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Die galaktische SS

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Sie sind die Fremdenlegionäre der Literatur. Ob sie Absatzrekorde schlagen oder sang- und klanglos untergehen, sie bleiben unbekannt. Sie schreiben fast immer unter einem Pseudonym. Und oft schreiben mehrere von ihnen unter einem gemeinsamen Pseudonym Sie sind austauschbar. Sie sind Schriftsteller ohne Individualität. Wenn sie Individualität haben, tun sie gut daran, sie zu verstecken. So mancher von ihnen träumt davon, dereinst doch noch als „richtiger Schriftsteller“ ernstgenommen zu werden. Sie träumen vergeblich.

Ihr Anblick ließ ihn innerlich erschauern. Ihre Gesichter waren glatt und gut proportioniert, fast schön zu nennen. Doch dieser Schönheit fehlte der Funke, der sie lebendig machte, menschlich erscheinen ließ. Auf diesen Gesichtern spiegelte sich die vollkommenste innere Leere, die Don bei einem Lebewesen je beobachtet hatte.

Geschrieben von einem der Fremdenlegionäre der Literatur. Die größten Erfolge eines Böll, eines Grass, erreichen in Jahren mit Mühe die Auflagenzahlen, die von ihren Erzeugnissen Woche für Woche ausgeliefert werden. Von den Büchern der größten Erfolgsschriftsteller des

Jahrhunderts werden bestenfalls im Laufe eines langen Lebens jene zehn Millionen Exemplare verkauft, die, schätzungsweise, von der erfolgreichsten deutschen Science-flction-Heft- romanserie pro Jahr abgesetzt werden.

Mit einem gellenden Aufschrei schlug der Warrow auf die Planke. Dabei lief ein schmerzhafter Stich durch sein Nervenzentrum, das sich am unteren Ende der zweiten und mittleren Kugel befand. Panik überkam den Warrow. Er fühlte außer dem Schmerz noch etwas anderes: Der Boden erbebte unter dem rhythmischen Stampfen der Orathonen, die ihn verfolgten. Er hatte einen Vorsprung gehabt, doch die Gefiederten kamen ihm immer näher.

Science-fiction in Heftromanform wird zwecks Abgrenzung von den gehobeneren Taschenbüchern des Genres abschätzig gerne Space opera genannt. Space opera ist die Schule der totalsten Unverbindlichkeit, die im Metier des Schreibens möglich ist. Die Wildwesthefte oder Serienkrimis verfassenden Kollegen müssen amerikanische Stadtpläne zu Rate ziehen, müssen die Lebensgewohnheiten der Cowboys kennen, was sie schreiben, muß glaubwürdig sein. Im Weltraum ist alles gestattet, solange es nicht den Intentionen dea Verlegers zuwiderläuft.

Wyland und die anderen wußten noch nicht, daß sie sich in der sechsten Dimension befanden. Sie wußten auch nicht, daß sie von der sech’s- dimensionalen Schlange hierhergebracht worden waren, um von den telepathischen Zwillingshunden verhört zu werden.

Es gibt auf dem Gebiet des Romanheftes mehrere Verlagsgiganten, pro Woche werden mindestens

500.000 deutschsprachige Sciencefiction-Hefte abgesetzt, 25 Millionen pro Jahr. Verglichen mit diesen Heften sprechen die Taschenbücher des Science-fitions-Genres geradezu ein literarisches Elitepublikum an, daher sind auch die Auflagen viel geringer (wenn auch noch immer groß genug). Aber auch das Niveau der Taschenbücher ist oft genug erschreckend. Aber wir wollen nicht vom Niveau sprechen, sondern vom Geist, der hier herrscht.

Zum ersten Mal seit seinem Beitritt zum Spezialpatrouillenkorps war Omar Hawk sich völlig klar darüber, was es hieß, ein Offizier der Galaktischen Abwehr zu sein. In diesen Minuten wurde er hart — hart gegen sich selbst und unerbittlich gegenüber den Feinden des Imperiums

Kein Literarhistoriker, kein Literatursoziologe, kein Massenpsychologe analysiert, was einige Dutzend oder auch einige hundert Autoren für Millionen schreiben — und dessen Wirkung. Keine Dissertationen beschäftigen sich mit der Frage, ob hier nicht eine Wurzel für die Brutalisierung unserer Gesellschaft bloßliegt. Millionen Menschen verschlingen Science-fiction, werden von Sciencefiction beeinflußt, lesen kaum etwas anderes als Science-fiction, abgesehen von Berufslektüre, einer primi tiven Boulevardzeitung, Krimis und Western. Das bestimmt und fixiert ihr Weltbild.

