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Die FURCHE im Photosatz

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Ein halbes Jahrtausend nach dem Tod seines Erfinders, und 90 Jahre nach der letzten einschneidenden prinzipiellen Verbesserung, liegt der Buchdruck, wie ihn Gutenberg erfand, in Agonie. Er wird wohl bald ausgedient haben. Noch werden Tag für Tag viele Millionen Zeitungen in Metall gesetzt, werden Millionen Bücher „vom Satz“ - vom Metallsatz, versteht sich - gedruckt. Aber der Tag, an dem bei der Herstellung von Zeitungen und Büchern keine metallenen Lettern mehr verwendet werden, ist nah. Als erste Zeitung Wiens wird die FURCHE seit drei Wochen im Photosatz hergestellt. Vorliegende Ausgabe ist die dritte, bei der die Zeilen nicht mehr gegossen, die Titelschriften nicht mehr gesetzt und keine schweren Metallplatten mehr auf die Druckzylinder geschraubt werden.

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Ein halbes Jahrtausend nach dem Tod seines Erfinders, und 90 Jahre nach der letzten einschneidenden prinzipiellen Verbesserung, liegt der Buchdruck, wie ihn Gutenberg erfand, in Agonie. Er wird wohl bald ausgedient haben. Noch werden Tag für Tag viele Millionen Zeitungen in Metall gesetzt, werden Millionen Bücher „vom Satz“ - vom Metallsatz, versteht sich - gedruckt. Aber der Tag, an dem bei der Herstellung von Zeitungen und Büchern keine metallenen Lettern mehr verwendet werden, ist nah. Als erste Zeitung Wiens wird die FURCHE seit drei Wochen im Photosatz hergestellt. Vorliegende Ausgabe ist die dritte, bei der die Zeilen nicht mehr gegossen, die Titelschriften nicht mehr gesetzt und keine schweren Metallplatten mehr auf die Druckzylinder geschraubt werden.

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Im kommenden Jahr soll die Herstellung der Linotype-Maschinen endgültig eingestellt werden. Da bei der Herold-Druck- und Verlagsgesellschaft, bei der die FURCHE gedruckt wird, satztechnische Investitionen unumgänglich waren, entschied man sich logischerweise für das System, dem die Zukunft gehören wird.

Für jeden, der mit dem Zeitungshandwerk verbunden ist, bedeutet die Produktionseinstellung der Linotype fast so etwas wie einen Schock. Denn diese Maschine war der bisherige Höhepunkt in der mehr als fünfhundertjährigen Geschichte des Buchdrucks. Erst diese Maschine ermöglichte die Entwicklung des neuzeitlichen Pressewesens, erst mit ihr konnten die Setzereien und Druckereien mit dem Tempo des Nachrichtenwesens und der immer schnelleren redaktionellen Arbeit mithalten.

Auf ihr haben Generationen von Setzern, die Manuskripte gefaltet in Haltern neben sich, jeweüs eine ganze Zeitungszeile auf einer der Tastatur einer Schreibmaschine sehr ähnlichen Apparatur „gesetzt“; ein Druck auf einen Hebel genügte sodann, um die Zeile als Ganzes zu gießen, Hilfskräfte schleppten die auf vielen kleinen, aus einer Bleilegierung hergestellten Zeilen zusammengesetzten Metallmassen zu den Metteuren, die gemeinsam mit den Redakteuren die Seiten zusammenbauten. Ottmar Mergenthaler hat die Linotype erfunden, sie wurde 1886 bei der New York Tribüne eingeführt, es war ein sehr feierlicher Moment, jeder Beteiligte wußte die Bedeutung 'des Augenblickes zu würdigen.

Der Photosatz kam hingegen ohne großen Bahnhof, fast durch die Hintertür, man kannte ihn vom Hörensagen, bis er plötzlich da war. E r hat dem technischen Teil der Zeitungsherstellung viel von ihrer Eigenart, von ihrer Romantik genommen. Die sozialen Auswirkungen auf die Branche sind noch nicht abzusehen. Wie so oft, entwertet der Fortschritt so manche hochqualifizierte Ausbildung. Der Photosatz ist sehr viel leichter zu handhaben als der Bleisatz. Er braucht auch weniger Personal. Der Rationalisierungseffekt liegt auf der Hand.

Eines Tages standen wir also in einem großen Saal mit vergleichsweise bescheiden aussehenden Apparaturen. Vertraut sind nur die „Taster“, jene Geräte, die schon Vorjahren zwischen „Setzer“ und „Setzmaschine“ eingeschaltet wurden, um den Ausnutzungsgrad der teuren Linotypes zu erhöhen. Seither werden in allen Zeitungssetzereien (zumindest der Industrieländer) die Manuskripte auf einem kleinen Apparat mit Tastatur „getastet“, der dabei entstehende Lochstreifen wird in ein Gerät an der Linotype eingespannt, deren Arbeitsge-schwindgkeit dadurch wesentlich erhöht wird (weil die Maschine um ein mehrfaches schneller setzen kann als der Setzer).

