänderungen zu persönlichen, sozialen, politischen und religiösen Fragen praktisch durchgeführt. Seine wichtigsten Erkenntnisse: Erheblich gewachsen ist die Zahl der Frauen, denen der eheliche Hafen nicht den Inbegriff ihres

Lebenszieles bedeutet. Zugleich aber sieht die überwältigende Mehrheit der deutschen Gesamtbevölkerung, nämlich 88 Prozent, in der intakten Familie eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß Kinder glücklich aufwachsen.

Abgeschwächt hat sich die Meinung, daß Frauen gleiche Chancen hätten wie Männer. Sie sank zwischen 1967 und 1983 drastisch von 41 auf 14 Prozent. Deutlich emporgeschnellt ist dessen ungeachtet das feminine Selbstbewußtsein. Dies vor allem dort, wo es um Gleichberechtigung geht. So verlangen 93 Prozent der befragten Frauen gleiche Bezahlung wie Männer; 91 Prozent wünschen ebenbürtige Bildungschancen; 90 Prozent denken an die Altersversorgung. Karriere, Eherecht, Frauenrolle in der Familie und gesellschaftliche Gleichstellung von Hausarbeit mit Berufsleben rangieren der Reihenfolge nach hinterher. Dem allen steht die Kirche, was direkte Konsequenzen anlangt, in der Tat noch ein wenig ratlos gegenüber. Dabei mangelt es keineswegs an unmittelbar spezifischen Untersuchungsergebnissen. Religiöse Erziehung etwa findet laut Erhebung weit über den schrumpfenden Kreis der Kirchgänger hinaus Anklang, weil sie — so die „Repräsentativ"-Antwor-ten — für die seelische Entwicklung der Kinder wichtig sei. Katholische Frauen meinen dies zu 68 Prozent, evangelische zu 61 Prozent. Eine „zu enge" religiöse Erziehung würde freilich Schaden stiften — etwa, wenn die Kinder dadurch zu ängstlich würden, glauben die Befragten. Die Tragweite allein dieser Feststellung wäre freilich eine eigene Untersuchung wert.

Unter Katholiken, die niemals zum Gottesdienst gehen, gibt es eine wachsende Zahl solcher, die sich dennoch als gläubige Kirchenmitglieder bezeichnen. Vorsichtig folgern die Autoren der Analyse daraus, es sei „nicht ausgeschlossen", daß es sich hier um einen neuen Frömmigkeitstyp handle.

Aber daraus handfeste Konsequenzen ziehen?

Die Kirche könne die Familie immerhin geistig und soziologisch stützen und sich dabei die erarbeitete Untersuchung zunutze machen, meint Professor Rauscher — auf bohrende Journalistenfragen, wie gesagt. Jedoch die Befürchtung drängt sich auf, daß hier eine fraglos exakte und aufwendige Untersuchung mit soziologisch hochwertigen Daten — auch für ein künftiges Verkündigungskonzept — ein ähnlich sich dahinquälendes Schicksal erleiden könnte, wie mancher Aufbruchsversuch der gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik vor einem Jahrzehnt.

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