Gut. Nehmen Sie meine besten Wünsche mit und bauen Sie ein festes Bollwerk am Rand der Galaxis.

Science-fiction folgt offensichtlich einigen wenigen, aber eisernen Gesetzen. Gefährlichen Gesetzen. Erstes Gesetz: Unbekannte, von anderen Planeten, Planeten anderer Fixsterne stammende, intelligente Lebewesen sind dem Menschen feindlich gesinnt. Soweit sie ihm freundlich gesinnt sind, nur deshalb, weil Einigkeit gegenüber einem noch gefährlicheren gemeinsamen Feind notwendig ist. Nur wenige Romane des Science-fictions-Genres, meist auch literarisch die anspruchsvollsten, sehen die Begegnung mit fremden Intelligenzen unter dem Blickwinkel aus Mißverstehen schicksalhaft erwachsender, aber nicht unüberwindlicher, gemeinsam zu bewältigender Aggression.

Die Rull nutzten ihre Fähigkeiten, um erbarmungslos zu vernichten. Die Menschen hatten versucht, eine Verständigung herbeizuführen und so ein friedliches Nebeneinander zu gewährleisten.

Zweites Gesetz: Im All mit seinen unbarmherzigen Bräuchen müssen Wesen gleicher Art zusammenstehen, unter einer straffen Führung organisiert, denn nuv eine streng hierarchisch gegliederte Menschheit kapn sich gegen die Ungeheuer aus dem Kosmos behaupten. Demokratie findet im Weltall nicht statt und seit dem Eintritt’ ins Zeitalter der Raumfahrt hat sie auch auf der Erde ausgedient.

Die Augen in dem straffen Gesicht leuchteten stahlblau, während die winzigen Humorfalten angenehm dazu kontrastierten… Luckners Körperhaltung brachte lediglich den überaus hohen Grad von Selbstbeherrschung zum Ausdruck, wie sie in der besten Zeit des Preußentums das Kennzeichen des Offiziers gewesen war… Leute wie er dienten nicht aus Abenteuerlust in der Raumflotte des Imperiums, sondern weil sie es für ihre Pflicht hielten.

In dieser Beziehung sind amerikanische und deutsche Autoren völlig eines Sinnes und der berühmteste Science-fiction-Verfasser, Isaac Asimov, gelernter Naturwissenschaftler und Verfasser geistreicher Artikel über die physikalische Unmöglichkeit dessen, was er in seinen Romanen beschreibt, treibt es dabei oft am ärgsten:

Die Galaxie umfaßte mehr als 25 Millionen bewohnter Planeten, die ohne Ausnahme unter der Herrschaft des Kaisers standen, der auf Trantor residierte.

Unbedarftere Geister übertreiben bis zur Komik, schreiben unbeabsichtigte Parodien auf moralische Aufrüstung:

Man durfte die Truppe nicht im Stich lassen. Ehrliche Arbeit für ehrliche Bezahlung. Solche Sätze brauchten nicht bewiesen zu werden, sie waren ein wesentlicher Bestandteil des Lebens, wahr bis in alle Ewigkeit, wahr in den fernsten Regionen der Milchstraße… Sie waren auf jedem Planeten wahr, der um eine Sonne kreiste, und wenn die menschliche Rasse nicht nach ihnen handelte, würde sie die Sterne nie erobern, weil irgendeine bessere Rasse sie wegen Doppelzüngigkeit ausschalten würde. Der Preis für die Expansion war die Tugend.

Science-fiction ist Spiegelung der menschlichen Aggression, ganz^ gewiß. Aber sie trägt auch dazu bei, die Attitüden der Aggressivität im Menschen der Gegenwart zu fixieren. Außerdem und ebenso gewiß ist Science-fiction fast immer Volksverdummung in industriellem Maßstab. Betrieben mit System. Die Verfasser der Taschenbücher mögen an einer etwas längeren Leine hängen, aber die Autoren der Heftromane sind schlechtbezahlte Schreibsklaven, die bei der Entwicklung eines Leitbildes für die Massen einer ihnen aufgegebenen Leitlinie folgen.

Offensichtlich wollen die riesigen Romanfabriken, die Produktionsund Verteilungsbetriebe, die mit Science-fiction Millionen Mark um- setzen, den Menschen so haben, wie sie ihn Woche für Woche schildern. Als einen Schlagworte nachbetenden, jeden Befehl befolgenden, konfektionierte Entschuldigungsphrasen mit Gewissen verwechselnden, reflexhaft tötenden, sonst aber gartenzwerghaft biederen galaktischen SS- Mann, der im Privatleben keiner Fliege etwas zuleide tun kann.

Genauso wie seinerzeit gehabt.

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