„Tasterinnen“ und Lochstreifen bleiben. Aber die Tasterin braucht nicht mehr die gewünschte Schriftgröße und Zeilenbreite einzustellen und sich auch nicht mehr um die Silbentrennung zu kümmern. Der Lochstreifen wandert nicht mehr zur Linotype, sondern zum Computer, der „VIP“ heißt - „variable input phototy-pesetter“. Der Computer erzeugt den sogenannten Photo satz - ein Exemplar jedes Zeitungsartikels und Titels, das aussieht wie gedruckt, es aber keineswegs ist. Vielmehr wird von diesem Gerät Buchstabe auf Buchstabe auf lichtempfindliches Papier photo-graphiert. Bisher wurde (und es wird weithin noch immer, aber wohl nur noch bis zur Abnützung der vorhandenen Anlagen) der Text aus einzelnen reliefartigen Buchstaben händisch oder maschinell zusammengesetzt. Die Lettern (oder, in der Setzmaschine, die Matrizen) waren teuer, waren schwer und nützten sich (teüweise sogar sehr schnell) ab.

Der Photosatz arbeitet nicht mit Lettern, sondern mit einem dünnen, wenige Zentimeter langen „Font“, einem Plättchen, auf dem alle benötigten Buchstaben und Zeichen ausgespart sind, so daß ein Lichtblitz hindurchtreten und den Buchstaben auf dem Photopapier abbilden kann. Der „Font“ sitzt auf einer elektronisch gesteuerten Trommel. Die elektronische Steuerung übernimmt die Information, welcher Buchstabe gerade nötig ist, vom Lochstreifen und rückt den richtigen Buchstaben in den Strahlengang von der Blitzlampe über die Optik auf das Papier. Das Ganze geht ungeheuer schnell. Der fortlaufende Text kann ebenso wie Titelschriften aller Größen vom selben „Font“ gedruckt werden - eine Zoom-Optik variiert die Schriftgröße. Dabei kann die Maschine aber zwischen verschiedenen Schrittypen wechseln.

Schluß mit „Setzkästen“ und Setzereien. Niemand schleppt die „Schiffe“ mit dem schweren Satz. Niemand färbt kunstvoll den Satz ein, um „Bürstenabzüge“ herzustellen. Es gibt keine „Stege“ und keinen „Durchschuß“ mehr, niemand reinigt den Satz, niemand löst ihn nach Gebrauch auf. Der alte Journalisten-Kalauer „Klebe wohl, schneiden tut weh“ kennzeichnet jetzt die „Textverarbeitung“: Die photographisch in einem Exemplar hergestellten Artikel und Titel werden passend verschnitten und auf eine Kunststoffunterlage aufgeklebt. Die in einem Exemplar aus Papier hergestellte Zeitungsseite (samt Photos) wird (nach kompletter Fertigstellung) auf einem Spezialfilm kopiert. Das Negativ wird auf eine „Nyloprinf'-Platte aufgelegt, diese mit aufgelegtem Negativ einer ganzen Zeitungsseite samt Photos in einem Spezialgerät belichtet. Nachher lassen sich - in einem anderen Gerät - die unbeachteten Stellen chemisch auswaschen, die belichteten Stellen (Buchstaben, Linien, Bilder) aber nicht. Auf der fertigen Platte ist alles, was gedruckt werden soll, etwas höher als das, was weiß bleiben soll. Die Nylo-print-Platte kommt in die Rotationspresse, die etwas anders eingestellt und mit härteren Farbwalzen versehen werden muß als bisher. Dafür können von einer dünnen und leichten Nyloprint-Platte zehnmal so viele Zeitungsexemplare gedruckt werden als von den alten, schweren, dicken Druckplatten.

Man darf also die Photosatz-Herstellung der FURCHE nicht mit Offset oder anderen Druckverfahren verwechseln. Der „Rotations-Hochdruck“ ist der alte geblieben. Neu (und in der Handhabung, keineswegs im Prinzip) viel einfacher als je zuvor ist die Methode, den Text in reliefartig erhöhter, „druckbarer“ Form auf die Druckplatte zu bringen.

Für Leute, die es genau wissen wollen: Der Vn?-Computer beherrscht alle Abteilungsregeln. Er speichert jeweils eine gewisse vom Lochstreifen übernommene Textmenge, teilt die Zeilen selbsttätig ein und teilt auch ab. Und zwar (fast immer) richtig.

Für Leute, die es noch genauer wissen wollen: Der Computer erzeugt zugleich mit dem belichteten Papier des Einmal-Textes ein Magnetband, das später-bei der Korrektur der Fehler-zur Auffindung der Stellen dient, die noch einmal photo-gesetzt und auf der fertigen Seite einfach über die falschen Stellen geklebt werden.

Für Leute, die es nun aber ganz genau wissen wollen: Der Photosatz bedeutet eine Rationalisierung. Also mehr Leistung pro Arbeitskraft - oder weniger Arbeitskräfte bei gleicher Leistung. Um den Beschäftigtenstand des schwarzen Gewerbes im Ganzen zu halten, wird also künftig noch mehr gedruckt werden müssen. Was? Ich weiß es nicht. Wozu? Ich weiß es nicht. Nach Wert und Notwendigkeit des Gedruckten wird nur in den seltensten Fällen gefragt. So wenig wie nach dem Sinn dessen, was die Uberzähligen eines Wirtschaftszweiges in einem anderen produzieren.

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