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Die fünf Ringe der Inhumanität

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ICH bin heilfroh, daß der Olympia-Rummel vorbei ist. Montreal bot den vorläufigen Höhepunkt in jenem Freizeittheater, das sich Sport nennt, in Wirklichkeit aber nur noch Show-Busineß geworden ist.

Die Orgien des Nationalismus feierten Höhepunkte; wenn ein kanadischer Sportler mit dabei war oder ein Amerikaner gewann, dann brüllten und klatschten die Stadientoesucher und die Schlachtenbummler aus den nahen USA.

Anderseits berichten Beobachter, daß in den Ostblookländem abends die Straßen leergefegt waren, wenn die sozialistischen Helden des Sports über die Tartanbahn flitzten oder in den Schwimmstadien ihre aufgepäppelten Muskeln spielen ließen.

Für den Ostblock wird Sport immer mehr zum ideologischen Vehikel: seht her, was der Sozialismus zuwege bringt, wie toll diese neuen sozialistischen Menschen doch sind! Ja, man sugge-

riert, daß der Kommunismus wohl dem Kapitalismus überlegen sein müsse, weil er in den Stadien Olympias so viele „Schlachten“ gewinne.

In der Tat mag gelegentlich die Welt und mögen auch die eigenen Untertanen dann vergessen, daß es im Osten tägliche Versorgungsmängel gibt, daß die Bürokratie alle anderen menschlichen Leistungsanstrengungen — außer dem Sport — untergräbt, daß man Dissidenten in Irrenanstalten steckt.

Und der Westen darf sich bei alledem heute nicht wundern, daß ihm der Osten die Sportshow stiehlt. Man hat sich seinerzeit mit dem Profi-System der Ost-.Amateure“ abgefunden und auch zugelassen, daß Ostblockstaaten immer wieder die „völkerverbindenden“ Olympiaden zu rein politischen Zwecken ausgenützt haben. Die DDR hat ihre sichtbarste Emanzipation als eigener Staat ja zuerst durch die Beschik-kung der Olympiaden mit eigenen Mannschaften dokumentiert. Und

die Entwicklungsländer lernen heute tüchtig die Lektionen des Ostens nach.

Und ich für meinen Teil finde es auch ganz und gar natürlich, ja sogar erfreulich, daß die Vertreter demokratischer Staaten nicht so viele Medaillen einheimsen konnten. Vielmehr ist es ja noch ein Ausdruck der Humanität, daß man menschliche Roboter mit drogenvollen Muskeln, gedehnten Lungen, ausgezerrten Gelenken und anormaler Anatomie noch nicht am Fließband produziert. Es ist ein Beweis der Freiheit, daß der normale Mensch sich eben nicht in die Folterkammer des modernen Trainings-managements einspannen läßt und selbst dann nicht austrainiert wird, wenn er die biologischen Voraussetzungen mitbringen sollte. Glücklich jenes Gesellschaftssystem, in dem noch die Ideale des Barons Coubertin etwas gelten ... schlimm für jenes, in dem der Sport zum Beweis der Antahumanität wurde...

Und deshalb ist die Diskussion

über das schlechte Abschneiden der Österreicher überflüssig. Nein, die Österreicher in Montreal konnten sich weder für ihre Aufgabe „motivieren“ (da sie Sport nicht als nationale Pflichterfüllung mißverstanden), noch haben sie sich als austrainierte Muskelkrüppel erwiesen, die über die natürlichen Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit hinausgegangen sind. Sie waren Menschen, die halt eben nur ifünfte, neunte oder dreiundzwanzigste Plätze erreichten...

Die Rekordflut — so sagen die Ärzte bereits übereinstimmend — wird mit der Gesundheit der Athleten bezahlt. Mag sein, daß das im Osten für die Bestimmenden gleichgültig ist

Hierzulande sollte man froh sein, daß es noch nicht soweit ist. Und aur Kenntnis nehmen, daß es noch wichtigere Dinge im Leben der Völker als Olympiaden gibt. Und sich ernsthaft — wirklich ernistlhaft — überlegen, ob eine Teilnahme in Moskau in vier Jahren überhaupt wünschbar ist.

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